Vorbereitung auf die Gasmangellage in Deutschland

Der drohende Lieferstopp von Gas aus Russland zwingt die Bundesregierung zu einer Reihe von Maßnahmen. Am 30. März 2022 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine die sog. Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans ausgerufen. In der Bundesnetzagentur (BNetzA) wurde ein „Krisenstab Gas“ geschaffen, der u. a. aus 65 Mitarbeiter*innen der Bundesnetzagentur, dem Marktgebietsverantwortlichen (MGV), den Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreibern sowie aus Vertretern der Bundesländer und Verbände besteht.

Was regelt der Notfallplan Gas?

Im Notfallplan Gas werden im Verlauf einer Versorgungskrise drei Krisenstufen beschrieben: Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Dabei soll einer drohenden oder eintretenden Unterversorgung in den ersten beiden Stufen zunächst mit marktbasierten Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen begegnet werden. Erst in der dritten Stufe tritt der eigentliche Gasnotfall ein. In diesem Szenario wurden alle marktbasierten Maßnahmen erfolglos ergriffen, aber das Gas reicht trotzdem nicht mehr für eine normale Versorgung. Die BNetzA ist als Bundeslastverteiler nun ermächtigt, hoheitliche Maßnahmen per Rechtsverordnung oder Einzelakt zu ergreifen. Sie kann Erzeugern, Händlern, Netzbetreibern und Verbrauchern praktisch alle erforderlichen Schritte aufgeben, um den Notfall entweder zu beseitigen oder doch wenigstens den lebenswichtigen Bedarf an Gas zu gewährleisten.

Was ist seit Ausrufung der Frühwarnstufe passiert?

Einige Industrie- und Gewerbekunden wurden bereits von den vorgelagerten Gasnetzbetreibern angeschrieben. Zunächst wird geprüft, ob der Kunde dem geschützten Kreis des § 53a Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) angehört. Hierzu zählen u. a. Haushalts- oder SLP-Kunden, soziale Dienste, Krankenhäuser, Reha und Pflege, Justizvollzugsanstalten, Feuerwehr, Polizei sowie Wärmeversorger. In aller Regel ist dem Schreiben ein Fragebogen beigefügt, in dem angegeben werden soll, wofür das bezogene Erdgas verwendet wird und ob auf einen alternativen Energieträger umgeschaltet werden kann. Auch wird abgefragt, welche Folgen eine mögliche Lastreduktion für Anlagen, Personen und Umwelt hätte.

Auch die BNetzA hat nun mit der Datenabfrage für industrielle Letztverbraucher begonnen. Aufgefordert werden zunächst Unternehmen, die über mindestens eine Entnahmestelle mit einer technischen Anschlusskapazität von mehr als 10 MWh/h verfügen. Daneben ist die Errichtung einer digitalen Plattform zum 1. Oktober 2022 geplant, auf der Industriebetriebe und Gashändler verschiedene Daten hinterlegen sollen. Mit diesen Daten sollen im Krisenfall Reduktionspotenziale identifiziert und Abschaltungen digital umgesetzt werden.

Was können Erdgaskunden jetzt schon tun?

Auch wenn noch kein akuter Gasmangel besteht und die Versorgung mit Gas bis auf Weiteres gesichert ist, verbleibt die Ungewissheit darüber, was in den nächsten Monaten passieren wird.

Sinnvoll kann es für Unternehmen sein, sich bereits im Rahmen der Datenabfrage der Gasnetzbetreiber verstärkt einzubringen, um für den Fall einer Engpasssituation die für die Prüfung notwendigen unternehmensindividuellen Informationen bereits beim Netzbetreiber oder bei der BNetzA platziert zu haben. Tritt der Worst Case tatsächlich ein, ist eine umfassende Datengrundlage für die Netzbetreiber und die BNetzA als Bundeslastverteiler von entscheidender Bedeutung.

