Sind Umkleide- und Waschzeiten vergütungspflichtige Arbeitszeiten?

In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist häufig unklar, inwieweit Umkleide- und Waschzeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeiten anzusehen sind. Die Frage wird auch in anderen Branchen zunehmend virulent. Zu der hierzu inzwischen umfassend ergangenen Rechtsprechung möchten wir nachfolgend einen Überblick geben.

Grundsätze

Umkleiden und Waschen ist als Arbeit anzusehen, wenn sie der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG, Urteil vom 11.10.2000, NZA 2001, 458). Eine solche Fremdnützigkeit liegt nicht vor, wenn zugleich ein „eigenes Bedürfnis“ befriedigt wird.

Vorwiegend betriebliche Belange/Fremdnützigkeit

Bis zu der für den Krankenhausbereich zentralen Entscheidung des BAG vom 19.9.2012 (NZA-RR 2013, 63) zählte die Zeit des Umkleidens und Waschens vor bzw. nach der Arbeit grundsätzlich nicht zur Arbeit und damit auch nicht zur Arbeitszeit (dies galt jedenfalls für den Anwendungsbereich des TVöD).

Nach geänderter Rechtsprechung dient das Umkleiden vorwiegend dem fremden Bedürfnis des Arbeitgebers, wenn eine Dienstkleidung notwendig im Betrieb anzulegen ist, sie dort nach Beendigung der Tätigkeit zu verbleiben hat und wenn der Arbeitnehmer arbeitsschutzrechtlich die Arbeit ohne Dienstkleidung gar nicht aufnehmen darf (BAG, Urteil vom 26.10.2016, NZA 2017, 323).

Nach den weiteren Entscheidungen des BAG ist das Tragen der Dienstkleidung zudem fremdnützig und die Umkleidungszeit damit vergütungspflichtig, wenn es sich um eine besonders auffällige Dienstkleidung handelt. Eine solche soll jedenfalls dann gegeben sein, wenn die Arbeitnehmer aufgrund der Ausgestaltung ihrer Kleidungsstücke, z. B. wegen einer typischen Farbgestaltung (wie das IKEA-Blau-Gelb),  ohne Weiteres als Angehörige ihres Arbeitgebers oder einer bestimmten Branche erkannt werden können (vgl. BAG, Urteil vom 6.9.2017, NZA 2018, 180 bejahend bzgl. der Kleidung eines Krankenpflegers mit weißer Hose und weißem Oberteil ohne Schriftzug/Logo). An der Offenlegung der von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeit gegenüber Dritten habe der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit kein eigenes Interesse. Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung beruhe somit auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit.

Das Tragen der Berufs- und Bereichskleidung kann somit im Pflegebereich sicherlich als besonders auffällig bezeichnet werden und dient insbesondere im OP-Bereich zudem primär hygienischen Zwecken und damit betrieblichen Belangen (vgl. BAG-Urteil vom 19.9.2012, NZA-RR 2013, 63).

Da die Arbeit in diesem Falle mit dem Umkleiden beginnt, zählen auch die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht unmittelbar am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss.

Besonderheiten bei der Umkleidung zuhause

Das Ankleiden der Dienstkleidung soll nur dann nicht lediglich fremdnützig und damit keine Arbeitszeit sein, wenn sie zu Hause angelegt wird und – ohne besonders auffällig zu sein – auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann (BAG Urteil vom 10.11.2009 NZA-RR 2010, 301) oder wenn es dem Arbeitnehmer gestattet ist, eine an sich besonders auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen und er sich selbstbestimmt dazu entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen, weil der Arbeitnehmer dann keine eigenen Kleidungsstücke auf dem Arbeitsweg einsetzen muss (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.8.2019 - 15 Sa 575/19; BAG Urteil vom 12.11.2013 NZA 2014, 557).

