Dringlichkeitsvergabe des BMG bzgl. Beschaffung von Schutzausstattung in der Corona-Pandemie

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte im Mai 2020 mit einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einen Vertrag in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb abgeschlossen. Beschaffungsgegenstand ist laut Vergabevermerk aus dem Mai 2020:

„Durchführung des operativen Geschäfts unterhalb des Beschaffungsstabes bei der Durchführung der Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstung. Dies betrifft im Wesentlichen die technische Vertragsprüfung, die Qualitätssicherung, das Vertragsmanagement, die Qualitätssicherung, die Steuerung der gesamten Lieferkette und der Logistikdienstleister, die Überprüfung von Eingangsrechnungen und die Bearbeitung von Leistungsstörungen.“

Konkret ging es darum, das BMG bei der Beschaffung von Schutzausrüstung im Kontext der Corona-Pandemie zu unterstützen.

Die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hatte zu klären, ob bei der Beauftragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Regeln des Vergaberechts beachtet worden sind. Im Ergebnis bestätigt die VK Bund (Beschl. v. 28.8.2020 – VK2-57/20), dass die Voraussetzungen der Dringlichkeitsbeauftragung nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gegeben waren, sodass das BMG die Leistungen zur Abwicklung der Verträge zwecks Beschaffung von Schutzausrüstung, insbesondere von Schutzmasken, im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben durfte.

Hierfür war entscheidend:

  • Äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die Einhaltung der Mindestfristen für vorrangige Vergabeverfahrensarten nicht zuließen, waren gegeben. Die Corona-Krise ist ein solches Ereignis. Daraus resultierte der akute und extrem dringliche Bedarf an Schutzausrüstung. Was die Möglichkeit der Einhaltung verkürzter vergaberechtlicher Mindestfristen bei solchen Vergabeverfahrensarten anbelangt, die mehr Wettbewerb implizieren als das hier vorliegende Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, so verlangt § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, dass die äußerst dringlichen Gründe die Einhaltung der Mindestfristen nicht zulassen. So lag der Fall – nach Einschätzung der VK Bund – hier.
  • Hätte das BMG die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (WPG) nicht im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb beauftragt, sondern hätte es Anfang Mai ein Vergabeverfahren mit – wenn auch verkürzten – Fristen durchgeführt, so hätte eine Auslieferung der Schutzmasken sich um einen nicht hinnehmbaren Zeitraum verzögert.
  • Bei Betrachtung der Abstufungen des Dringlichkeitsgrades, die § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV einerseits und § 15 Abs. 3, 4 VgV andererseits vorgeben, bestand angesichts der Rechtsgüter, die auf dem Spiel standen, im Ergebnis kein Zweifel bei der VK Bund darüber, dass nicht nur eine hinreichend begründete Dringlichkeit gegeben war, die eine zunächst mindestens zehntätige Angebots- und damit Wartefrist für das BMG impliziert hätte, bis überhaupt Angebote vorliegen, die sodann hätten ausgewertet werden müssen. Hinzu kommt, dass unterlegene Bieter nach § 134 GWB hätten informiert werden müssen mit einer sich anschließenden Wartefrist von erneut zehn Tagen, denn diese Informationspflicht entfällt gemäß § 134 Abs. 3 S. 1 GWB nur in den Dringlichkeitsfällen, die ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb rechtfertigen, gerade jedoch nicht in den niedrigschwelligen Dringlichkeitsfällen, in denen lediglich eine Fristverkürzung in Betracht kommt. Mithin hätten sich in einem Vergabeverfahren mit verkürzten Fristen allein schon die aufgezeigten Wartezeiten auf 20 Tage addiert, Zeiten für die Durchführung der Wertung noch gar nicht mit einberechnet. Das medizinische Personal, welches besonders ansteckungsgefährdet ist, musste aber auf der anderen Seite schnellstmöglich in die Lage versetzt werden, Erkrankten ohne Gefahr für die eigene Gesundheit und das eigene Leben medizinische Hilfe leisten zu können.
  • Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV waren lt. VK Bund auch nicht etwa deswegen zu verneinen, weil das BMG den Bedarf hätte voraussehen können oder dem BMG die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit selbst zuzurechnen wären.
  • Die Direktbeauftragung der WPG ohne Einholung von Angeboten anderer potenzieller Auftragsinteressenten war zulässig, denn diese war bereits aufgrund von zwei Voraufträgen aus dem April 2020 in die Beschaffungsvorgänge eingebunden (Dokumentation und Analyse der Beschaffungsvorgänge sowie Unterstützung im Einkaufsprozess). Daher konnte allein die ausgewählte WPG auf bereits vorhandene IT-Systeme und Datenbanken zurückgreifen und war bereits mit der Materie vertraut. Im Sinne der Leitlinien der Kommission zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie kam damit nur die ausgewählte WPG für die Leistungserbringung in Betracht, um sofort und nahtlos, noch am Tag des Vertragsschlusses, mit der Auftragsausführung beginnen zu können.

Liegen die Voraussetzungen von § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vor, so stellt die Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb eine legitime Vergabeart dar, die vollumfänglich in Einklang steht auch mit den Vorgaben der Europäischen Vergaberichtlinie.

Es bleibt abzuwarten, ob das OLG Düsseldorf insoweit den Ausführungen der Vergabekammer folgt und die Entscheidung bestätigt.

  

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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