Es ist in einigen Fällen sicher empfehlenswert, die spezifische Situation des Unternehmens, ggf. auch Rechtsansichten, in einem Begleitschreiben darzulegen. Stellt ein Unternehmen beispielsweise Produkte her, die essenziell für den täglichen Betrieb eines Krankenhauses sind, so müsste es als „kritischer Dienstleister“ dem geschützten Personenkreis des § 53a EnWG bereits angehören oder diesem zumindest gleichgestellt werden. Jedenfalls sollte der Netzbetreiber zumindest die Information darüber haben, dass im Ernstfall Leib und Leben von der Gaslieferung abhängen können. Denn es gilt: Je mehr Informationen einem Netzbetreiber über die kundeneigenen Tätigkeiten und Prozesse zur Verfügung stehen, desto bessere Abwägungsentscheidungen wird er im Notfall treffen.

Bin ich als Kunde vor der Abschaltung geschützt?

In § 53a Satz 1 Nr. 1 bis 3 EnWG findet sich eine Aufzählung derjenigen Letztverbraucher, die als schutzwürdig gelten und deren Energieversorgung auch im Krisenfall gesichert werden muss.

Neben Haushaltskunden, also Privathaushalten und Kleinunternehmen mit einem Verbrauch bis maximal 10.000 kWh, erfasst die Norm auch SLP-Kunden mit stündlicher Ausspeiseleistung von maximal 500 kWh und jährlicher Gasentnahme von maximal 1.500 MWh. Dies sind im Wesentlichen kleine und mittlere Unternehmen aus dem Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Darüber hinaus sind sonstige Letztverbraucher geschützt, die Haushaltskunden zum Zwecke der Wärmeversorgung beliefern. Dies können etwa solche sein, die Blockheizkraftwerke im Quartier betreiben und auf Erdgas zum Betrieb der Wärmeerzeugungsanlagen angewiesen sind. Der (Schutz-)Anspruch ist jedoch auf das zur Wärmeversorgung benötigte Erdgas begrenzt.

Daneben bezieht die Vorschrift seit der En- WG-Novelle im Jahr 2021 auch „grundlegende soziale Dienste“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 Security of Supply-Verordnung (SoS-VO) ein. Nach der Gesetzesbegründung sind hiervon in erster Linie solche Einrichtungen erfasst, in denen Menschen vorübergehend oder dauerhaft stationär behandelt werden oder leben und die sie nicht ohne Weiteres verlassen können sowie Einrichtungen, die hoheitliche Aufgaben zur öffentlichen Sicherheit zu erfüllen haben.

Nach unserem Verständnis legt weder der Wortlaut des § 53a Satz 1 Nr. 2 EnWG noch die Auflistung in der Gesetzesbegründung zu § 53a EnWG (BT-Drs. 19/27453, S. 133) ein abschließendes Verständnis der geschützten Einrichtungen innerhalb der „grundlegenden sozialen Dienste“ nahe. Auch der BDEW spricht in seinem Leitfaden Krisenvorsorge Gas insoweit nur von einer „beispielhaften“ Nennung der Einrichtungen. Daher ist die Prüfung des Einzelfalls notwendig und eine Ausweitung des Schutzes auf Dienstleister, die aufgrund ihrer Tätigkeit den nach § 53a EnWG geschützten Kunden zumindest gleichgestellt werden, in bestimmten Fällen geboten. Hierfür kommt es nach unserem Dafürhalten nach der oben zitierten gesetzlichen Begründung allein darauf an, inwieweit „eine Unterbrechung der Gasversorgung ohne besonderen Schutz zu einer weitergehenden Gefahr für Gesundheit oder Leben von Personen führen würde.

Neben § 53a EnWG regelt das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) in § 1 Satz 2, dass zum lebenswichtigen Bedarf, der im Falle einer Störung der Erdgaseinfuhren zu sichern ist, auch derjenige Bedarf gehört, der zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und internationaler Verpflichtungen erforderlich ist. In diesem Zusammenhang stellt § 1 Abs. 4 Gassicherungsverordnung klar, dass die Deckung des Gasbedarfs zur Erfüllung öffentlicher und anderer für die Bevölkerung lebenswichtiger Aufgaben durch Abschaltungen so wenig wie möglich beeinträchtigt werden darf. Leider bleibt dabei unklar, was konkret unter die „Erfüllung öffentlicher Aufgaben“ fällt und ob hiervon z. B. die gesamte öffentliche Verwaltung umfasst sein soll.

