Ein (weiterer) Beitrag zur Debatte um sogenannte „iMVZ“
Ein (weiterer) Beitrag zur Debatte um sog. „iMVZ“
Die erste Aussage verkennt, dass sich gerade junge Ärzt*innen gegen die Übernahme unternehmerischer Verantwortung und für eine Anstellung entscheiden. Sie lässt offen, wie die Nachfolge in großen Praxisstrukturen geregelt werden soll und wie sich junge Ärzt*innen, die die Universität eben erst mit Schulden verlassen und mit Mühe und Not eine Bürgschaft der Eltern erhalten haben, die Übernahme der Praxis leisten können. Im Übrigen verhindert gerade die Anstellung in einem MVZ die Übernahme von Geschäftsanteilen an einer MVZ-Trägergesellschaft von einem nichtärztlichen Gesellschafter (z. B. einem Krankenhaus). Selbst wenn ein Investor also Ärzte beteiligen will, auch um Verantwortung zurückzugeben, ist dies aus regulatorischen Gründen regelmäßig nicht möglich.
Mit unterschiedlicher Konnotation und in der Sache widersprüchlich wird vorgetragen, iMVZ würden entweder keinen Beitrag zur Versorgung in der Fläche leisten, weil sich Investoren auf lukrative Städte konzentrieren, oder aber sie würden in der Fläche Wettbewerb verhindern, weil sie dort zum Teil der einzige Anbieter bestimmter ambulanter Leistungen wären. Die Antwort der Bundesregierung vom 9. Januar 2023 auf eine diesbezügliche kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 20/4778 – Auswirkungen investorengetragener Medizinischer Versorgungszentren auf das Gesundheitssystem in Deutschland, ist erhellend:
Abgesehen davon, dass eine marktbeherrschende Konzentration in Städten mangels geringer Versorgungsanteile nicht bestätigt wird, wird als Ursache für mangelnden Wettbewerb in der Fläche die Bedarfsplanung angeführt. Wenn die Bedarfsplanung, übrigens auf Grundlage überalterter Verhältniszahlen, zu dem Ergebnis kommt, dass einige wenige Arztsitze in einem bestimmten Planungsbereich ausreichend sind, hätte jedes MVZ oder sogar ein Arzt mit mehreren Sitzen, ob nun investorengetragen oder nicht, eine entsprechende marktbeherrschende Stellung.
Vor wenigen Jahren ging es um die Frage, ob das ärztliche Berufsrecht geöffnet wird – hin zur Telemedizin. Dieser Angang wurde vor allem in den Bundesländern torpediert, die davon am meisten profitiert hätten. Man muss sich schon die Frage stellen, ob es in Zeiten von Digitalisierung und im Hinblick auf jedes Krankheitsbild wirklich erforderlich ist, dass man seinen Arzt persönlich treffen muss. Überträgt man diesen Gedanken auf die Debatte zum iMVZ, vermag das Fordern eines räumlichen Bezugs zwischen MVZ und Krankenhaus nur zu verwundern. Heutzutage operieren OP-Teams von verschiedenen Standorten und aus unterschiedlichen Zeitzonen gemeinsam einen Patienten dank globaler Vernetzung. Daher liegt vielmehr die Annahme nahe, dass MVZ-Verbünde von den Erfahrungen ihrer Kollegen profitieren, egal wo diese praktizieren. Gerade das ärztliche Berufsrecht ist hier zwingend reformbedürftig. Dass das Berufsrecht schon aus kompetenzrechtlichen Erwägungen jedenfalls kein Mittel sein kann, um MVZ zu regulieren, hat die Bundesregierung ebenfalls ausgeführt. Ärztliches Berufsrecht trifft schließlich jeden Arzt persönlich. Regelmäßig und ohne empirischen Beleg wird unterstellt, dass Ärzte ihre berufsrechtlichen Verpflichtungen ignorieren, wenn sie sich in ihrer ärztlichen Tätigkeit von Vorgaben des Investors leiten ließen. Auch eine Beeinflussung der ärztlichen Leitung eines MVZ durch Investoren konnte die Bundesregierung nicht bestätigen.
