250.000 € Abfindung, eine ermittelnde Staatsanwaltschaft und ein zurückgetretener Bürgermeister
250.000 € Abfindung, Ermittlungen und Rücktritt
Bei dem Beklagten handelte es sich um einen Verwaltungsangestellten, der seit Januar 2008 bei der klagenden Stadt in NRW gegen ein Bruttojahresgehalt von ca. 40.000 € beschäftigt war. Zudem war er schwerbehindert mit dem Grad der Behinderung 50 und seinen beiden Kindern unterhaltspflichtig.
Nach dem Wortlaut des Aufhebungsvertrages wurde das Arbeitsverhältnis „in beiderseitigem Einvernehmen auf Veranlassung des Arbeitgebers mit Ablauf des 31. August 2019“ aufgehoben, „um eine sonst zwingende betriebsbedingte Kündigung zu vermeiden“. Dem vorausgegangen waren Differenzen mit dem Vorgesetzten u. a. wegen der Einführung eines neuen Schichtmodells im Außendienst der Stadt. Der Auflösungsvertrag sah vor, dass der Arbeitgeber zur Wahrung des sozialen Besitzstandes insbesondere eine Abfindung in Höhe von 250.000,00 € brutto zahlen sollte. Des Weiteren sollte der Beschäftigte unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeitsleistung freigestellt werden.
Vor Vertragsunterzeichnung hörte die Klägerin den bei ihr gebildeten Personalrat über die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich an. Die Höhe der Abfindung wurde dem Personalrat zumindest in diesem Anhörungsschreiben nicht mitgeteilt. Nach der Sitzung des Personalrats teilte dieser mit, dass er auf eine Stellungnahme verzichtete.
Die Stadt zahlte den Abfindungsbetrag sowie vier Monatsgehälter für die verbleibende Vertragslaufzeit. Als der Fall publik wurde, empörte sich die Bürgerschaft und Widerstand regte sich in der Politik. In der Folge leitete die Kommunalaufsichtsbehörde ein Disziplinarverfahren ein und gab der Klägerin auf, das Geld zurückzufordern. Im Zuge dessen trat der Bürgermeister zurück. Zeitgleich erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn und den ehemaligen Personalleiter der Klägerin wegen Untreue und gegen den Beklagten wegen Beihilfe zur Untreue.
Die Klage
Die Stadt ihrerseits erhob Klage vor dem Arbeitsgericht und forderte die Abfindung wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurück. Der Aufhebungsvertrag sei unwirksam. Die Unwirksamkeit stütze sie dabei auf mehrere Rechtsgründe:
1. Fehler bei der Beteiligung des Personalrats
Zum einen sei der Aufhebungsvertrag unwirksam, weil die Stadt ihren Personalrat nicht ordnungsgemäß gemäß § 74 LPVG NRW angehört habe, unter anderem, weil sie ihm nicht die Höhe der beabsichtigten Abfindung mitgeteilt habe.
2. Verstoß gegen die Grundsätze sparsamer Haushaltsführung
Die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages folge aus der Zusage einer unzulässigen Gegenleistung und verstoße deshalb gegen die Vorschriften über öffentlich-rechtliche Verträge. Die Unzulässigkeit der Gegenleistung ergebe sich aus § 75 Abs. 1 GO NRW, dem sich das Postulat der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entnehmen lasse. Wenn überhaupt, dann wäre eine Abfindung in Höhe von ca. 20.000,00 € vertretbar gewesen. Es läge eine völlig unangemessene Überhöhung der Abfindung vor.
3. Verstoß gegen das Strafgesetzbuch
Der Auflösungsvertrag sei auch gemäß § 134 BGB i. V. m. § 266 StGB unwirksam. Durch die Gewährung dieser hohen Abfindungssumme läge Untreue im strafrechtlichen Sinn vor.
4. Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit des Aufhebungsvertrages
Der Auflösungsvertrag sei auch gemäß § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Die Stadt warf dem Beklagten vor, „er habe es besser wissen müssen“ und sich der Einsicht grob fahrlässig verschlossen, dass es sich bei der Annahme einer so hohen Abfindung nicht mehr um ordnungsgemäße Verwendung öffentlichen Vermögens handle.
Entscheidung in der Berufungsinstanz
Während das Arbeitsgericht in erster Instanz geurteilt hatte, dass der Beklagte das Geforderte zurückzahlen müsse, entschied das Landesarbeitsgericht als zweite Instanz, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung der Abfindung gegen den Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. BGB habe, weil die Abfindung aufgrund des wirksamen Abfindungsvertrages mit rechtlichem Grund erlangt worden sei.
