Dringlichkeitsvergaben I: „Buslinienverkehr Enzkreis“
Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 (15 Verg 8/20) nachdrücklich die Möglichkeit sogenannter „Dringlichkeitsvergaben“ bestätigt, indessen jedoch aufgezeigt, dass diese nur in engen Grenzen zulässig sind.
Eine „Dringlichkeitsvergabe“ steht danach dem öffentlichen Auftraggeber zwar grundsätzlich nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV offen. Entsprechende Aufträge dürfen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aber nur vorgenommen werden, wenn
- äußerst dringliche, zwingende Gründe vorliegen,
- diese Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen stehen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, und
- diese Gründe es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind.
Die Umstände, die zur Begründung der äußersten Dringlichkeit führen, dürfen dem öffentlichen Auftraggeber folglich nicht zuzurechnen sein.
Bei Dauerschuldverhältnissen (hier: Verkehrsvertrag zur Durchführung von Buslinienverkehr), die wegen Dringlichkeit aufgrund eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb eingegangen werden, dürfen nicht für eine unbeschränkte Laufzeit eingegangen werden. Vielmehr müssen diese auf den erforderlichen Zeitraum beschränkt werden, in dem eine Auftragsvergabe aufgrund eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens, wie unter anderem dem offenen und dem nicht offenen Verfahren sowie einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, möglich ist.
Grundsätzlich ist die Dauer eines im Wege der Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vergebenen Vertrags auf den Zeitraum zu beschränken, der für die Erhaltung der Kontinuität der Leistungserbringung während der Vorbereitung und Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens erforderlich ist.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der ÖPNV-Aufgabenträger (Antragsgegner) für den Zeitraum von zwei Jahren eine wettbewerbsfreie Dringlichkeitsvergabe vornehmen wollen, und zwar an die Beigeladene, die die Verkehre bis dahin eigenwirtschaftlich erbracht hatte. Die Neuvergabe wurde erforderlich, weil sich die Beigeladene von ihrer Betriebspflicht – wegen offenbarer Unwirtschaftlichkeit der eigenwirtschaftlichen Erbringung – entbinden lassen hatte.
Das OLG Karlsruhe erachtete die geschlossenen Verträge gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB als unwirksam. Durch die Abschlüsse der Verträge habe der Antragsgegner gegen Vergabevorschriften verstoßen. Insbesondere sei davon auszugehen, dass der öffentliche Auftraggeber
- nicht auf eine vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt verzichten durfte, weil er nicht plausibel machen konnte, dass ihm keine ausreichende Zeit zur Verfügung stand, um ein Vergabeverfahren mit vorheriger Bekanntmachung durchzuführen,
- die Laufzeit des vergebenen Vertrages nicht lediglich auf den Zeitraum beschränkt hat, der für die Erhaltung der Kontinuität der Leistungserbringung während der Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens erforderlich ist, und
- auch die Durchführung der Dringlichkeitsvergabe (gem. § 14 Abs. 3 VgV) ohne – auch bei diesem Verfahren erforderlichen – angemessenen Bieterwettbewerb erfolgt ist.
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