Umsatzsteuer: Leistungen innerhalb eines Organkreises nicht steuerrelevant
In seinem Urteil vom 11. Juli 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren nunmehr entschieden, dass
- gegen Entgelt erbrachte Leistungen innerhalb des Organkreises nicht der Mehrwertsteuer unterliegen;
- das gelte auch dann, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf
Sachverhalt
Das Urteil erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt T in Deutschland und S, einer Stiftung öffentlichen Rechts. Die Stiftung war Trägerin einer Universität und Organträgerin der U-GmbH. Sie war in ihren Gebäuden teilweise hoheitlich, ansonsten wirtschaftlich tätig. Sie führte jedoch lediglich Umsätze aus, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Die U-GmbH erbrachte Reinigungsleistungen, die den ganzen Gebäudekomplex der Stiftung umfassten.
Zwischen den Parteien war strittig, ob das Finanzamt zu Recht Umsatzsteuer auf die Reinigungsleistungen der U-GmbH an den hoheitlichen Bereich nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG (unentgeltliche Wertabgabe) erhoben hatte. Das Finanzgericht gab der Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid statt. Das Finanzamt legte dagegen Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Anfragen des Bundesfinanzhofs an den Europäischen Gerichtshof
a) Organträger ist einziger Steuerpflichtiger der Mehrwertsteuergruppe
Der BFH hatte im Verfahren Zweifel, ob die gesetzlichen Regelungen zur Organschaft im deutschen Umsatzsteuergesetz mit dem Europarecht vereinbar ist, und wandte sich mit dieser Frage an den EuGH. Dieser entschied in seinem Urteil vom 1.Dezember2022 (Az. C-269/20, UR 2023, 36), dass ein Mitgliedstaat den Organträger als einzigen Steuerpflichtigen der Mehrwertsteuergruppe bestimmen kann, wenn dieser in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt.
b) Leistungen innerhalb des Organkreises
Der BFH wandte sich nach der EuGH-Entscheidung vom 1.Dezember 2022 mit einer weiteren Frage an den EuGH, ob zwischen Personen eines Organkreises entgeltliche Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen und ob zu berücksichtigen sei, dass der Leistungsempfänger die geschuldete und entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen darf.
Der EuGH entschied, dass Leistungen innerhalb eines Organkreises nicht steuerbar sind. Das ergäbe sich bereits daraus, dass es im deutschen Umsatzsteuergesetz nur einen einzigen Steuerpflichtigen in der Mehrwertsteuergruppe bzw. in dem Organkreis gibt. Mitglieder derselben Gruppe könnten daher nicht als gesonderte Steuerpflichtige behandelt werden. Umsätze zwischen den einzelnen Mitgliedern ein und derselben Mehrwertsteuergruppe seien im Hinblick auf die Mehrwertsteuer nicht existent.
Die Leistungen der Mehrwertsteuer unterlägen auch dann nicht der Umsatzsteuer, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.
Zusammenfassung
Mit den EuGH-Urteilen wurde die Ausgestaltung der Organschaft in Deutschland und die Nichtsteuerbarkeit der Leistungen innerhalb des Organkreises vom EuGH bestätigt. Es sind sowohl die Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger als auch Leistungen zwischen weiteren Mitgliedern des Organkreises nicht steuerbar.
Der EuGH betonte zudem, dass die Mehrwertsteuer-Gruppe und nicht das einzelne Mitglied zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Daraus folgt: Die Hochschule ist als Organträgerin und Steuerpflichtige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Sämtliche Eingangsleistungen führen zum Abzugsverbot. Das Abzugsverbot erstreckt sich auch auf die Eingangsleistungen der U-GmbH, die den (steuerfreien oder nicht steuerbaren) Ausgangsleistungen der Hochschule zuzuordnen sind.
Das Nachfolgeurteil des BFH (Az. V R 14/24) wird die EuGH-Urteile berücksichtigen und ist im August terminiert.
Praxishinweis
Auch wenn das Urteil konkret im Fall zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erging, sind die formulierten Grundsätze auch für alle privatwirtschaftlich organisierten Unternehmensverbünde im Dritten Sektor relevant. Das bisherige Verständnis, dass der Leistungsaustausch z. B. innerhalb des Krankenhauskonzerns zu keiner Belastung mit Umsatzsteuer führt, bleibt bestehen. Zusammen mit den durch ein planmäßiges Zusammenwirken nach § 57 Abs. 3 AO bzw. durch eine gezielte Bepreisung gemäß § 58 AO eröffneten Möglichkeiten der Zuordnung zum Zweckbetrieb, besteht damit in gemeinnützigen Konzernstrukturen auch weiterhin die Möglichkeit, die Leistungserbringung sachlich sinnvoll und ohne steuerliche Hindernisse zu organisieren.
Autor:
Alexander Becker
Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.