Kritik an Krankenhaus-MVZ – warum eigentlich? Ein Diskussionsbeitrag
Kritik an Krankenhaus-MVZ
Das System der Polikliniken in der ehemaligen DDR wurde von der gesamtdeutschen Gesundheitspolitik als erhaltenswert empfunden und nach der Wende in Gestalt von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 im SGB V verankert. Nachdem in der Vergangenheit die „investorengetriebenen“ MVZ in der Kritik standen und Grund für gesetzgeberisches Nachjustieren zuletzt durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) waren, rückten kürzlich ein großer privater Klinikbetreiber und dessen MVZ in den Fokus öffentlich-rechtlicher Berichterstattung.
Zentrale Kritik und einführende Überlegungen
Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass die in den MVZ erzielten Gewinne über den Krankenhausträger als Dividenden aus dem System der solidarischen Gesundheitsversorgung abfließen. Sehen wir uns den Hintergrund dieser Behauptung einmal näher an.
Zur Einführung geeignet ist die Überlegung, was mit Gewinnen geschieht, die ein niedergelassener Arzt erzielt, sei es in seiner Einzelpraxis oder in dem von ihm gegründeten MVZ. Der Einzelarzt oder MVZ-Gründer führt die von ihm erzielten Gewinne auch nicht zurück in das solidarische Gesundheitssystem. Auch die gesetzlichen Krankenkassen tun dies nicht. Die Finanzreserven der Krankenkassen lagen nach der hohen Überschussentwicklung in den letzten drei Jahren Ende März 2019 bei rund 21 Milliarden Euro. Im Durchschnitt entspricht dies mehr als einer Monatsausgabe und damit mehr als dem Vierfachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve (vgl. § 261 SGB V).
Noch weiter gehen Stimmen, die bezweifeln, ob mit Gesundheit überhaupt Gewinne erzielt werden sollten, dies mit der Gesundheitsversorgung als Aufgabe der Daseinsvorsorge begründen und damit letztlich eine Systemfrage stellen. De lege lata wird diese Frage vom Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) wie folgt beantwortet: Nach § 1 KHG ist der Zweck des KHG die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser mit dem Ziel, eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen digital ausgestatteten, qualitativ hochwertig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen. Dabei ist die Vielfalt der Krankenhausträger zu beachten und die wirtschaftliche Sicherung freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser zu gewährleisten. Der Gesetzgeber bedient sich somit nicht nur privater Krankenhausträger, um seine Aufgabe der Daseinsvorsorge zu erfüllen, er gewährt ihnen sogar den Vorrang. Allein AMEOS, HELIOS und SANA zusammen verfügen über rund 60.000 der insgesamt rund 500.000 Betten in Deutschland.
Die großen privaten Krankenhausträger leisten damit einen erheblichen Beitrag zur Gesundheitsversorgung im stationären Bereich.
Würde privaten Krankenhausträgern nun versagt werden, Gewinne zu erzielen, würden sie sich aus der Gesundheitsversorgung zurückziehen. Verbessern würde dies die Gesundheitsversorgung nicht, das ist mit genügend Beispielen im In- und Ausland belegt.
Warum nun nicht auch Krankenhaus-MVZ profitabel sein dürfen, erschließt sich nicht. Anders als kommunale Träger können private Träger ihre Verluste nicht einfach ausgleichen. Sie sind darauf angewiesen, profitabel zu wirtschaften, auch um investieren zu können. Die Profitabilität ist dabei u. a. Folge von Synergieeffekten, die überhaupt erst ab einer bestimmten Größenordnung erreicht werden. Solcher Synergien bedienen sich im Übrigen auch kommunale Krankenhausträger, etwa indem sie sich großen, auch privaten, Einkaufskooperationen anschließen. Vor diesem Hintergrund überzeugt die Annahme, dass die Profitabilität allein über den Ausbau ertragreicher Bereiche und den Abbau weniger ertragreicher Gebiete erfolge, nicht. Die Vergütung für die medizinischen Leistungen ist durch das System der Diagnosis Related Groups (DRG-System) und den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) vorgegeben. Auch in der Medizin richtet sich das Angebot nach dem Bedarf. In einer alternden Gesellschaft liegt es auf der Hand, dass bestimmte Bereiche, wie z. B. die Chirurgie, häufig nachgefragt sind. Gleichzeitig liegt es auf der Hand, dass die Vergütung in den operierenden Disziplinen höher ist als z. B. in der sprechenden Medizin. Im Übrigen gehen auch die Einschätzungen, welche Gebiete ertragreich sind bzw. sein können, auseinander und hängen von unterschiedlichen Faktoren ab. Die Behauptung, mit medizinischen Leistungen Gewinn zu erzielen verstoße gegen ärztliche Ethik, widerspricht zudem der längst vorherrschenden Meinung, dass Ärzte nicht ausschließlich aus altruistischen Motiven tätig sind.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Ein Krankenhausträger kann sich aller Trägerformen bedienen, und anders als für MVZ in § 95 Abs. 1a) SGB V geregelt, gibt es gesetzlich keine Vorgaben, wer Gesellschafter eines Krankenhausträgers sein darf.
