Verjährungsbeginn im Arzthaftungsrecht

Mit Beschluss vom 28. Februar 2020 hat das OLG Braunschweig (9 U 31/19) die Berufung eines Klägers zurückgewiesen, der aufgrund eines Behandlungsfehlers zunächst Schadensersatzansprüche vor dem LG Braunschweig (Urt. v. 3.4.2019 – 4 O 117/18) geltend gemacht hatte.

Aus der Entscheidung lassen sich folgende Leitsätze ziehen:

  1. Hat ein Patient bzw. sein Bevollmächtigter bereits die naheliegende Erkenntnismöglichkeit aus ihm vorliegenden Informationen oder sogar schon die gebildete Überzeugung, ein bestimmter Behandlungs- oder Risikoaufklärungsfehler liege schadenskausal vor, reicht das als erforderliche Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist im Rahmen der Arzthaftung aus; auf besonderes medizinisches Fachwissen kommt es nicht an.
  2. Die wertende Kenntnis der Abweichung vom ärztlichen Standard gehört – ebenso wie das vollständige medizinische Verstehen des vorliegend angezeigten Behandlungskonzeptes – gerade nicht zum zur Kenntniserlangung erforderlichen Grundwissen des Patienten. Ausreichend ist vielmehr die positive Kenntnis (oder grob fahrlässige Unkenntnis) der Tatsachen, aus denen der Patient mit einer Parallelwertung in der Sphäre des medizinischen Laien erkennen kann, dass eine Abweichung vom medizinischen Standard vorlag, die zum Schaden geführt hat; die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, ohne positives, einen Behandlungsfehler bejahendes Gutachten laufe die Verjährung stets nicht, ist deshalb abzulehnen.
  3. Spricht der Rechtsanwalt des Patienten in einem Forderungsschreiben bereits hinreichend deutlich an, dass ein Behandlungsfehler vorliege, ist regelmäßig die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis gegeben.
  4. Wenn dem vom Patienten beauftragten Rechtsanwalt die Behandlungsunterlagen, aus denen alle erforderlichen Einzelheiten ersichtlich sind, zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt worden sind, beginnt die Verjährungsfrist unabhängig von dem Umstand zu laufen, ob der Rechtsanwalt die Akten auch tatsächlich einsieht.
  5. Auch im Rahmen der für Verjährungsumstände grundsätzlich bei der beklagten Partei liegenden Darlegungs- und Beweislast trifft den Kläger die sekundäre Darlegungslast für solche Umstände, die womöglich seine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen verhindert oder beeinflusst haben, weil es sich insoweit gegebenenfalls um in seiner Sphäre liegende Umstände handelte.
  6. Der Arzt schuldet im Rahmen der Einwilligungsaufklärung eine Information über die Risiken einer ordnungsgemäßen Behandlung. Diese Aufklärungspflicht erstreckt sich damit nicht auf etwaige Behandlungsfehler.
  7. Der Umstand, dass sich ein Kläger zur Einzahlung des Kostenvorschusses einer Rechtsschutzversicherung bedient, befreit ihn und seinen Prozessbevollmächtigten nicht davon, von sich aus dafür Vorsorge zu treffen, dass der Prozesskostenvorschuss alsbald nach Eingehen der Zahlungsaufforderung eingezahlt werden wird und damit die Klagezustellung baldmöglichst veranlasst werden kann.

Vorliegend machte der Kläger Ansprüche aus einer Fehlbehandlung im Jahr 2013 im Jahr 2018 vor dem LG Braunschweig geltend.

Der Kläger war im Frühjahr 2013 mit Verbrühungen an Nacken, Ohren und Fingern in das Klinikum der Beklagten eingeliefert, jedoch nicht stationär aufgenommen worden. Ebenso fand keine Überweisung in die Verbrennungsintensivstation statt. Weiterhin trug der Kläger vor, ihm seien keine Schmerzmittel verabreicht worden. Die Fehlbehandlung als solche wurde vom OLG nicht weiter in Frage gestellt, da der Anspruch verjährt und damit untergegangen ist/war.

Der Kläger beauftragte im Jahr 2014 einen Fachanwalt für Medizinrecht, um Schadensersatz wegen der ärztlichen Fehlbehandlung gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Der Rechtsanwalt forderte daher im Februar 2014 die Behandlungsunterlagen des Klägers von der Beklagten an, die ihm zeitnah übersandt wurden.

Gem. § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist (drei Jahre) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Um Kenntnis gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Bezug auf einen Behandlungsfehler annehmen zu können, müssen dem Patienten diejenigen Behandlungstatsachen positiv bekannt geworden sein, die – mit Blick auf den Behandlungsfehler – ein ärztliches Fehlverhalten und – mit Blick auf die Schadenskausalität – eine ursächliche Verknüpfung der Schadensfolge mit dem Behandlungsfehler bei objektiver Betrachtung nahelegen. Seine Kenntnis muss sich auf die Grundzüge erstrecken, nicht auf medizinische Details. Dies setzt ein Grundwissen über den konkreten Behandlungsverlauf voraus, zu dem neben der Kenntnis der gewählten Therapiemethode gehört, dass der Patient die wesentlichen Umstände des konkreten Behandlungsverlaufs positiv kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, z.B. Tatbestand und Art des Eintretens von Komplikationen, die zu ihrer Beherrschung getroffenen ärztlichen Maßnahmen etc.

Dies wird vorliegend angenommen: Nach wohl zutreffender Auffassung des OLG Braunschweig waren mit Erhalt der Unterlagen bei einem Fachanwalt für Medizinrecht alle Voraussetzungen für eine positive Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers gegeben. Dabei wurde es als unerheblich angesehen, ob der Rechtsanwalt die Unterlagen auch tatsächlich einsieht oder nicht. Bereits die Veranlassung des Klägers, einen Fachanwalt für Medizinrecht mit der Verfolgung seines Anspruchs zu beauftragen, kann als ausreichend angesehen werden, um eine positive Kenntnis einer Fehlbehandlung anzunehmen.

Dem Kläger war es nach Ansicht des OLG Braunschweig somit zumutbar, aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Informationen (inklusive des tatsächlichen Geschehensablaufs im Jahr 2013) Feststellungsklage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko. Damit begann die Verjährung mit Ablauf des 31.12.2014. Eine Klageerhebung im Jahr 2018, die zudem durch eine verspätete Einzahlung des Prozesskostenvorschusses keine Hemmung entfalten konnte, war im Ergebnis verjährt.

       

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Dittmann Grosch