Der Bundesgerichtshof zum Streit um das Fernwärmenetz in Stuttgart

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 5. Dezember 2023 (KZR 101/20) „in einem Rechtsstreit zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und EnBW entschieden, dass die Stadt nach Beendigung des zwischen den Parteien vereinbarten Gestattungsvertrags weder Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden ist, noch von EnBW Übereignung des Netzes verlangen kann. Ebenso wenig steht ihr ein Anspruch auf Beseitigung der Netzleitungen zu. Umgekehrt hat aber auch EnBW, die das Fernwärmenetz in Zukunft weiterbetreiben möchte, keinen kartellrechtlichen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Betrieb des Fernwärmenetzes.“

Pressemitteilung: Bundesgerichtshof zum Streit um das Fernwärmenetz Stuttgart

Die beiden Leitsätze des Urteils lauten:

  1. Dem Betreiber eines Fernwärmenetzes kann nach Beendigung eines befristeten Gestattungsvertrags ein Anspruch auf Einräumung von Nutzungsrechten an den im Eigentum einer Gemeinde stehenden Wegegrundstücken nur zustehen, wenn die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sämtlichen Interessenten den Bau paralleler Netzinfrastrukturen erlauben.
  2. Eine Gemeinde kann von dem bisherigen Betreiber eines Fernwärmenetzes weder Verschaffung des Eigentums an den in ihren Grundstücken verlegten Leitungen noch Beseitigung der dadurch verursachten Beeinträchtigung ihres Eigentums verlangen, wenn die Gemeinde ein bereits begonnenes Auswahlverfahren für den Weiterbetrieb dieses Netzes nur ausgesetzt, aber nicht beendet hat und der bisherige Netzbetreiber an diesem Verfahren beteiligt ist.

Der BGH hat die auf Kartellrecht gestützte Widerklage von EnBW auf langfristige Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Weiterbetrieb des Fernwärmenetzes abgewiesen. Ein Anspruch auf Nutzungsrechtseinräumung nach § 19 GWB kann dem BGH zufolge nur dann in Betracht kommen, wenn die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sämtlichen Interessenten den Bau paralleler Netzinfrastrukturen erlauben (was im Streitfall nicht gegeben war). Die Stadt muss keine dauerhafte Monopolstellung von EnBW akzeptieren, weil EnBW die Investitionen in das Fernwärmenetz im Rahmen eines zeitlich befristeten Gestattungsvertrags und auf Grundlage von entsprechenden Wegenutzungsrechten vorgenommen hat. Es ist kartellrechtlich nicht unzulässig, wenn die Stadt, in Anlehnung an die – nur für den Strom- und Gasbereich geltende – Regelung des § 46 EnWG Wegenutzungsrechte zeitlich begrenzt vergeben und einen Wettbewerb um das Netz organisieren möchte.

Die Revision der Landeshauptstadt Stuttgart hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Die Stadt habe mit Beendigung des Gestattungsvertrages kein Eigentum an den Netzanlagen erworben. Da das Gesetz keinen automatischen Eigentumsübergang nach Vertragsende vorsieht, bedarf es nach § 95 BGB für den Eigentumsübergang von Versorgungsleitungen (als sog. Scheinbestandteile) einer Willensentschließung des Eigentümers der Netzleitungen zum Eigentumsübergang (dieser lag im Streitfall nicht vor).

Die Stadt kann ferner von EnBW auch nicht die Übereignung der Netzanlagen verlangen. Ein solcher Anspruch folgte im Streitfall nicht aus dem Gestattungsvertrag. Da die Stadt im Übrigen ein wettbewerbliches Verfahren zur Auswahl des zukünftigen Netzbetreibers in Gang gesetzt hatte, dieses bislang nur ausgesetzt und nicht beendet hat und EnWB an diesem Verfahren beteiligt war/ist, besteht auf Seiten der Stadt auch kein berechtigtes Interesse, selbst Eigentümerin des Fernwärmenetzes zu werden.

Auch § 997 Abs. 2 und § 552 Abs. 1 BGB geben keinen Anspruch auf Eigentumsverschaffung (aufgrund des begonnenen und noch nicht beendeten Auswahlverfahrens). Dies gilt auch für den Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Eine Störungsbeseitigung kann vom Störer, der EnBW, auf verschiedene Weise erfolgen (nicht nur durch Eigentumsverschaffung zugunsten der Stadt).

Zudem hat der BGH festgestellt, dass EnBW nach § 1004 Abs. 1 BGB auch nicht verpflichtet ist, den eigentumsrechtlichen Störungszustand zu beseitigen, der sich daraus ergibt, dass sich die im Eigentum von EnBW stehenden Netzleitungen in den städtischen Wegegrundstücken befinden. Die Stadt sei verpflichtet, diesen Zustand nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden, was aus nachvertraglichen Rücksichtnahmepflichten in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 241, 242 BGB) folge. Auch hier war maßgebend, dass das wettbewerbliche Verfahren noch nicht beendet war und damit auch nicht ausgeschlossen ist, dass EnBW in Zukunft weiterhin das Fernwärmenetz betreiben wird.

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