Was passiert, wenn ich kein geschützter Kunde nach § 53a EnWG bin und nicht mehr ausreichend Erdgas vorhanden ist?

Sofern es tatsächlich dazu kommen sollte, dass die Notfallstufe durch die Bundesregierung festgestellt wird, erlässt die BNetzA als Lastverteiler nach der zuvor erstellten Reihenfolge Verfügungen, in welchen Abschaltungen oder Leistungsreduzierung angeordnet werden. Zwar betont die BNetzA, dass es keine abstrakte Abschaltreihenfolge gebe, allerdings werden derzeit mehr oder weniger abstrakte Kriterien erarbeitet, die bei Abwägungsentscheidung über die Abschaltung im Einzelfall herangezogen werden.

Die maßgeblichen Kriterien sind noch nicht bekannt. Auf Anfrage wurde uns seitens der BNetzA mitgeteilt, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahmen abgegeben werden können. Die Entscheidungen im Rahmen der Lastverteilung würden sich am lebenswichtigen Bedarf an Energie orientieren. Dieser Bedarf könne, je nach Lage, grundsätzlich in einer Vielzahl an Kundengruppen vorzufinden sein, so die Pressestelle der BNetzA.

Was gilt für Versorger?

Da in der aktuell geltenden Frühwarnstufe lediglich die Märkte evaluiert werden, sind die Versorger selbstverständlich weiterhin an ihre vertraglichen Lieferverpflichtungen gebunden. Erst ab der Alarmstufe stellt sich die Frage, ob dies für Versorger überhaupt noch wirtschaftlich zumutbar bzw. tatsächlich möglich ist – auch vor dem Hintergrund, dass Versorger, die Letztverbraucher beliefern, ggf. selbst nicht mehr von ihren Vorlieferanten beliefert werden können.

Aus rechtlicher Sicht ist in diesem Szenario entscheidend, inwieweit die Lieferverpflichtung des Versorgers im Falle einer Gasmangellage vertraglich zumutbar ist. Der Gesetzgeber hat hierauf reagiert, indem er im Gesetzesentwurf zum neuen EnSiG vom 26. April 2022 (BT-Drucks. 20/1501) allen von einer Reduzierung der Gesamtgasimportmengen betroffenen Versorgern entlang der gesamten Lieferkette das Recht zugestanden hat, die Gaspreise gegenüber Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen.

Die Preisanpassung ist dem Kunden rechtzeitig mitzuteilen. Im Gegenzug hat der Kunde ein außerordentliches Kündigungsrecht, das unverzüglich nach Zugang der Preisanpassungsmitteilung auszuüben ist. Macht der Versorger von seinem Preisanpassungsrecht Gebrauch, so ist die Preisanpassung rückgängig zu machen, wenn die Alarm- und Notfallstufe durch die BNetzA aufgehoben wird und der Kunde Vertragsanpassung verlangt.

Nach § 53a EnWG steht die Versorgungssicherung durch den Versorger zudem unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. In welchen Fällen von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auszugehen ist, unterliegt einer Einzelfallbetrachtung, bei der die ökonomischen Interessen des Versorgers und des Kunden miteinander abzuwägen sind. Wirtschaftlich unzumutbar sind jedenfalls Maßnahmen, die zur Existenzgefährdung des Versorgers führen könnten.

Entscheidend werden in diesem Zusammenhang die konkreten vertraglichen Regelungen sein, also ob z. B. Wirtschaftsklauseln vereinbart wurden oder ob im Einzelfall das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage einschlägig ist. Hier liegen die rechtlichen Anforderungen an die Unzumutbarkeit von Gaslieferungen jedoch ziemlich hoch.

Sollte der Zugriff auf Gasmengen tatsächlich nicht mehr möglich sein, tritt auch rechtlich ein Fall der Unmöglichkeit ein. Dann wären Versorger von ihrer Lieferpflicht befreit. Versorger wären mangels schuldhafter Verursachung i.d.R. auch nicht zum Schadensersatz verpflichtet.

Autoren

Dr. Hans-Christoph Thomale
Tel: +49 69 967 65 1750

Tarek Abdelghany
Tel: +49 69 967 65 1613

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

Kontakt