Pharmaindustrie: Impulse für eine sinnvolle Ergänzung des Portfolios durch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)
Pharmaindustrie: Ergänzung des Portfolios
Die Entwicklung und Registrierung von DiGA im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterliegt strengen regulatorischen Vorgaben, deren Einhaltung erhebliche organisatorische und finanzielle Anstrengungen erfordert. Aus diesem Grund finden sich im DiGA-Verzeichnis bislang nur wenige durch Pharmaunternehmen entwickelte Produkte, abgesehen von Kooperationen mit anderen DiGA-Herstellern. Boehringer Ingelheim hat beispielsweise Bemühungen, die Therapieunterstützungsanwendung Kata für Asthma und COPD als DiGA zu vermarkten, eingestellt.
Nachstehend wird aufgezeigt, wie die Pharmabranche ihr Produktportfolio mit digitalen Produkten sinnvoll ergänzen und dadurch Umsatzsteigerungen erzielen kann.
DiGA für chronisch Erkrankte
Ein Beispiel für den Einsatz digitaler Lösungen von Pharmaunternehmen findet sich im Bereich chronischer Erkrankungen. Hier können digitale Gesundheitsanwendungen dazu beitragen, dass bestimmte Medikamente, die erst nach der Durchführung einer Standardtherapie verschrieben werden, leichter zugänglich gemacht werden. Beispielhaft können hier die folgenden genannt werden:
- Chronische Rückenschmerzen: Die Standardtherapie umfasst in der Regel physikalische Therapie, Ergotherapie und Verhaltenstherapie. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, können Medikamente wie starke Schmerzmittel oder Antidepressiva verordnet werden.
- Adipositas (Fettleibigkeit): Die Standardtherapie besteht aus Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie. Wenn diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, können Medikamente zur Gewichtsreduktion wie Orlistat oder GLP-1-Rezeptoragonisten in Betracht gezogen werden.
- Chronische Spannungskopfschmerzen: Die Standardtherapie umfasst oft nichtmedikamentöse Ansätze wie Stressmanagement, Physiotherapie und Entspannungstechniken. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, können Medikamente wie trizyklische Antidepressiva oder Muskelrelaxantien eingesetzt werden.
- Chronische Schlaflosigkeit (Insomnie): Die Standardtherapie beinhaltet Schlafhygiene, kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) und Entspannungstechniken. Wenn diese Maßnahmen nicht wirksam sind, können Medikamente wie Benzodiazepine oder Z-Drugs verordnet werden.
- Chronische Migräne: Die Standardtherapie umfasst oft nichtmedikamentöse Ansätze wie Verhaltenstherapie, Biofeedback und Lebensstiländerungen. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, können prophylaktische Medikamente wie Betablocker, Antiepileptika oder CGRP-Antagonisten eingesetzt werden.
Hier kann eine DiGA ein sinnvoller Hebel sein, um den Arzneimittelumsatz zu steigern, unabhängig von der spezifischen Krankheit oder Therapie. Wenn die Therapieziele mittels leitliniengerechter Standardverfahren wie Ernährungs-, Bewegungs- oder Verhaltenstherapie nicht erreicht werden, kann eine digitale Anwendung helfen, Non-Responder der multimodalen Standardtherapie zu ermitteln, für die eine medikamentöse Therapie infrage kommt.
DiGA zum Medikamentenmanagement
Ein weiterer Anwendungsbereich einer DiGA eines pharmazeutischen Unternehmens knüpft an Arzneimittel für Indikationen an, bei denen tagesindividuelle Anpassungen der Dosis und des Einnahmezeitpunkts erforderlich sind, beispielsweise bei Asthma, Parkinson oder anderen Krankheitsbildern, die schubhaft verlaufen. Mangelnde Adhärenz von Patient*innen in Bezug auf die ihnen verordnete Arzneimitteltherapie ist ein bekanntes Problem nicht nur für die behandelnden Ärzt*innen, sondern kann auch finanzielle Verluste für das Pharmaunternehmen bedeuten.
