Gesetzgebung in der Gaskrise
Gesetzgebung in der Gaskrise
Zunächst soll mit dem rd. 600 Seiten starken „Osterpaket“ der Umbau des Energieversorgungsystems hin zu erneuerbaren Energien gelingen. Überschattet wird die energierechtliche Novelle jedoch durch weitere Gesetzesinitiativen, die auf die Bewältigung der Folgen des Ukraine-Krieges zielen. In einem beispiellosen Krisenmanagement von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ist es unter höchstem Zeitdruck gelungen, einige wichtige Regelungen für den möglichen Gasnotfall zu verabschieden. Wir fassen zusammen, mit welchen rechtlichen Instrumenten die Auswirkungen eines Gasnotfalls aufgefangen werden sollen.
Kohle statt Gas
Mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG) soll die Reduzierung des Gasverbrauchs im Gefährdungsfall des Gasversorgungssystems u. a. dadurch gelingen, dass die Verstromung von Erdgas mit einer Pönale versehen wird. Der Betrieb von Gaskraftwerken wird also erheblich eingeschränkt. Die dann im Markt und in den Netzen fehlende Energie soll durch Zuschaltung weiterer Erzeugungskapazitäten u. a. durch Kohlekraftwerke kompensiert werden. Flankierend hierzu hat die Bundesregierung am 13. Juli 2022 die Stromangebotsausweitungsverordnung (StaaV) beschlossen, nach der Kohlekraftwerke aus der Netzreserve an den Strommarkt zurückkehren können. Dies gilt auch für Kraftwerke, für die ab dem 31. Oktober 2022 das Kohleverfeuerungsverbot gilt. Hier wird der „Ausstieg aus dem Ausstieg“ der Kohleverstromung vorbereitet.
Weitergabe von Mehrkosten der Gasbeschaffung nach Energiesicherungsgesetz (EnSiG)
Energiepreise explodieren sprichwörtlich und leider ist zu befürchten, dass sich die Situation an den Handelsplätzen weiter zuspitzen wird. Mit dem bereits im Mai 2022 novellierten Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) wurde ein außerordentliches gesetzliches Preisanpassungsrecht entlang der gesamten Lieferkette für den Fall geregelt, dass Gaslieferungen nach Deutschland ausbleiben oder drastisch gekürzt werden und Importeure daher auf eine teure Ersatzbeschaffung angewiesen sind, um ihre Lieferverpflichtungen gegenüber ihren Kunden erfüllen zu können. Voraussetzung für ein solches Preisanpassungsrecht ist jedoch, dass die BNetzA eine erhebliche Minderung der Gasimportmengen nach Deutschland festgestellt hat. Diese Feststellung ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen.
Bei Anwendung des gesetzlichen Preisanpassungsrechts sind vertraglich vereinbarte Preisanpassungsrechte ausgesetzt. Es ist dem Kunden rechtzeitig vor ihrem Eintritt mitzuteilen und zu begründen. In diesem Fall hat der Kunde ein außerordentliches Kündigungsrecht. Auf der anderen Seite können Versorger die Lieferverpflichtung gegenüber Kunden nicht mehr einfach wegen stark gestiegener Beschaffungskosten unter Verweis auf „höhere Gewalt“ verweigern. Denn ein solches Leistungsverweigerungsrecht unterliegt jetzt der Genehmigungspflicht durch die Bundesnetzagentur.
Nach Aufhebung der Feststellung der erheblichen Minderung der Gasimportmengen durch die BNetzA haben Kunden von Energieversorgungsunternehmen, die von dem Preisanpassungsrecht gemacht haben, das Recht, eine Preissenkung auf ein angemessenes Niveau zu verlangen.
Die sich aus einem Preisanpassungsrecht punktuell ergebenden Härten sollen schließlich verhindert werden, indem die Mehrkosten der Erdgasbeschaffung solidarisiert werden. Zu diesem Zwecke hat die Bundesregierung die neue „Gasbeschaffungsumlage“ (Gasumlage) beschlossen, die ab dem 1. Oktober 2022 erhoben wird. Hinsichtlich der Frage, wie die neue Umlage an Gas- und Wärmekunden weiterzugeben ist, besteht aktuell Rechtsunsicherheit.