Für MVZ wurde dagegen die Auswahl der als geeignet empfunden Trägerformen begrenzt und der Gründerund damit der Gesellschafterkreis eingeschränkt. Grund dafür, dass Krankenhausträger sich nach wie vor an MVZ-Trägern beteiligen dürfen, ist die große Sachnähe zwischen ärztlicher Behandlung im Krankenhaus und ärztlicher Behandlung im MVZ. Mit dem TSVG wurde die Gründungsbefugnis von Krankenhausträgern lediglich im zahnmedizinischen Bereich eingeschränkt, und zwar in Bezug auf die Anzahl der zulässigen Arztsitze in den Krankenhaus-MVZ. Außerdem dürfen einzelne Zahnarztketten nur noch einen bestimmten Anteil aller zahnmedizinischen Sitze in einem Planungsbezirk auf sich vereinen.
Vereinfacht gesagt liegt diese Grenze bei 10 % der zahnärztlichen Sitze. Für alle anderen medizinischen Bereiche hat der Gesetzgeber eine solche Regelung für nicht erforderlich gehalten. Eine Limitierung der Anzahl der MVZ respektive Arztsitze für Krankenhausträger gibt es daher nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, warum ein privater Krankenhausbetreiber zwar mit Tausenden von Betten zur Gesundheitsversorgung beitragen, aber im Hinblick auf die Gründung von MVZ und die Anzahl von Arztsitzen limitiert werden sollte. Zahlreiche Krankenhausträger, und zwar aller Trägerarten, betreiben oder beteiligen sich an MVZ. Die Feststellung, dass diese sich regelmäßig auch am Standort des Krankenhauses befinden, eignet sich nicht zur Skandalisierung. Insbesondere in den operierenden Disziplinen kann so den besonderen Anforderungen an räumliche und apparative Ausstattung Rechnung getragen werden. Häufig, etwa im Zusammenhang mit dem Outsourcing der radiologischen Abteilung von Krankenhäusern, ist die räumliche Nähe historisch bedingt und zwingend erforderlich, um den Krankenhauspatienten aufwändige Transporte zu ersparen. Auch vor dem Hintergrund der oft diskutierten Portalpraxen und Notfallambulanzen macht es Sinn, die Patienten in räumlicher Nähe ärztlich zu versorgen, wenngleich ihre erste Anlaufstelle das Krankenhaus war.
Anders als gelegentlich behauptet gründen Krankenhausträger MVZ nicht nur, um sie als Zuweiser zu nutzen. Irreführend wird in diesem Kontext schon der Begriff der Zuweisung genutzt. Wenn es eine entsprechende Indikation gibt, ist gegen eine Zuweisung in ein bestimmtes, auch mit der Gruppe verbundenes Krankenhaus nichts einzuwenden. Die Behandlung würde die Solidargemeinschaft aufgrund des DRG-Systems in einem anderen Krankenhaus das Gleiche kosten. Der Behandlungsablauf bzw. die Behandlungskontinuität dürfte für den Patienten sogar regelmäßig besser sein: zum einen, weil er von den gleichen Ärzten behandelt wird, die in MVZ und Krankenhaus gleichermaßen arbeiten, wie es § 20 Ärzte-ZV ausdrücklich zulässt; und zum anderen, weil die Zusammenarbeit – auch aufgrund der Verwendung einheitlicher Systeme – eingespielt ist. Eine Zuweisung ohne Indikation oder gegen Entgelt verstößt dagegen nicht nur gegen den Grundsatz des Vorrangs ambulanter vor stationären Behandlungen. Sie wäre krankenhausrechtlich (vgl. z.B. § 32 KHGG NRW), zulassungsrechtlich (§§ 73 Abs. 7 SGB V, § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV), berufsrechtlich (§ 31 MBO-Ä) und strafrechtlich (§§ 299a), b) StGB) auch zu ahnden. Krankenhaus-MVZ als renditeorientierte Fänger für stationäre Bettenfüllung zu bezeichnen, unterstellt den in MVZ tätigen Ärzten pauschal, sich bei ihren Entscheidungen von anderen als den medizinischen Erwägungen leiten zu lassen. Es verwundert, dass der Aufschrei in der Ärzteschaft nicht größer ist. In das gleiche Horn stößt die Behauptung, in Krankenhaus- MVZ würden Fallzahlen gestaltet. Insbesondere ignoriert sie die Limitierung von Fallzahlen in den Budgetvereinbarungen der Krankenhausträger, die mit deren Überschreitung verbundenen Abschläge sowie die Budgetierung in der kassenärztlichen Versorgung.