Die Ergänzung der Arzneimitteltherapie durch digitale Anwendungen kann hier sinnvoll sein, zum Beispiel zur Dosisanpassung eines Arzneimittels, ähnlich wie dies bereits Sanofi mit seiner seit Mitte des Jahres vorläufig gelisteten DiGA My Dose für Diabetespatient*innen anbietet. Hierdurch kann zum einen die Adhärenz der Patient*innen gesteigert werden, sodass die langfristige Arzneimittelversorgung durch den Pharmahersteller sichergestellt ist, zum anderen wird durch passgenaue Medikation der Therapieerfolg des Arzneimittels erhöht. Im Falle einer DiGA ist auf den agnostischen Ansatz durch Typenoffenheit der DiGA für Pharmazeutika anderer Hersteller zu achten. Alternativ ist es denkbar, dass man die digitale Anwendung als Companion Diagnostic oder Companion Therapeutic in die Phase-III-Studie inkludiert.
Digitale Anwendung zum Telemonitoring
Ein weiterer Anwendungsfall ist die Nutzung digitaler Anwendungen im Telemonitoring. Beispielsweise könnten onkologische Patient*innen in Remission digital überwacht werden, um frühzeitig Anzeichen für die Notwendigkeit eines Therapiebeginns oder einer Therapiesteigerung feststellen zu können. Dadurch lassen sich nicht nur patientenrelevante Endpunkte wie die Senkung der Mortalität und die Verbesserung der Lebensqualität erreichen, sondern auch eine Verbesserung der Wirksamkeit der Arzneimitteltherapie.
Rechtliche Perspektive zur Compliance
DiGA bieten immense Chancen für die pharmazeutische Industrie, aber sie müssen auch strenge regulatorische Anforderungen erfüllen. Die Compliance eines Produkts bezieht sich auf dessen Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Anforderungen. Hersteller müssen besondere Sorgfalt walten lassen, um sicherzustellen, dass ihre Produkte in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen entwickelt und vermarktet werden. Das bedeutet, dass positive Versorgungseffekte im Vordergrund stehen, während Interessenkonflikte zu vermeiden sind.
Grundsätzlich müssen DiGA neutral gestaltet sein, sodass sie sich nicht auf spezifische Hilfs- oder Arzneimittel beziehen. Es ist jedoch zulässig, dass sie zusätzliche Informationen, beispielsweise zu einer Medikamententherapie, enthalten. Dies kann die Gesundheitskompetenz und/oder die Patientensouveränität stärken, was nach der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung (pSVV) ist.
Zur Vermeidung von sogenannten Lock-in-Effekten dürfen keine unzulässigen Absprachen zwischen DiGA-Herstellern und Pharma- oder Hilfsmittelherstellern getroffen werden, die zu einer Einschränkung der Wahlfreiheit von Patient*innen oder der Therapiefreiheit von Ärzt*innen führen können. Nach der Gesetzesbegründung soll damit verhindert werden, dass DiGA infolge von Absprachen so konzipiert werden, dass sie nur zur Begleitung einer Therapie mit einem bestimmten Arzneimittel oder einem bestimmten Hilfsmittel geeignet sind und die Anwendung anderer geeigneter Arznei- oder Hilfsmittel bewusst verunmöglicht wird. Allerdings ist es zulässig, dass Pharmaunternehmen selbst DiGA-Hersteller sind, solange innerhalb der DiGA die nötige Produktneutralität gewahrt bleibt.
Fazit
Das Potenzial der Entwicklung digitaler Produkte durch pharmazeutische Unternehmen wurde bisher nicht ausgeschöpft. Mit digitalen Anwendungen kann das Patientenverhalten beeinflusst, die Adhärenz gesteigert und so die Behandlungserfolge nachhaltig verbessert werden. Mit der nötigen Kreativität lassen sich intelligente Szenarien entwickeln, in denen digitale Anwendungen das Pharmaportfolio gewinnbringend und in Compliance mit den rechtlichen Rahmenbedingungen unterstützen können.
Forvis Mazars begleitet als Partner der Digital Therapeutics Consulting Alliance (www.dtxca.de) Hersteller digitaler Gesundheitslösungen umfassend durch sämtliche Phasen des Wertschöpfungsprozesses, um sicherzustellen, dass die Produkte nicht nur innovativ, sondern auch rechtskonform und marktfähig sind.
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