Heben von Ambulantisierungspotenzialen durch einen neuen Einrichtungstyp

Es ist unstreitig, dass in Deutschland zu viele Eingriffe stationär erbracht werden, obwohl sie ambulant möglich wären. Ebenso ist unstreitig, dass die starke Sektorentrennung überwunden werden muss. Bestrebungen in diese Richtung gibt es schon länger, sei es in Form der Verträge der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V, des AOP-Katalogs nach § 115b SGB V bzw. der Einführung der Hybrid-DRGs. Erklärtes Ziel des KHVVG ist es nun, entsprechende Potenziale im Bereich der Ambulantisierung zu heben, und dafür wird ein neuer Einrichtungstyp bzw. sozialrechtlicher Status geschaffen:

Die Einführung und gezielte Förderung sektorenübergreifender Versorgungseinrichtungen wird angesichts der im internationalen Vergleich überdurchschnittlichen Zahl von Belegungstagen je Einwohner und langer Verweildauern dazu beitragen, die hohen Ambulantisierungspotenziale zu heben, so dass insbesondere ein Teil der heute im Rahmen kurzer Krankenhausaufenthalte von unter drei Tagen vollstationär behandelten Patientinnen und Patienten zukünftig verstärkt im Rahmen kosteneffizienterer, ambulanter Versorgungsmodelle behandelt werden wird.

Sehen wir uns einmal an, was sich der Gesetzgeber unter einer sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtung vorstellt:

Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen

Eine Definition des Einrichtungstyps findet sich in § 115g Abs. 1 Satz 1 SGB V:

„Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen sind Standorte von Krankenhäusern, die nach § 6c Absatz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung bestimmt worden sind und die nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 vereinbarten stationären Leistungen erbringen.“

Krankenhäuser oder Krankenhausstandorte

Im Entwurf des KHVVG hieß es, dass Krankenhäuser als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen bestimmt werden können. Nunmehr lautet die Formulierung so, dass Standorte von Krankenhäusern als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen bestimmt werden können. Beabsichtigt war mit dieser Änderung wohl, dass auch einzelne – rechtlich nicht selbstständige – Krankenhäuser sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen werden können.

Ob es sich darüber hinaus um bestehende Plankrankenhäuser oder Standorte von Plankrankenhäusern handelt, die zusätzlich den Status als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen erhalten, oder um Plankrankenhäuser bzw. Standorte von Plankrankenhäusern, die in eine sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung umgewandelt werden, wie es das KHVVG formuliert, die aber gleichwohl Krankenhäuser im Sinne des § 107 SGB V bleiben, ist wohl eher von akademischer Bedeutung. Richtig stimmig ist das ganze allerdings nicht, weil das KHVVG an anderer Stelle postuliert, dass Einrichtungen sektorenübergreifender Versorgung Gründer von medizinischen Versorgungszentren im Sinne des § 95 SGV sein können. Dies trifft nur auf ein Plankrankenhaus zu, nicht aber einen rechtlich unselbständigen Standort eines Plankrankenhauses.

Welche Krankenhäuser bzw. deren Standorte (auch) sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen werden, bestimmen die für die Krankenhausplanung zuständigen Behörden der Bundesländer (vgl. § 6c KHG). Zugleich können sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen Pflegeinrichtungen im Sinne von § 72 SGB XI sein.

Beschränkung auf Krankenhäuser bzw. Standorte mit bestimmten Leistungen

Problematisch erscheint indes, dass der Kreis der Krankenhäuser bzw. Krankenhausstandorte, die sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen werden können, von vornherein stark eingeschränkt ist. Dies ergibt sich aus § 115 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Nr. 1 SGB V. Danach vereinbaren die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Benehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherungen, welche stationären Leistungen der inneren Medizin und der Geriatrie sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen mindestens erbringen – im Entwurf noch anbieten – müssen und welche weiteren Leistungen sie anbieten können. Eine sektorenübergreifende Einrichtung kann damit überhaupt nur werden, wer bisher Leistungen der inneren Medizin und der Geriatrie erbracht hat.

Ambulante Leistungsangebote

Sektorenübergreifende Einrichtungen können Leistungen des ambulanten Operierens nach § 115b SGB V erbringen. Bei bestehender oder drohender Unterversorgung sind die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder zur Erbringung ambulanter Leistungen zu ermächtigen, und zwar nicht nur zur hausärztlichen Versorgung, wie ursprünglich vorgesehen, sondern auch zur fachärztlichen Versorgung (vgl. § 116a Abs. 2 und 3 SGB V). Wird der entsprechende fachärztliche Planungsbezirk wegen Überversorgung gesperrt, ist die Ermächtigung zu widerrufen.

