Der Annahme eines Zweckbetriebs steht ein fehlendes unmittelbares Vertragsverhältnis zu den Leistungsempfängern nicht entgegen
Annahme eines Zweckbetriebs nach § 66 AO
Sachverhalt
Der Kläger war ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgte. Zweck des Vereins war es u. a., verletzten, kranken und behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine Transportmöglichkeit mit vereinseigenen Fahrzeugen zu schaffen.
In den Streitjahren führte der Kläger u. a. Transporte von Blut und Gewebeproben zwischen Arztpraxen/ Krankenhäusern auf der einen Seite und Laboren auf der anderen Seite durch. Vertragliche Beziehungen bestanden dabei lediglich zwischen dem Kläger und den Krankenhäusern, Ärzt*innen bzw. Laboren. Zu den Patient*innen, deren Proben transportiert wurden, bestanden hingegen keine Vertragsbeziehungen.
In seinen Umsatzsteuererklärung 2014 und 2015 gab der Kläger Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von 7 % an. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung und später im Rahmen des Einspruchsverfahrens vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Umsätze aus dem „Blut- und Laborservice“ zu Unrecht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UstG unterworfen wurden. Es handele sich vielmehr um Umsätze aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, da die Leistungen nicht unmittelbar dem begünstigten Personenkreis (Verletzte, Kranke und Behinderte) zugutekamen, sondern gegenüber Dritten (Krankenhäuser, Labore, Ärzt*innen) erbracht wurden. Insoweit seien mit den Leistungen nicht unmittelbar satzungsmäßige Zwecke erfüllt worden.
Entscheidungsgründe
Das FG Schleswig-Holstein gab der Klage statt. Die Leistungen des Klägers seien im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erbracht worden, der als ein Zweckbetrieb nach § 66 AO einzuordnen war. Auch die Frage, ob die Leistungen des Klägers den hilfebedürftigen Personen im Sinne des § 66 Abs. 3 AO „zugutekommen“, sei zu bejahen.
Unter Verweis auf die neueren Entwicklungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – insb. BFH-Urteil vom 27. November 2013, I R 17/12; Urteil vom 24. Februar 2021, XI R 32/20 sowie XI R 42/19) versteht das FG Schleswig-Holstein auch die an das Vorliegen eines Zweckbetriebes i. S. d. § 66 AO zu stellenden Anforderungen in einem weiteren Sinne. Es ist der Auffassung, dass die auf die Linderung der Hilfsbedürftigkeit gerichteten Leistungen einer begünstigten Körperschaft den hilfsbedürftigen Personen bereits dann „zugutekommen“, wenn die konkreten Leistungen bei der betroffenen Person – sei es auch ohne Vertragsverhältnis und ohne faktischen Kontakt zwischen Person und Leistungserbringer – ihren Niederschlag finden, weil sie notwendiger Bestandteil der erforderlichen Gesamtbehandlung sind.
Der Annahme eines Zweckbetriebes stehe – nach Auffassung des FG Schleswig-Holstein – nicht entgegen, dass die klägerischen Leistungen den kranken Menschen nicht im Rahmen eines direkten Vertragsverhältnisses unmittelbar zugutekamen, sondern sich lediglich als Subunternehmerleistungen auf mittelbarem Weg bei den Patient*innen niederschlugen. Dieses mittelbare Zugutekommen reiche – wie das FG Schleswig-Holstein feststellt – für ein „Zugutekommen“ nach § 66 AO aus. Auch im Rahmen des § 66 AO sei es für ein „Zugutekommen“ ausreichend, wenn die konkreten Leistungen bei der betroffenen Person – sei es auch ohne Vertragsverhältnis und ohne faktischen Kontakt zwischen Person und Leistungserbringer – ihren Niederschlag finden, weil sie notwendiger Bestandteil der erforderlichen Gesamtbehandlung sind. Es sei gerade nicht erforderlich, bei der Begünstigung solcher Leistungen danach zu differenzieren, ob die gewünschten Auswirkungen darauf beruhen, dass der Subunternehmer (bzw. dessen Mitarbeiter) im Rahmen eines direkten Vertragsverhältnisses („rechtlich unmittelbar“), im Rahmen eines direkten physischen Kontakts („faktisch unmittelbar“) oder letztlich nur im Rahmen eines mittelbaren Wirkungsverhältnisses zum*zur Patienten*Patientin tätig geworden ist.
Hätten die Patient*innen im Streitfall, so das FG Schleswig-Holstein, bei ihrer Behandlung für den Transfer ihrer Blut- oder Gewebeprobe einen eigenständigen – organisatorisch in den Behandlungsablauf integrierten – Transportvertrag mit dem Kläger abgeschlossen, wäre eine (rechtliche) Unmittelbarkeit und damit ein „Zugutekommen“ i. S. d. § 66 AO gegeben. Es erscheint – so das FG – sachgerecht, ein „Zugutekommen“in gleicher Weise anzunehmen, wenn die Beteiligten von einer solchen Vertragsgestaltung absehen, sich der Transport damit lediglich mittelbar bei dem*der Patienten*Patientin auswirkt, jedoch unter sonst gleichen Bedingungen und mit demselben Ergebnis durchgeführt wird.
Die Revision ist zugelassen, aber bisher erkennbar seitens der Finanzverwaltung noch nicht eingelegt.
Ausblick und Praxistipp
Das Urteil des FG Schleswig-Holstein stellt eine unseres Erachtens durchaus nachvollziehbare weitere Lockerung des ehemals geltenden strengen Unmittelbarkeitserfordernisses bei der Frage der Zweckbetriebszuordnung dar. Hierauf kann sich jeder Steuerpflichtige im Rahmen von Rechtsmittelverfahren berufen, sollte – was zu erwarten ist – die Finanzverwaltung sich dieser Auffassung zumindest noch nicht anschließen.
Es bleibt aber abzuwarten, wie der BFH entscheiden wird, wenn – was zu vermuten ist – die Finanzverwaltung Revision gegen das Urteil einlegen wird.
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Autor*innen:
Dr. Kristina Frankus
Tel: +49 221 28 20 2503
Thomas Dennisen
Tel: +49 221 28 20 2450
Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.