Eigenwirtschaftlich tätige Verkehrsunternehmen sind von öffentlicher Investitionsförderung nicht ausgeschlossen

VG Greifswald, Urteile vom 11. Januar 2024 (4 A 415/19 HGW und 4 A 521/18 HGW, „Fahrzeugförderung“, nicht rechtskräftig)

Die Fahrzeugförderung für Verkehrsunternehmen des ÖPNV erfolgt in Deutschland mitunter auf Bundesebene, klassischerweise durch Landesbehörden sowie – mit zunehmender Verlagerung der Finanzierungsmittel auf die kommunale Ebene – durch die kommunalen Aufgabenträger des ÖPNV. Bemerkenswert an den Entscheidungen des VG Greifswald zur Busförderung in Mecklenburg- Vorpommern ist unseres Erachtens der klare Befund, dass der Zugang zur Investitionsförderung für Verkehrsunternehmen weder aufgrund eigenwirtschaftlicher Verkehrsbedienung noch aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 gesperrt ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen ein gleichberechtigter Zugang zur Investitionsförderung zusteht.

Die Klägerin ist ein Verkehrsunternehmen, das insbesondere Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr mit Schwerpunkt auf dem Gebiet des Landkreises Vorpommern-Greifswald erbringt. Bis zum 31. Dezember 2017 erfolgte der Linienverkehr als gemeinwirtschaftlicher Verkehr im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, der durch den Landkreis Vorpommern-Greifswald an die Klägerin erteilt worden war.

Zur Fortführung des ÖPNV-Betriebs stellte die Klägerin bei dem Beklagten, dem für die Erteilung von Linienverkehrsgenehmigungen zuständigen Landesamt für Straßenbau und Verkehr Mecklenburg- Vorpommern, einen Antrag gemäß § 12 Abs. 6 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) auf Erteilung einer Genehmigung für einen eigenwirtschaftlichen Linienverkehr entsprechend der Vorabbekanntmachung vom 2. Juli 2016 im EU-Amtsblatt für das Linienbündel A im Landkreis Vorpommern-Greifswald ab dem 1. Januar 2018 für weitere zehn Jahre. Mit Bescheid vom 6. April 2017 genehmigte der Beklagte den eigenwirtschaftlichen Antrag.

Die Klägerin hatte bereits mit Anträgen vom 29. Februar 2016 bei dem Beklagten die Bewilligung von Zuwendungen nach der Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen für die Neubeschaffung von Bussen des ÖPNV in Mecklenburg-Vorpommern (ÖPNV-BusRL) für die Beschaffung von zwei Standardlinienbussen für das Förderjahr 2017 beantragt. Mit Zuwendungsbescheiden vom 3. bzw. 9. August 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin die beantragten Zuschüsse in einer Höhe von bis zu 75 vom Hundert der zuwendungsfähigen Ausgaben, höchstens jedoch 200.000 €. Beide Zuwendungsbescheide wurden bestandskräftig. Weiterhin beantragte die Beklagte mit Antrag vom 22. März 2018 eine entsprechende Zuwendung nach der ÖPNV-Bus-Neubeschaffungsrichtlinie (ÖPNV-BusRL) für die Neubeschaffung vier weiterer Busse in einer Höhe von 400.000 €.

Mit Bescheiden vom 9. November 2016 widerrief der Beklagte gegenüber der Klägerin die Zuwendungsbescheide vom 3. bzw. 9. August 2016 in voller Höhe mit sofortiger Wirkung. Mit Bescheid vom 17. September 2018 lehnte der Beklagte auch den Förderantrag der Klägerin vom 22. März 2018 ab. Nach Auffassung des Beklagten könnten aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen erbringe, Förderungen nicht gewährt werden. Nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sei die Zahlung von Ausgleichsleistungen an die Erfüllung eines gemeinwirtschaftlichen öffentlichen Dienstleistungsauftrags gebunden. Die Unvereinbarkeit von eigenwirtschaftlicher Erbringung der Verkehrsleistungen und öffentlicher finanzieller Förderung der Eigenwirtschaftlichkeit ergebe sich aus § 8 Abs. 4 PBefG in Verbindung mit Art. 3 VO (EG) Nr. 1370/2007. Die Verpflichtung zur sorgfältigen Beachtung des Gebots der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung an öffentlichen Mitteln enge den Ermessensspielraum nach Auffassung des Beklagten zudem erheblich ein.