Pflegerisches Leistungsangebot

Gemäß § 115g Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 können sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen Leistungen der Übergangs- und Kurzzeitpflege nach §§ 39c und 39e SGB V zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen.

Für sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen besteht zudem die Möglichkeit, voll- oder teilstationäre Leistungen der Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflege anzubieten, allerdings nur dann, wenn diese Leistung von Pflegeabteilungen erbracht wird, die organisatorisch und wirtschaftlich vom Krankenhaus getrennt und als stationäre Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 72 SGB V zugelassen sind. Dann erbringt aber im Grunde nicht die sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung die Pflegleistungen, sondern dann ist die Einrichtung zugleich eine vollstationäre Pflegeeinrichtung.

Verfügbarkeit des ärztlichen Personals

Im Rahmen der letzten Änderungsanträge zum KHVVG wurde die zunächst vorausgesetzte ständige Verfügbarkeit des ärztlichen Personals auf zumindest Rufbereitschaft bzw. Bereitschaftsdienst reduziert, je nach Leistungsangebot. Dies gibt zumindest Raum hinsichtlich des benötigten Personals. Welche Grenzen  „in Abhängigkeit ihres jeweiligen Leistungsangebots“ genau setzt, ist noch unklar. Die Leistungserbringung durch Belegärzte wurde über die zunächst nur vorgesehenen vier Leistungsgruppen hinaus erweitert, was insbesondere im ländlichen Raum bei Belegkliniken neue Spielräume eröffnet.

Vergütung der stationären, teilstationären und ambulanten ärztlichen Leistungen

Die Vergütung der ärztlichen Leistungen, die von sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen erbracht werden, erfolgt in Form von krankenhausindividuellen Tagesentgelten und der Vereinbarung eines Gesamtvolumens. Werden die Leistungen durch ambulante Leistungserbringer*innen, also Belegärzt*innen, erbracht, wird das Tagesentgelt entsprechend gekürzt. Mehr- und Mindererlöse werden nach einem bestimmten Mechanismus ausgeglichen. Die Vergütung der ambulanten ärztlichen Leistungen auf der Grundlage von Ermächtigungen erfolgt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Wie die pflegerischen Leistungen vergütet werden, die nicht im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungen entstehen, richtet sich nach der Art der Pflege. Handelt es sich um Leistungen der Übergangs- und Kurzzeitpflege, erfolgt sie nach den krankenhausindividuellen vereinbarten Tagesentgelten. Handelt es sich um Leistungen der stationären Pflegeeinrichtung, muss eine separate Vergütungsvereinbarung mit den Verbänden der gesetzlichen Pflegeversicherung geschlossen werden.

Förderung der „Umwandlung“ von Plankrankenhäusern in sektorenübergreifende Einrichtungen

Die „Umwandlung“ von Plankrankenhäusern in sektorenübergreifende Einrichtungen kann gemäß § 12b Abs. 1 Nr. 2 KHG in den Jahren 2026 bis 2035 durch den Transformationsfonds gefördert werden. Der Antrag auf Förderung ist dafür bis spätestens zum 30. September des Vorjahres zu stellen. Neben den in § 12 Abs. 3 KHG genannten Voraussetzungen werden die weiteren Kriterien zur Förderung und zum Verfahren, zum Nachweis der Fördervoraussetzungen und zum Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel noch in einer Verordnung der Bundesministeriums für Gesundheit geregelt. Insofern orientiert sich eine Förderung an der Systematik des KHZG und es ist zu erwarten, dass die Inanspruchnahme von Fördermitteln aus dem Transformationsfonds zu einer Verpflichtung, das Vergaberecht einzuhalten, führen wird.

Fazit

Ob die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen einen Beitrag zur Ambulantisierung leisten können, bleibt abzuwarten.

Insgesamt zeigt sich, dass sie eigentlich kein neuer Einrichtungstyp sind, sondern nur die Vorstellung des Gesetzgebers von einem Standort, an dem verschiedene bereits bestehende Leistungsangebote kombiniert oder parallel erbracht werden sollen. Die Bestimmung als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung und die Förderung der Umwandlung in eine solche Einrichtung kommt nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Ob sie dann auch Vorteile für den Krankenhausträger mit sich bringt und wirtschaftlich betrieben werden kann, dürfte sehr vom jeweiligen Einzelfall abhängen.

Gerne unterstützt Sie unser interdisziplinäres Healthcare-Team dabei, Ihren Krankenhausstandort auf seine Tauglichkeit als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung und damit einhergehende Vor- und Nachteile zu untersuchen, entsprechende Umwandlungskonzepte zu erstellen und diese mit allen zu Beteiligenden Akteuren abzustimmen und umzusetzen.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 4-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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