Die Anzahl der OPs ist immer ein Indikator für Erfahrung und damit auch Qualität. Gerade im stationären Bereich wird dieser Aspekt als Begründung für Reduzierung und Konzentration von Krankenhäusern bemüht. Warum soll das im ambulanten Bereich anders sein? Natürlich macht es Sinn, bestimmte operative Leistungen in MVZ-Strukturen zu konzentrieren, und genauso braucht nicht jeder Arzt in der Fläche einen hochmodernen OP. Nur am Rande sei die Frage aufgeworfen: Macht es wirklich Sinn, von den DRG (diagnosebezogenen Fallgruppen) wegzugehen hin zu mehr Vorhaltepauschalen?
Und wenn wir schon einmal bei einer möglichen Reform der Krankenhausfinanzierung sind und wie diese aussehen könnte (vgl. Beitrag dazu in diesem Newsletter): Wie soll eigentlich der Fachbezug zwischen dem Leistungsspektrum des MVZ und des Gesellschafters der Trägergesellschaft, namentlich des Krankenhauses, hergestellt werden, wenn im stationären Bereich eine Abkehr von einer Planung nach Fachabteilungen hin zu einer Planung nach Leistungsgruppen stattfinden soll?
Kommen wir zur zweiten Vorhaltung, dass iMVZ „absurde Profitziele“ verfolgen würden. Konkret hält der Bundesgesundheitsminister mehr als 10 % Rendite für absurd, vermutlich inflationsbereinigt, andernfalls reicht es höchstens für eine schwarze Null. Diese Aussage wirft die Frage auf, welche Renditeerwartung eigentlich ein Arzt hat; und wie verhält es sich mit der Renditeerwartung einer den Ärzten darlehensgebenden Bank? Ist ein (Finanz-)Investor nicht nur ein anderes Finanzierungsinstrument als ein Bankdarlehen?
Völlig unklar und von namhaften Autoren bereits zu Recht angemerkt, ist die Frage, wie die grundgesetzlich garantierte Gleichbehandlung zwischen Krankenhaus-Ketten und Krankenhaus-Vehikeln sichergestellt werden soll. Große Krankenhaus- Ketten, die MVZ-Tochtergesellschaften betreiben und damit unbestritten einen substanziellen Beitrag zur Verzahnung ambulanter und stationärer Medizin leisten, können den geforderten fachlichen – und räumlichen – Bezug viel eher darstellen als einzelne Krankenhaus-Vehikel. Investorengetragen sind die Krankenhaus-Ketten aber auch, nur dass sie einen strategischen Investor haben. Diese und andere komplexe Fragen auf dem Weg zu der angedachten Regulierung lassen, anders als angekündigt, einen eher langwierigen Gesetzgebungsprozess erwarten.
Auch MVZ-Ketten leisten einen erheblichen Beitrag zur ambulanten und auch einen wichtigen Beitrag zur stationären Versorgung, indem sie Krankenhäuser am Leben halten, die sonst in die Insolvenz gegangen wären. Insofern geht es nicht um ein „Ausschlachten von Krankenhäusern“ wie zum Teil zu lesen war, sondern um lebenserhaltende Maßnahmen für den vernachlässigten „Patient Krankenhaus“. Gerade in der Coronapandemie hat sich gezeigt, dass nicht nur Krankenhäuser, die Hochschulmedizin anbieten, einen Wert haben.
Zu bedenken gilt noch Folgendes: Das ApoG regelt ein strenges Drittbeteiligungsverbot an Apotheken. Leitbild ist der „Apotheker in seiner Apotheke“. Apotheken werden von Internetapotheken, aber auch von Anbietern wie Amazon und Apple (zukünftig) überrollt. Wenn wir es nicht schaffen, moderne Strukturen für Investitionen zu entwickeln, nehmen uns andere und vor allem die Patienten, denn um diese geht es, die Entscheidungen ab.
Dieser Beitrag ist nicht nur ein Plädoyer für evidencebased medicin, sondern für evidence-based regulation.
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Autor
Dr. Moritz Ulrich
Tel: +49 30 208 88 1408
Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.