Die Debatte ist nicht neu
Auch im Zuge der Debatte um das TSVG wurde immer wieder moniert, dass sich gerade einmal 14 % der heute insgesamt 3500 MVZ auf dem Land befinden, und vermutet, dass zu dieser Entwicklung auch finanzielle Interessen beitragen. Im Hinblick auf die zahnmedizinischen MVZ wurde dies u. a. mit der erhöhten Abrechnung implantologischer Leistungen in städtischen und kettenzugehörigen MVZ begründet. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass 77 % der Bevölkerung in Deutschland in Städten und Ballungsgebieten leben und nur 15 % in Orten mit weniger als 5000 Einwohnern, vermag die Verteilung kaum zu verwundern. Anderseits liegt es nahe, anzunehmen, dass Patienten für einen komplexeren Eingriff eher ein großes städtisches MVZ aufsuchen, von dem sie zu Recht annehmen, dass es über entsprechende Erfahrung aus der Durchführung einer Vielzahl an vergleichbaren Behandlungen verfügt. Der Beitrag von MVZ-Ketten zur Qualitätssicherung wird unterschlagen. Nicht außer Acht gelassen werden darf der für kleinere Arztpraxen und MVZ zum Teil nur schwer zu stemmendem Aufwand gerade in den apparateintensiven Bereichen der Medizin, wie z. B. Ophthalmologie, Radiologie und Zahnheilkunde. Dazu kommen die steigenden Anforderungen an die Führung einer Praxis z. B. im Hinblick auf Datenschutz und IT-Sicherheit, die Schwierigkeit der Gewinnung von Fachpersonal auf dem Land und die Entfernung zu den Schulen und Universitäten, die das Fachpersonal ausbilden. Auch die fehlende Attraktivität für junge Menschen und die Möglichkeit, auch ohne die wirtschaftliche Eigenverantwortung einer Niederlassung als angestellter Arzt oder Ärztin in einem MVZ gleichwohl ärztlich tätig zu sein, und das in Teilzeit, sind mit in Betracht zu ziehen. Entscheidend aber ist, dass die Möglichkeit, sich als Arzt niederzulassen, durch die Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses beschränkt wird (ausgenommen sind Zahnärzte). Es steht den MVZ-Gründern überhaupt nicht frei, sich beliebig niederzulassen. Zu suggerieren, dass eine Kumulierung von MVZ in Städten die Folge finanzieller Interessen der Investoren ist, greift daher zu kurz.
Welche Perspektive fehlt?
Nicht in den Blick genommen wurde bislang sowohl bei den investorengetriebenen MVZ als auch bei den Krankenhaus-MVZ die Perspektive der Ärzte. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es viele Gründer durch Fleiß und Geschick vermocht haben, große MVZ-Strukturen aufzubauen. Diese Strukturen sind aufgrund ihrer Größe und weil eine Übernahme gerade aufgrund gesetzlicher Einschränkungen häufig nur für Krankenhausträger in Betracht kommt, nicht zur Übergabe an einen jungen Arzt geeignet. Zum anderen sind MVZ für viele Ärzte attraktive Arbeitgeber. Schließlich lassen sich gerade Ärzte ihre Aufbauarbeit zum Teil fürstlich entlohnen.
Kein Gesetz der großen Zahl
Wenig hilfreich ist auch das bloße In-den-Raum- Stellen von vermeintlich großen Zahlen. Einmal unterstellt, der in der Berichterstattung genannte Klinikbetreiber verfügt tatsächlich über die angegebenen 230 MVZ, mit denen er 350 Millionen Euro Umsatz im Jahr machen will, sind dies ca. 1,6 Millionen Euro Umsatz pro MVZ im Jahr. Da das durchschnittliche MVZ in Deutschland 6,5 Arztstellen umfasst, macht der durchschnittliche Arzt in einem solchen MVZ ca. 246.000 Euro Umsatz im Jahr bzw. 61.000 Euro Umsatz im Quartal. Diese Zahl liegt sogar noch unter dem durchschnittlichen Umsatz in einer (Einzel-)Arztpraxis, der schon 2017 laut dem Statistischen Bundesamt bei 258.000 Euro lag.
Schlussbetrachtung
Schließlich und zusammenfassend sei noch einmal dargelegt, ob und ggf. was daraus folgt, dass hinter 500 von 3500 MVZ Aktiengesellschaftern stehen sollen: MVZ werden von einem Träger getragen, z. B. einer MVZ-Träger-GmbH. An dieser kann sich neben zugelassenen Ärzten eine Krankenhausträger-GmbH beteiligen, die über ein zugelassenes Krankenhaus verfügt. Gesellschafter der Krankenhausträger- GmbH kann jeder sein; im gegenständlichen Fall der Berichterstattung ist der Gesellschafter eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Aktiengesellschaft hat direkte und über diverse Anlageprodukte mittelbare Aktionäre. Aktionäre oder Anleger sind wir, die Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen. Insofern stellt sich die Frage, ob wirklich Geld aus dem System der solidarischen Gesundheitsversorgung abfließt oder ob es nicht teilweise denjenigen zurückgegeben wird, die das System solidarisch finanzieren.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.