Hingegen ist das An- und Ablegen einer Dienstkleidung zu Hause dann wiederum als fremdnützig und damit als zu vergütende Arbeitszeit anzusehen, wenn der Arbeitgeber es zwar freistellt, die Kleidung zu Hause an- und abzulegen und auf dem Weg zur Arbeit zu tragen, er aber am Einsatzort keine zumutbaren Umkleidemöglichkeiten bereitstellt (so LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 21.08.2019 - 15 Sa 575/19).

Der Weg von zu Hause zur Arbeitsstelle ist allerdings keine vergütungspflichtige Arbeitszeit, auch dann nicht, wenn dieser in Dienstkleidung zurückgelegt wird, weil am Einsatzort keine zumutbaren Umkleidemöglichkeiten bestehen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.11.2019 - 7 Sa 620/19).

Eine Umkleidung im häuslichen Bereich ist bei Akutkrankenhäusern von vornherein aufgrund der einzuhaltenden Hygienestandards nicht möglich. Im Bereich der ambulanten Einrichtungen sieht es hingegen anders aus und die von der Rechtsprechung entwickelten weiteren Grundsätze können relevant sein.

HC Infografik

Umfang der zu vergütenden Zeiten

Umkleide- und Rüstzeit sind nach den vorstehenden Grundsätzen als Arbeitszeit gem. § 611 BGB zu vergüten. Der zu vergütende zeitliche Umfang der Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten, richtet sich bei fehlenden anderweitigen Regelungen nach allgemeinen Grund-sätzen. Nach der Rechtsprechung ist die erforderliche Zeit, das heißt die Zeit, die für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt wird, zu vergüten (vgl. BAG Urteil vom 6.9.2017 NZA 2018, 180 Rn. 27).

Die Vergütungspflicht lässt sich durch Tarifvertrag und je nach den konkreten Umständen auch einzelvertraglich regeln. Hierbei kann grundsätzlich eine verringerte oder auch eine gänzlich entfallende Vergütung geregelt werden. Ob sich die Vergütung der Zeiten, z. B. im Wege einer praktikablen Pauschalierung der Umkleide- und Wegezeiten, in einer Betriebsvereinbarung regeln lässt, ist im Einzelfall zu prüfen und hängt insbesondere davon ab, ob der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz BetrVG greift, wonach Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, grundsätzlich nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Ggf. ist zu prüfen, ob ein etwaig geltender Tarifvertrag entsprechende Öffnungsklauseln enthält. Im Übrigen ist zu beachten, dass je nach den vertraglichen Gestaltungen die nach dem Arbeitszeitgesetz hinsichtlich der höchstzulässigen Arbeitszeit und der einzuhaltenden gesetzlichen Ruhezeiten zu berücksichtigenden Zeiten von den zu vergütenden Zeiten abweichen können.

Die Folgen für Krankenhäuser bei Aufstellung des Jahresabschlusses

Für den Jahresabschluss könnte in Bezug auf Umziehzeiten eine Rückstellung nach § 249 Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz HGB für ungewisse Verbindlichkeiten in Betracht kommen. Grundsätzlich liegt gemäß obigen Ausführungen regelmäßig Arbeitsentgelt vor, es handelt sich um ausstehende Vergütung. Sofern diese nicht bis zum Bilanzstichtag ausgezahlt wurde, ist eine Rückstellung zu bilden. Für die Bewertung der Rückstellung stellt sich die Frage nach dem zeitlichen Horizont. Hierfür ist nach den im Krankenhausbereich üblichen tarifvertraglichen Regelungen häufig eine Ausschlussfrist von sechs Monaten relevant. Damit ist die Rückstellung in Höhe der letzten sechs Monate vor Bilanzstichtag zu bewerten. Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn tarifvertraglich oder einzelvertraglich im Rahmen einer Betriebsvereinbarung die Umziehzeiten vollständig abgegolten werden. In diesem Fall entfällt ein Rückstellungsbedarf. Für den Fall, dass nur ein Teil der Umziehzeiten gewährt wird, also z.B. 5 Minuten obwohl tatsächlich 10 Minuten benötigt werden, ist wiederum in Höhe der Differenz zwischen tatsächlichem Anspruch und geregeltem Anspruch eine Rückstellung zu dotieren.

    

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 4-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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