Die Klägerin wendete sich nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage gegen den Widerruf der ihr für das Förderjahr 2017 erteilten und die Versagung der für das Förderjahr 2019 von ihr beantragten Investitionsförderungen.

Das Verwaltungsgericht Greifswald hat mit Urteilen vom 11. Januar 2024 (4 A 415/19 HGW und 4 A 521/18 HGW, nicht rechtskräftig) den Klagebegehren vollumfänglich entsprochen. Wesentliche Urteilsgründe stellen sich wie folgt dar:

  • Hinsichtlich der für das Förderjahr 2017 begehrten Zuwendungen liege bereits die vom Beklagten angenommene Zweckverfehlung als Widerrufsgrund liegt nicht vor. Aus der im Bescheid enthaltenen Zweckbestimmung ergebe sich keinerlei Hinweis darauf, dass die Förderung nicht erfolgen kann, wenn das Verkehrsunternehmen eigenwirtschaftlich Linienverkehre betreibe.
  • Das sich aus der Zweckbestimmung im Bescheid ergebende, entscheidende Kriterium sei, dass ÖPNV im Rahmen des Linienverkehrs nach den §§ 42 und 43 PBefG betrieben werde. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Zweck bei Unternehmen, die eigenwirtschaftlichen Linienverkehr betreiben, nicht erreicht werden könne, seien nicht ersichtlich. Insbesondere seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass hinsichtlich des durchgeführten ÖPNV ein weiteres Förderkriterium vorliegen müsse, nämlich, dass dieser im gemeinwirtschaftlichen Verkehr durchzuführen ist und Verkehrsunternehmen, die eigenwirtschaftlichen Verkehr betreiben, von der Förderung ausgeschlossen sind.
  • Soweit der Beklagte zur Begründung seiner Auffassung unter Hinweis auf § 44 LHO M-V meint, dass die Förderung eigenwirtschaftlich tätiger Verkehrsunternehmen ausgeschlossen sei, weil diese nicht „bedürftig“ seien, weil davon auszugehen sei, dass diese über genügend Mittel verfügen würden und kostendeckend arbeiteten, ist dieser Gedanke – so das Gericht ausdrücklich – „so wenig naheliegend, dass sich dieser keineswegs als Kriterium für eine mögliche Auslegung des Bescheides durch den Empfänger im Hinblick auf den Zuwendungszweck eigne“.
  • Auch die für das Förderjahr 2019 abgelehnten Zuwendungen erachtet das Gericht als rechtswidrige Rechtsverletzung der Klägerin und gewährt ihr einen Anspruch auf Neubescheidung des Förderantrags in Höhe von 400.000 €. Der Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG, wonach der Beklagte als Bewilligungsbehörde verpflichtet ist, gleiche Sachverhalte gleich und nicht unterschiedlich zu bescheiden. Zentral ist die Begründung des Gerichts, dass „die Rechtsauffassung des Beklagten, dass aufgrund entgegenstehenden höherrangigen Rechts, insbesondere europarechtlichen Vorschriften, eine Förderung eigenwirtschaftlicher Linienverkehrsbetreiber nach der ÖPNV-BusRL ausgeschlossen und sein Ermessen bei der Entscheidung über den Förderantrag der Klägerin dadurch auf ,Null‘ reduziert ist, nicht zutreffend ist“.
  • Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich aus § 8 Abs. 4 PBefG („Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit“) i. d. ab dem 1. Januar 2013 geltenden Fassung kein Ausschluss der Klägerin als eigenwirtschaftlich tätige Verkehrsunternehmerin von der Förderung nach der ÖPNV-Bus RL. Die Fahrzeugförderung werde in der Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 8 Abs. 4 PBefG als mögliche Einnahmequelle eines eigenwirtschaftlich tätigen Verkehrsunternehmens ausdrücklich genannt. Der Bundesgesetzgeber erachte die Fahrzeugförderung folglich als mit dem eigenwirtschaftlichen Linienverkehr vereinbar.
  • Bei der durch das Land Mecklenburg-Vorpommern über den Beklagten als zuständige Behörde gewährten Fahrzeugförderung handele es sich nicht um Ausgleichsleistungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, weshalb der Fahrzeugförderung für die Klägerin auch nicht die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 entgegenstehe. Die Fahrzeugförderung erfolge nicht zum Ausgleich von finanziellen Nachteilen, die sich aus behördlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des von der Klägerin betriebenen Linienverkehrs ergeben. Die Fahrzeugförderung stelle eine Fördermaßnahme außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EG) Nr. 1370/2007 dar.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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