Referentenentwurf des BMAS zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes
Hintergrund und Zielsetzung
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung vom 13. September 2023, 1 ABR 22/21 und dem wegweisenden sog. Stechuhr-Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019, C-55/18 (weiterlesen über Link: Arbeitszeiterfassung – neue Erkenntnisse aus den Urteilsgründen? – Mazars – Deutschland) hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 18. April 2023 den mit Spannung erwarteten Referentenentwurf zum Arbeitszeitgesetz vorgelegt. Das BMAS setzt die gerichtlichen Entscheidungen nunmehr um und nimmt eine Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung in das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auf, um – wie es im Entwurf heißt – die Kontrolle der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu erleichtern und einen Beitrag zur Gewährleistung der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer*innen in einer flexiblen Arbeitswelt zu leisten.
Regelung der Zeiterfassung
Der Referentenentwurf sieht eine Verpflichtung der Arbeitgeber vor, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen jeweils am Tag der Arbeitsleistungelektronisch aufzuzeichnen. „Elektronisch“ umfasst nach dem Entwurf auch die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme. Regelungsort hierfür ist § 16 ArbZG: Der bisherige Absatz 2 wird geändert und die Absätze 3 bis 8 werden neu hinzugefügt.
Die Möglichkeit der Vertrauensarbeitszeit, bei der Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht festgelegt, sondern den Beschäftigten überlassen wird, soll laut dem Entwurf nicht beeinträchtigt werden. Die Aufzeichnung kann auch durch den*die Arbeitnehmer*in oder eine*n Dritte*n erfolgen; die Arbeitgeber bleiben aber verantwortlich und müssen die rechtskonforme Zeiterfassung nachweisen. Sie haben durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihnen Verstöße gegen die arbeitszeitgesetzlichen Bestimmungen bekannt werden (§ 16 Abs. 4 ArbZG-E).
Arbeitgeber haben Arbeitnehmer*innen auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren. Die Nachweise sind für die gesamte Dauer der Beschäftigung, maximal jedoch für zwei Jahre aufzubewahren (vgl. § 16 Abs. 6 ArbZG-E).
Abweichungen bzgl. der elektronischen Zeiterfassung
Die gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung wird ab Inkrafttreten des Gesetzes gelten. Eine nichtelektronische Zeiterfassung bleibt für Kleinunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten, für Arbeitgeber ohne Betriebsstätte im Inland sowie für Angestellte in privaten Haushalten aber dauerhaft möglich.
Zudem kann von der elektronischen Zeiterfassung tarifvertraglich oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung abgewichen werden, § 16 Abs. 7 Nr.1 ArbZG-E.
Im Übrigen enthält der Entwurf für die Einführung eines elektronischen Systems eine nach Unternehmensgröße gestaffelte, in zeitlicher Hinsicht noch offene Übergangsregelung. Für die Einführung der elektronischen Zeiterfassung wird eine Übergangsfrist von einem Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes gewährt (§ 16 Abs. 8 Satz 1 ArbZG-E). Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten haben für eine Umstellung von Papier auf elektronisch zwei Jahre Zeit und Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten sogar fünf Jahre (§ 16 Abs. 8 Satz 2 ArbZG-E). Eine Differenzierung nach Größe eines Unternehmens wurde auch vom EuGH in seiner Entscheidung vom Mai 2019 ausdrücklich erlaubt.
Von der Pflicht, die Aufzeichnung bereits am selben Tag vorzunehmen, kann nur per Tarifvertrag oder im Falle einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung abgewichen werden, mit der Maßgabe, dass die Aufzeichnung jedoch spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages erfolgt.
Ausnahmen
Im Übrigen enthält der Entwurf keine von bestimmten Branchen erhofften Bereichsausnahmen.
Er sieht lediglich eine weitere Tariföffnungsklausel vor, die es den Sozialpartnern entsprechend der Vorgabe des Art. 17 der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) ermöglicht, bestimmte Gruppen von Beschäftigten auszunehmen, bei denen die Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus oder von ihnen selbst festgelegt werden kann, wie z. B. Führungskräfte, herausgehobene Expert*innen oder Wissenschaftler*innen.
§ 18 ArbZG, der insbesondere leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG sowie Chefärzt*innen von der Anwendung des ArbZG ausnimmt, gilt unverändert.
Sanktionen
Verstöße gegen Aufzeichnungs- und Informationspflichten stellen nach dem Entwurf Ordnungswidrigkeiten dar, die mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 Euro geahndet werden können.
Sonstige Änderungen im Arbeitszeitgesetz
Neben den redaktionellen Änderungen im ArbZG und in der Arbeitszeitverordnung werden die vorstehenden Änderungen – soweit umsetzbar – auch auf das JArbSchG übertragen.
Fazit
Mit dieser Änderung des Arbeitszeitgesetzes wird erstmals eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gesetzlich normiert (bisher gibt es diese Verpflichtung nur für bestimmte Sachverhalte, etwa nach §§ 16 Abs. 2, 21a Abs. 7 ArbZG, § 17 Abs. 1 MiLoG, § 19 Abs. 1 AEntG).
Der Referentenentwurf bildet zwar die Vorgaben der EU-Richtlinie und der höchstrichterlichen Entscheidungen zur Arbeitszeiterfassung ab, die brennenden Fragen jedoch, die sich in einer dynamischen Arbeitswelt stellen, werden nicht angegangen, die Spielräume, die die EU-Richtlinie einräumt, nicht genutzt. Im Hinblick auf die Flexibilisierung der Arbeitszeit wären insbesondere Vorschläge zur Änderung der Regelungen der Höchstarbeitszeit, z. B. durch Aufhebung der täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit, zur Definition des Arbeitstages und zur Änderung der Regelungen zu Ruhezeiten wünschenswert gewesen. Den Herausforderungen unserer heutigen Arbeitswelt wird der Entwurf daher leider nicht gerecht und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer*innen werden häufig nicht in der Lage sein, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Das Spannungsverhältnis wird angesichts der Regelungen zur Erfassung und Aufzeichnung der Arbeitszeiten lediglich offenkundiger. Die Grundstruktur der bestehenden Schutzvorschriften zur Arbeitszeit bleiben erhalten, die Chance einer Fortentwicklung für die moderne Arbeitswelt ist damit vertan.
Seit der Veröffentlichung des Referentenentwurfs wird eine Reihe von noch ungeklärten Fragen und Widersprüchen diskutiert, die in der weiteren Diskussion um die Gesetzesnovelle und im Gesetzgebungsverfahren noch zu Anpassungen führen können, z. B.: Erfassung von Ruhe- und Pausenzeiten? Ausnahmeregelungen nur für tarifgebundene Arbeitgeber vs. negative Koalitionsfreiheit? Keine Ausnahmen im personellen Anwendungsbereich des ArbZG, etwa bei angestellten GmbH-Geschäftsführer*innen?
Gewisse Änderungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren sind zwar zu erwarten, es bleibt jedoch dabei, dass bereits jetzt eine Pflicht zur Zeiterfassung besteht. Arbeitgeber mit mehr als zehn Beschäftigten sollten sich – soweit noch nicht geschehen – auf die Notwendigkeit der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems einstellen und vorbereiten. Insbesondere sollten sie sich mit dem Erfordernis der Erfassung der tatsächlichen Zeiten am Tag der Arbeitsleistung auseinandersetzen.