1. Verantwortlichkeit für die Fehler bei der Beteiligung des Personalrats
Zwar sei grundsätzlich der Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach § 74 Abs. 3 LPVG NRW ohne Beteiligung des Personalrats unwirksam, jedoch dürfe sich die Klägerin darauf nicht berufen, weil sie selbst die fehlerhafte Anhörung verschuldet hatte. Einer Berufung auf diesen Fehler stehe das Verbot widersprüchlichen Verhaltens unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 74 Abs. 2, Abs. 3 LPVG NRW entgegen. Der Personalrat habe die Privatautonomie zum Abschluss von Aufhebungsverträgen zu respektieren, ihm solle jedoch durch § 74 LPVG NRW die Möglichkeit gegeben werden, den betroffenen Arbeitnehmer anzuhören und ggf. auf ihn einzuwirken, um ihn vor möglicherweise übereilten bzw. nicht sachgerechten Entscheidungen zu bewahren. Zu berücksichtigen sei auch, dass die nicht ordnungsgemäße Information des Personalrats ausschließlich in der Sphäre des Arbeitgebers liege und etwaige Fehler bei der Anhörung des Personalrats für den betroffenen Arbeitnehmer in der Regel praktisch nicht erkennbar seien.
2. Kein Verstoß gegen Grundsätze der sparsamen Haushaltsführung
Weil es sich bei dem Arbeitsverhältnis um einen Vertrag des bürgerlichen Rechts handle, seien die Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag schon gar nicht anwendbar.
3. Kein Verstoß gegen das Strafgesetzbuch
Es sei darüber hinaus nicht ersichtlich, dass der Beklagte durch die ausgehandelte Abfindungssumme eine Untreue gemäß § 134 BGB, § 266 StGB gegenüber der klagenden Stadt bezweckt habe. Den Beklagten treffe nicht die Pflicht, die Vermögensinteressen der Klägerin wahrzunehmen. Allgemeine schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere solche aus Austauschverhältnissen wie einem Arbeitsverhältnis, reichen nicht aus. Für eine Beihilfe fehle es an dem erforderlichen Vorsatz.
4. Keine Sittenwidrigkeit
Damit eine etwaige Sittenwidrigkeit zu bejahen gewesen wäre, hätte der Beklagte eine Zwangslage der klagenden Stadt ausgebeutet haben müssen oder die Unerfahrenheit, einen Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche der Stadt ausgenutzt haben müssen – was er nicht getan habe.
Konsequenzen aus dem Urteil
Zwar ist das Erfordernis der Anhörung des Personalrats vor Abschluss eines Aufhebungs- oder Beendigungsvertrages im nordrheinwestfälischen Recht in § 74 LPVG NRW bundesweit singulär (vgl. Groeger, Arbeitsrecht im Öffentlichen Dienst, 3. Auflage, Seite 536). Dennoch ist diese Entscheidung des LAG Hamm von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie vor Augen führt, dass Fehler des Arbeitgebers, die in dessen Verantwortungsbereich passieren, unverzeihlich sind. Arbeitgeber müssen sich den Schutzzweck des Personalvertretungsrechts bewusst machen. Eine unzureichende Unterrichtung kann auf den Arbeitgeber selbst zurückfallen.
Bereut der Arbeitgeber nachträglich Zusagen, die er innerhalb eines Aufhebungsvertrages gewehrt hat, so kann er sein eigenes Versäumen und bereitwilliges Nachgeben nicht entschuldigen, indem er dem Beschäftigten vorwirft, planmäßig und mit Bereicherungsabsicht vorgegangen zu sein. Sich so aus der Verantwortung für eine unausgewogene Vertragsverhandlung zu ziehen, wird von den Gerichten als widersprüchliches Verhalten abgestraft. Die Verteilung der Verantwortungsbereiche ist durch die Gesetzgebung über Arbeitsverhältnisse klar abgegrenzt.
Der Fall zeigt darüber hinaus, dass überhöhte Vergütungen, Abfindungen oder sonstige Konditionen bei Einrichtungen und Unternehmen der öffentlichen Hand zu weitreichenderen Folgen (wie insbesondere Haftungsfragen oder strafrechtliche Vorwürfe) führen können. Bei solchen besonderen Zahlungen, wie auch z. B. bei Zahlungen an Organmitglieder öffentlicher Unternehmen, sollte die Angemessenheit sorgfältig geprüft und ggf. entsprechende Fachexpertise in Anspruch genommen werden. Bei Fragen zur Gestaltung entsprechender Vereinbarungen sowie zur Angemessenheit der Konditionen können Sie uns gern ansprechen.
Autorinnen
Ramona Leutschaft
Tel: +49 30 208 88 1251
Marion Plesch
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