Wärme – kurzfristige Preisanpassungen gegen Sonderkündigungsrecht
Im Windschatten zu den Notfallregelungen im Gasbereich soll auch das Wärmepreisrecht krisentauglich gemacht werden. So wurde jüngst mit einer Änderung der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme am 18. Juli 2022 ein Sonderpreisanpassungsrecht für Wärmeversorgungsunternehmen eingeführt, die Wärme aus Gas erzeugen. Für den Fall, dass der Gaslieferant des Wärmeversorgungsunternehmens die Gaslieferpreise seinerseits nach dem EnSiG anpasst, ist das Wärmeversorgungsunternehmens gegenüber den Wärmekunden berechtigt, den Zeitpunkt für die Preisanpassung abweichend vom vertraglich vereinbarten Termin vorzuziehen. Es können also Brennstoffpreissteigerungen für Gas zeitnah an die Wärmekunden weitergegeben werden. Im Gegenzug erhalten die Wärmekunden jedoch ein Sonderkündigungsrecht, was im Einzelfall vor dem Hintergrund der von den Wärmeversorgern getätigten Investitionen als kritisch anzusehen ist.
Soweit Gaspreiserhöhungen auf der Einführung der Gasumlage beruhen, ist dieser Preisanpassungsmechanismus für Wärmeversoger aus unserer Sicht jedoch nicht zwingend vorgegeben. Denn hoheitliche Belastungen werden in Wärmelieferverträgen üblicherweise über die sog. Steuern- und Abgabenklausel weitergegeben.
Abgestufte Abschaltreihenfolge für Gas?
Abgestufte Abschaltreihenfolge für Gas?Der Notfallplan Gas in Deutschland sieht drei Krisenstufen vor: Am 30. März 2022 hat die Bundesregierung die Frühwarnstufe (1) und am 23. Juni 2022 die Alarmstufe (2) ausgerufen. Schließlich kann die Bundesregierung im Falle einer gestörten Gasversorgung einen nationalen Krisenfall durch Ausrufen der Notfallstufe (3) feststellen (wir berichteten, Newsletter 2/2022). Dann stehen der Bundesnetzagentur (BNetzA) als Bundeslastverteilerin umfangreiche Maßnahmen zur Lastverteilung und Sicherung der Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Gas zur Verfügung. Je nach Ausprägung der Notlage können dies u. a. Reduzierungen des Gasbezugs und Anweisungen zum Brennstoffwechsel sein. Adressaten entsprechender Verfügungen können Erzeuger, Händler, Versorger, Netzbetreiber und Verbraucher sein.
Unabhängig vom Tätigwerden der BNetzA können Gasnetzbetreiber schon vorher nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) Maßnahmen zur Beseitigung von Gasversorgungsstörungen treffen.
Aber wer wird zuerst abgeschaltet? Von einer Gasreduktion ausgenommen sind zunächst sog. geschützte Kunden. Hierzu zählen u. a. Haushaltskunden und kritische Bereiche, wie etwa das Gesundheitssystem und die öffentliche Verwaltung. Für die übrigen Bereiche betont die BNetzA, dass es keine feste Abschaltreihenfolge geben soll. Es sei vielmehr beabsichtigt, Maßnahmen sorgfältig und nach Möglichkeit auch individuell nach abgestuften Kriterien abzuwägen. Konkrete Auswahlkriterien gibt es allerdings noch nicht. In Veröffentlichungen der BNetzA heißt es, dass Aspekte wie die Grundnahrungs- und Arzneimittelproduktion und zu erwartende volksund betriebswirtschaftliche Schäden jedenfalls berücksichtigt werden müssten.
Wie die BNetzA selbst feststellt, kann die Behörde auf Grundlage ihrer aktuellen Datengrundlage keine sorgfältig abgewogenen Einzelfallentscheidungen treffen. Sofern die Notfallstufe kurzfristig in den nächsten Wochen ausgerufen würde, könnten Anordnungen ausschließlich gegenüber Letztverbrauchergruppen oder ganzen Branchen ergehen. Um Kriterien für sachgerechte Einzelfallentscheidungen festzulegen, will die BNetzA bis zum 14. Oktober 2022 über eine Studie (Vulnerabilitätsstudie Gasmangellage) Wertschöpfungsketten identifizieren, in denen Erdgas eine bedeutende Rolle einnimmt. Konkret soll dabei analysiert werden, wie sich die Gasmengenbezugsreduktion für die Gasletztverbraucher auf bestimmte Wertschöpfungsketten und die Versorgung der Bevölkerung mit kritischen Gütern und Dienstleistungen auswirkt.
Autoren
Dr. Hans-Christoph Thomale
Tel: +49 69 967 65 1750
Tarek Abdelghany
Tel: +49 69 967 65 1613
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.