Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet
Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Zum 1. Januar 2023 wurde die eAU für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer*innen nach einem eher holprigen Start verpflichtend eingeführt. Arbeitgeber erhalten künftig regelmäßig keine AU-Bescheinigung in Papierform, sondern sie müssen eine eAU bei der zuständigen Krankenkasse abrufen. Dies stellt die Unternehmen vor rechtliche und tatsächliche Herausforderungen.
Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Meldepflichten der Arbeitnehmer* innen bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit ergeben sich aus § 5 EFZG: Der erkrankte Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen (sog. Anzeigepflicht). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat er eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen (sog. Nachweispflicht).
Der Arbeitgeber ist nach § 5 Satz 3 EFZG Satz 3 berechtigt, eine Vorlage auch schon früher zu verlangen. In der Praxis wird hiervon – insbesondere durch entsprechende Regelungen im Arbeitsvertrag – vielfach Gebrauch gemacht.
Die bisherige Nachweispflicht ist nunmehr entfallen. Der gesetzlich neu eingefügte § 5 Abs. 1a EFZG sieht grundsätzlich nur noch eine Verpflichtung der Arbeitnehmer*innen vor, die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer feststellen und sich hierzu eine ärztliche Bescheinigung aushändigen zu lassen.
Abläufe
Nach § 295 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen dazu verpflichtet, alle notwendigen Informationen elektronisch unter Nutzung des sicheren Übermittlungsverfahrens über die Telematikinfrastruktur mit Verschlüsselung des Dokuments und qualifizierter elektronischer Signatur unmittelbar elektronisch an die gesetzliche Krankenkasse zu übermitteln.
Die Krankenkasse hat nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die insbesondere
- den Namen des Beschäftigten,
- Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit,
- das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
- die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
- die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall beruht,
enthalten.
Arbeitgeber müssen die Daten bei der zuständigen Krankenkasse elektronisch abrufen. Ein solcher Abruf darf durch den Arbeitgeber allerdings nur dann erfolgen, wenn dieser zum Erhalt der Daten berechtigt ist. Eine Berechtigung liegt vor, sofern für die angefragten Zeiträume ein Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers beim Arbeitgeber bestand und der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die abzurufende Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorab mitgeteilt hat. Ein automatischer Datentransfer findet nicht statt.
Aufgrund dieser Neuerungen erhält der Arbeitgeber künftig keine Kenntnis von dem ausstellenden Arzt. Aus Arbeitnehmersicht und unter Aspekten des Schutzes des Persönlichkeitsrechts ist dies nachvollziehbar, andererseits dürfte diese Neuerung dazu führen, dass Fälle einer lediglich vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit oder einer tatsächlichen Folgeerkrankung trotz Erstbescheinigung noch schwerer zu ermitteln sein dürften. Gleichzeitig entfällt die Möglichkeit des Arbeitgebers, den Medizinischen Dienst der Krankenkasse aktiv einzubinden, da sich Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit oder der Anlass für die Einschaltung des medizinischen Dienstes in der Praxis häufig aus den Informationen der vom Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergaben.
Problemfälle
In der Praxis dürften nicht selten einige Tage Zeit vergehen, bis der Arbeitgeber die eAU abrufen kann, da die Abrufbarkeit von der Übermittlung durch Vertragsarzt und Krankenkasse abhängig ist. Der Arbeitgeber ist daher möglicherweise für einen längeren Zeitraum darüber im Unklaren, ob der Arbeitnehmer seiner Feststellungspflicht tatsächlich nachgekommen ist. Fraglich ist, ob eine entsprechende arbeitnehmerseitige Mitteilungspflicht als vertragliche Nebenpflicht besteht. Hilfreich könnte hierzu eine entsprechende klarstellende vertragliche Regelung sein, welche die Arbeitnehmer*innen verpflichten, die erfolgte ärztliche Feststellung dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen.
Offen ist bislang, ob der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung gem. § 7 EFZG bei Störfällen im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1a EFZG einstellen darf. Hierzu ließe sich u. E. vertreten, dass § 7 EFZG analog anwendbar ist, wenn Arbeitnehmer*innen schuldhaft ihre Pflicht, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen, verletzt haben.
Weiter wird bei Störfällen je nach den Umständen des Einzelfalls zu klären sein, wer die Arbeitsunfähigkeit zu beweisen hat.
Praxishinweise
Soweit noch nicht abschließend geschehen, müssen die Unternehmen ihre Prozesse überprüfen und anpassen. Da die eAU nur für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer* innen – mit Ausnahme der geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten – eingeführt wurde und die Änderungen insbesondere für privat krankenversicherte Arbeitnehmer*innen, für Feststellungen durch Privatärzt*innen oder für eine im Ausland aufgetretene Arbeitsunfähigkeit nicht gelten, sind die Unternehmen gehalten, die Abläufe und Verfahren zweigleisig zu gestalten.
Die vertraglichen oder betrieblichen Regelungen zur Nachweispflicht, die häufig von den gesetzlichen Vorgaben abweichen, sind anzupassen und hinsichtlich der sich ergebenden gesetzlichen Lücken angesichts der ausstehenden Rechtsprechung ggf. zu ergänzen. Dies gilt insbesondere für Arbeitsverträge, Dienst- oder Betriebsvereinbarungen sowie ggf. für Handlungsanweisungen und Richtlinien etc.
Letztlich sollten die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen die im Zusammenhang mit der Einführung der eAU geänderten gesetzlichen Vorgaben sowie die bisherige Rechtslage im Unternehmen möglichst kumulativ abbilden. Die derzeit vielerorts vorhandenen unklaren Regelungen führen ansonsten zu rechtlichen Unsicherheiten, welche es insbesondere in belasteten Arbeitsverhältnissen, bei welchen nicht ordnungsgemäße Krankmeldungen häufig Gegenstand von Abmahnungen oder sonstigen arbeitgeberseitigen Maßnahmen sind, zu vermeiden gilt.
Autorin
Marion Plesch
Tel: +49 30 208 88 1146
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