Mit dem Bruch der Ampel-Koalition ist für deutsche Unternehmen die CSRD-Pflicht bei der Nachhaltigkeitserklärung zunächst vom Tisch. Für den Aufsichtsrat Thorsten Grenz tun Firmenverantwortliche dennoch gut daran, sich auf die Umsetzung der Richtlinie vorzubereiten. Im Gespräch mit Board Briefing erläutert er, wie sich der Reporting-Prozess entschlacken lässt, wo es seitens des Gesetzgebers seiner Ansicht nach Klärungsbedarf gibt und warum Firmen ein stärkeres Augenmerk auf die Qualität von Daten legen sollten.
Herr Grenz, vor allem mittelständische Unternehmen beklagen einen großen Aufwand durch die neue europäische Nachhaltigkeitsrichtlinie CSRD. Handelt es sich bei den mehr als 1.000 Datenpunkten noch um einen zielführenden Weg zu mehr Nachhaltigkeit oder bereits um Überregulierung?
Das kommt darauf an, von welcher Seite aus Sie es betrachten. Dass diese Berichtspflicht mit Aufwand verbunden ist, lässt sich nicht leugnen. Ich bekomme damit aber auch ein Template an die Hand, das Klarheit und Leitplanken verschafft. Die Zusammenstellung der kleinsten Berichtspunkte betrachte ich – gerade in meiner Arbeit als Aufsichtsrat – als eine sehr willkommene Arbeitshilfe. Ich erhalte damit sehr konkrete Hinweise, welche Themen ein Unternehmen in der Nachhaltigkeitserklärung abdecken muss und woran man zu denken hat, etwa beim Reporting zum Abfallmanagement – um nur ein Beispiel zu nennen.
Dennoch hagelt es starke Kritik aus der Wirtschaft. In der CSRD erkennen manche ein „Bürokratiemonster“ …
Die Diskussion rund um die Umfänge der Richtlinie und den Begriff „Bürokratiemonster“, der in diesem Zusammenhang häufig fällt, ist ein teils ungerechter Fingerzeig auf den Gesetzgeber. Als Aufsichtsrat habe ich gegenüber den Vorständen nicht nur eine Überwachungspflicht, sondern auch eine Beratungsfunktion. Ich müsste auch ohne die CSRD viele Nachhaltigkeitsthemen zur Sprache bringen und fragen, wo das Unternehmen hier jeweils steht. Wir haben nun mit der Wesentlichkeitsanalyse ein sehr scharfes Instrument an die Hand bekommen. Auf dieser Basis gehe ich durch die einzelnen Messpunkte und muss mich dabei fragen: Ist dieses spezielle Nachhaltigkeitsthema für mein Unternehmen eigentlich wesentlich?
Genau das scheint ein Stein des Anstoßes zu sein. Bei dieser Beurteilung gibt es offenbar Unschärfen.
Richtig. Daher kommt es im Einzelfall auf die Projektführung, vielleicht auch auf die Persönlichkeiten in den Unternehmensorganen und auf deren Mut oder Konfliktscheu an. Doch Firmen können nicht ohne Weiteres sagen: Dieser oder jener Punkt ist für uns nicht wesentlich – den lassen wir daher aus. Ich muss mir eine Metrik zurechtlegen, anhand derer eine Firma die Wesentlichkeit nachvollziehbar begründen kann. Das Stichwort lautet hier: Impact Materiality. Welche Auswirkung hat unser Wirtschaften zum Beispiel auf die Umwelt? Man kann dafür allgemein anerkannte Schwellenwerte verwenden. Werden diese überschritten, kommt der entsprechende Punkt ins Accounting. Wenn ich nach dieser Systematik alle Datenpunkte durchgehe, werden ganz viele Werte von vornherein aussortiert werden können. Ich bin mit mehreren Fälle gut und detailliert vertraut, in denen diese Vorgehensweise des Managements zu schlanken und aussagekräftigen Berichten geführt hat.
Können Sie das bitte mit einem Beispiel konkreter machen?
Gerne. Dann verstehen Sie auch, was ich mit Mut meine. Nehmen wir an, Sie besitzen ein Unternehmen, das feinmechanische Produkte herstellt. Für bestimmte Bauteile, die Sie herstellen, benötigen Sie Gold. Die jährlich eingekaufte Menge liegt bei etwa zwei Kilogramm. Die Frage ist dann: Welchen Impact, welche Gestaltungsmacht habe ich mit einem Einkaufsvolumen von umgerechnet rund 160.000 Euro etwa auf die Arbeitsbedingungen in den Minen oder auf die Vermeidung von Umweltschäden durch Minengesellschaften, die jährlich Milliarden umsetzen? In vergleichbaren Fällen haben wir lange diskutiert, aber dann gesagt: Das ist nicht materiell. Das heißt nicht, dass uns Kinderarbeit, Menschenrechte, Arbeitsbedingungen oder Umweltverschmutzung bei den Produzenten egal wären. Aber in der Nachhaltigkeitserklärung lasse ich das außen vor, denn das kann ich über die sehr begrenzten Transaktionen meines Unternehmens mittelbar nicht beeinflussen.
Ist das nicht ein moralisches Dilemma?
Natürlich wäre es möglich, die Wesentlichkeitsgrenze so deutlich nach unten zu ziehen, dass damit praktisch eine Vollberichterstattung in der Nachhaltigkeitserklärung erzeugt wird. Doch letztlich benötigen wir ein übersichtliches und auch wirksames Reporting, das die Nachhaltigkeit wirklich weiterbringt. In Richtung des Gesetzgebers wäre mehr Anstrengung zu begrüßen. Wir haben im Moment die Situation, dass die Richtlinie immer noch nicht in nationales Recht überführt worden ist, und es durch das Ampel-Aus nun voraussichtlich eine weitere Verzögerung geben wird. Es lassen sich schlecht die Chancen und Kritikpunkte eines Gesetzes diskutieren, das es bis dato gar nicht gibt. Erst dann können wir über die Ausgestaltung von Details noch einmal nachdenken, um die Sache voranzubringen. Als Unternehmer benötige ich zusammen mit dem Wirtschaftsprüfer eine valide Basis für Prüfungssicht, Prüfungsfragen und am Ende für die Aufstellung der Berichte. Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen unabhängig davon, ob das Gesetz noch im Jahr 2024 kommt, entsprechend der CSRD berichten werden. Nachhaltigkeitsberichterstattung darf kein Fetisch werden. Wenn ich über Wochen und Monate damit beschäftigt bin, immer mehr Zahlen und Daten für den Bericht 2024 zusammenzutragen, kann sich das Rechnungswesen nicht um die Herausforderungen von 2025 kümmern. Hier müssen wir zu einem höheren Automatisierungsgrad kommen, verbunden mit einer größeren Zuverlässigkeit der Daten. Wir reden zu wenig über die Qualität der Ausgangsdaten. Wenn wir da ansetzen, verbessern wir die Qualität des Reportings. Damit erziele ich aus Sicht eines Unternehmens den höchsten Impact.
Zur Person
Prof. Dr. Thorsten Grenz ist Aufsichtsrat mehrerer Unternehmen, langjährig tätiger CEO und CFO in privaten und börsennotierten Unternehmen, Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, sowie Geschäftsführender Gesellschafter einer Beteiligungs- und Beratungsgesellschaft in Berlin.
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