Beschluss des SG Dresden vom 9. Mai 2022 (S 25 KA 20/22 ER) – So geht es nicht!

Das Sozialgericht Dresden hat sich in seinem Beschluss vom 9. Mai 2022 (S 25 KA 20/22 ER) ungefragt, ohne Not und ohne Erkenntnisgewinn zur „MVZ-Gründungsberechtigung bei Beherrschung einer Krankenhausträgergesellschaft durch Finanzinvestoren und fehlendem sachlichen und räumlichen Bezug des Versorgungsauftrags des Krankenhauses zum Versorgungsauftrag des MVZ“ geäußert.

Der Sachverhalt

Der Sachverhalt ist umfangreich und komplex und wird daher stark verkürzt wiedergegeben. Gegenstand des Antragsverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes eines verstorbenen Facharztes für Strahlentherapie, der mit zwei weiteren angestellten Fachärzten eine strahlentherapeutische Praxis mit zwei Betriebstätten in Sachsen und insgesamt 3,0 Versorgungsaufträgen betrieb.

Antragstellerin ist die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (MVZ-GmbH). Die MVZ-GmbH ist wiederum Tochtergesellschaft der Trägergesellschaft eines Plankrankenhauses der Grund- und Regelversorgung mit rund 100 Betten (KH-GmbH). Die KH-GmbH betreibt über weitere Beteiligungen einen länderübergreifenden radioonkologischen Praxisverbund. Oberhalb der KH-GmbH endet die Kette bei einer luxemburgischen Investmentgesellschaft.

Die Betriebstätten befinden sich auf Grundstücken die im Eigentum ortsansässiger Krankenhausträger stehen oder vom früheren Praxisinhaber auf Grundlage von Erbbaurechten, u. a. zur Errichtung zweier Strahlenschutzbunker und dreier Linearbeschleuniger, genutzt wurden.

Die Praxis wurde vorläufig durch die Alleinerbin weiterbetrieben. Der – landesweite – Planungsbereich ist wegen Überversorgung für Neuzulassungen von Strahlentherapeut*innen gesperrt. Die Erbin beantragte die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens. Der Antragsgegner, der Zulassungsausschuss Ärzte Dresden, gab dem Antrag statt. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen veranlasste die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes zur Nachbesetzung. Auf die Ausschreibung bewarben sich Ärzte und Träger ärztlich geleiteter Einrichtungen, um die Zulassung bzw. Erteilung einer Anstellungsgenehmigung zu erhalten, so auch die Antragstellerin unter Benennung der anzustellenden Ärzte und unter Vorlage sämtlicher relevanter Dokumente, wie Anstellungsverträge etc. Auch die Überleitung der Erbbaurechte war bereits organisiert.

Den anderen Bewerbern wurde eine Nachfrist zur Vervollständigung der Unterlagen bewilligt. In der Folge kam es zudem zu Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob ein Verkehrswertgutachten für die Praxis einzuholen sei.

Eine Entscheidung in der Sache, also eine Bewerberauswahl, war zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch nicht getroffen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin und begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur umgehenden Prüfung der Entscheidungsreife nach Maßgabe ihrer Rechtsauffassung, nach der eine unverzügliche Entscheidung unter Ausschluss der konkurrierenden Mitbewerber geboten war.

Die Entscheidung

Das SG Dresden lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits als unzulässig ab. Zudem fehle es der Antragstellerin an einem Anordnungsgrund. Ab dann wird es abstrus:

Das SG Dresden führt aus, es liege nicht schon als selbstverständlich auf der Hand, dass dem MVZ der Antragstellerin überhaupt ein Versorgungsauftrag für die ambulante strahlentherapeutische Versorgung übertragen werden dürfe.

Formal würde das noch nicht zugelassene MVZ der Antragstellerin zwar die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1a SGB V, wonach MVZ u. a. von zugelassenen Krankenhäusern gegründet werden dürfen, erfüllen. Bei der Antragstellerin als Gründerin des MVZ, gemeint war sicherlich als zukünftige Trägerin, da die Gründerin im Sinne von § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V die Gesellschafterin der zukünftigen Trägerin ist, handele es sich selbst nicht um einen Krankenhausträger. Die Antragstellerin sei vielmehr eine GmbH, deren Anteile von einer GmbH gehalten werden, die ihrerseits ein Krankenhaus betreibt. Beherrscht werde dieser Verbund von einem ausländischen Finanzinvestor.

Das Krankenhaus hätte einen Versorgungsauftrag ausschließlich für Augenheilkunde und Innere Medizin. Die dem Netzwerk angehörigen MVZ seien überwiegend in Süddeutschland angesiedelt, weitere Standorte befänden sich fernab des Krankenhauses. In den neuen Bundesländern verfüge die Gruppe noch über keinen Standort. Das MVZ der Antragstelerin würde nicht einmal einen entfernten räumlichen oder sachlichen Bezug zum Versorgungsauftrag des Krankenhaueses aufweisen. Letztlich betreibe nicht ein Krankenhausträger zur sektorenübergreifenden Abrundung und Verzahnung seines stationären Versorgungsauftrags ein MVZ, sondern vielmehr hält der von einem Finanzinvestor beherrschte Praxisverbund ein vom Versorgungsauftrag des konzerneigenen MVZ sachlich und räumlich isoliertes Krankenhaus. Damit liege eine Konstellation vor, die im Wesentlichen derjenigen gleicht, die der Gesetzgeber des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes missbilligt und mit der Einfügung des § 95 Abs. 1a SGB V zu überwinden versucht hat. Es liege die Frage nahe, ob es sich angesichts der räumlichen und sachlichen Ferne der Versorgungsaufträge um eine unzulässige Umgehung des Gesetzeszwecks handele, die eine teleologische Beschränkung des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V gebiete, und deshalb dem MVZ der Antragstellerin der angestrebte Versorgungsauftrag nicht erteilt werden dürfe.

Dies Ausführungen sind schlicht abwegig. Das Erfordernis eines fachlichen und/oder räumlichen Bezugs kann man § 95 SGB V nicht entnehmen. Zwar mag ein solcher insbesondere im Zuge des TSVG diskutiert worden sein, eingeführt wurde er nicht. Ihn jetzt auf diesem Weg in die Norm reininterpretieren zu wollen, geht schlicht zu weit. Er wird im Übrigen auch nach einem aktuellen Gutachten zur Weiterentwicklung der MVZ-Strukturen nicht für erforderlich gehalten, im Gegenteil.

Praxistipp

Es ist nicht das erste Mal, dass Instanzgerichte Entscheidungen treffen, die an vielen Stellen für erhebliche Verunsicherung sorgen. Auch wenn hier die Ablehnung der beantragten Anordnung – aus anderen Gründen als den dargestellten – richtig gewesen sein mag, namentlich, weil noch gar keine Entscheidung ergangenen war, können diese Ausführungen nur als sozialpolitisch motiviert eingeordnet werden. Aufgrund der besonderen prozessualen Konstellation dürfte diese Entscheidung keine weitere Rolle mehr spielen. Zwischenzeitlich wurde ein städtisches Krankenhaus aus Brandenburg als Nachfolger ausgewählt. Ob diese Entscheidung des Zulassungsausschusses rechtskräftig ist, ist nicht bekannt.

Wir beobachten und bewerten die relevante Rechtsprechung für Sie weiter. Bei Fragen zu den Auswirkungen bestimmter Entscheidungen auf Ihr Vorhaben sprechen Sie uns gerne an.

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Autor:

Dr. Moritz Ulrich
Tel: + 49 30 208 88 1408

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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