Verbot von Präsenzsitzungen der überregionalen Betriebsräte unzulässig
Präsenzsitzungen der Betriebsräte unzulässig
Die Arbeitgeberin, welche deutschlandweit Rehabilitationskliniken betreibt, hat gegenüber sämtlichen Beschäftigten einstweilen einrichtungsübergreifende dienstliche Treffen sowie Zusammenkünfte und somit auch eine geplante mehrtägige Präsenzsitzung des Konzernbetriebsrates untersagt. Die Arbeitgeberin hält eine solche Präsenzsitzung im Hinblick auf die derzeitige Covid-19-Pandemie für nicht vertretbar und begründete das Verbot u.a. mit der erforderlichen Anreise der Betriebsratsmitglieder. Der Konzernbetriebsrat hat sich gegen die Untersagung gewandt und geltend gemacht, alle geltenden gesetzlichen Maßgaben zum Infektionsschutz einzuhalten.
Das Arbeitsgericht Berlin hat dem Eilantrag des Konzernbetriebsrates stattgegeben. Das Gericht teilt damit die Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg, welches in einem vorangegangenen Eilverfahren mit Beschluss vom 24.8.2020 (- 12 TaBVGa 1015/20 -) ein von der Arbeitgeberin gegenüber einem überregionalen Gesamtbetriebsrat erklärtes Verbot der Durchführung von Präsenzsitzungen ebenfalls als unzulässig erachtet hat.
Nach Auffassung beider Gerichte entscheidet nach dem Betriebsverfassungsgesetz der Vorsitzende des jeweiligen Betriebsrats über die Einberufung der Sitzung und damit den Sitzungsort. Der Betriebsrat könne für die konkret anstehende Sitzung bereits deshalb nicht auf eine nach § 129 BetrVG mögliche Sitzung in Form einer Video- oder Telefonkonferenz verwiesen werden, weil geheim durchzuführende Wahlen anstünden, was im Rahmen einer Video- oder Telefonkonferenz nicht möglich sei.
Das LAG Berlin-Brandenburg führt in den Entscheidungsgründen aus, der Gesamtbetriebsrat könne auch nicht auf eine Briefwahl verwiesen werden. Aus dem Gesetz sei nicht ersichtlich, dass die in Rede stehenden Wahlen als Briefwahl durchgeführt werden können. Bei einer Briefwahl würden nicht die anwesenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats wählen. Grundsätzlich gehe das Betriebsverfassungsgesetz aber von der Beschlussfassung durch die anwesenden Mitglieder der Arbeitnehmervertretung aus. Da für die Wahlen in Vertreterpositionen oder von Ausschussmitgliedern eine ausdrückliche Ausnahme von dem Anwesenheitsgrundsatz fehlt, sei von der Erforderlichkeit einer physischen Anwesenheit der Mitglieder zur Durchführung der Wahlen auszugehen.
Nach der am Veranstaltungsort derzeit jeweils geltenden Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung sei die Durchführung der Betriebsratssitzungen zulässig. Die trotz zu erwartender Beachtung der Verhaltensvorgaben verbleibende Risikosteigerung berechtige den Arbeitgeber nicht zur Untersagung der Sitzung als Präsenzveranstaltung.
Ob hier für zukünftige Sitzungen, insbesondere solche ohne anstehende Wahlen und im Falle der Verschärfung der Entwicklung des Infektionsgeschehens, etwas anderes gelten könne, hat das LAG Berlin-Brandenburg offengelassen. Es müsse stets im Einzelfall abgewogen werden. Deshalb wurde ein Antrag des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen, der auf eine generelle Erlaubnis von Präsenzsitzungen zielte.
Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist rechtskräftig. Gegen die jüngere Entscheidung des Arbeitsgerichts kann das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden.
Praxishinweise
Die vom Gesetzgeber bezogen auf die Durchführung von Sitzungen der Arbeitnehmervertretungen und deren Beschlussfassungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie in § 129 BetrVG eingefügte Ausnahmebestimmung, die nach dem am 20.11.2020 vom Bundestag beschlossenen Beschäftigungssicherungsgesetz (BeschSiG) bis zum 30.06.2021 verlängert wird, lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 129 (1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Abs. 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse […]“.
Nach der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg kann weder der Arbeitgeber den in § 129 BetrVG genannten Gremien Präsenzsitzungen während der Corona-Pandemie generell untersagen, noch kann der Betriebsrat in jedem Fall auf die Durchführung von Sitzungen mit anwesenden Mitgliedern bestehen. Die Interessen und zu schützenden Rechte sind vielmehr anhand der konkreten Umstände, wie insbesondere Gegenstand der Sitzung bzw. der Beschlüsse, Durchführbarkeit geeigneter Schutzmaßnahmen und aktuelle Risikolage abzuwägen. Die Untersagung der Präsenzsitzung durch den Arbeitgeber kann einen Verstoß gegen § 78 BetrVG darstellen. Will man die Möglichkeit von Video- oder Telefonkonferenzen zur Durchführung von Betriebsratssitzungen und zur Beschlussfassung auf der Grundlage dieser Ausnahmeregelung nutzen, sollten die Gründe dafür dokumentiert werden. Zudem muss bei der Durchführung von Video- und Telefonkonferenzen den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen, wie insbesondere dem Grundsatz der Vertraulichkeit, Datenschutz etc. Rechnung getragen werden. Es sind ggf. technische Hürden, wie Umsetzung eines Aufzeichnungsverbots, Identifizierung der Teilnehmer etc. zu meistern. Es ist zu empfehlen, diese Aspekte betrieblich sorgfältig zu regeln.
Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 4-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.