Bereichsausnahme Rettungsdienst/ Gefahrenabwehr: Verfassungsbeschwerde nicht angenommen

Wir haben in den Mazars-Newslettern Healthcare 1/2019 und 1/2020 über die Rechtsprechung des EuGH zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen und des OLG München über die Reichweite der Bereichsausnahme für den Rettungsdienst in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB berichtet.

Im Land Sachsen-Anhalt hatten private Anbieter von Rettungsdienstleistungen gegen die landesrechtlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Bereichsausnahme Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Träger des Rettungsdienstes sind in Sachsen-Anhalt die Landkreise und kreisfreien Städte (§ 4 Abs. 1 des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, im Folgenden: RettDG LSA). Gemäß § 1 Abs. 2 RettDG LSA umfasst der Rettungsdienst die Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung (§ 2 Abs. 1 RettDG LSA) und der qualifizierten Patientenbeförderung (Transport eines Patienten, der kein Notfallpatient ist, mit fachgerechter Betreuung durch qualifiziertes medizinisches Personal, § 2 Abs. 3 RettDG LSA). Im bodengebundenen Rettungsdienst erteilen die Träger des Rettungsdienstes, wenn sie ihn nicht selbst durchführen, zeitlich befristete (§ 14 Abs. 3 RettDG LSA) Genehmigungen als Konzessionen an andere Leistungserbringer (§ 12 Abs. 2 Satz 2 RettDG LSA). Deren Auswahl richtet sich nach § 13 RettDG LSA. Mit der angefochtenen Gesetzesänderung wurde zur Auswahl der Leistungserbringer in § 13 Abs. 1 RettDG LSA als neuer Satz 1 eingefügt:

„Genehmigungen nach § 12 sollen den gemeinnützigen Organisationen erteilt werden, die gemäß § 12 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt im Katastrophenschutz mitwirken.“

Der in Bezug genommene § 12 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (KatSG-LSA) lautet:

„Private Organisationen wirken mit, wenn sie sich gegenüber der Katastrophenschutzbehörde hierzu bereit erklärt haben und die Katastrophenschutzbehörde der Mitwirkung der von ihnen aufgestellten Einheiten und Einrichtungen zugestimmt hat; ein Anspruch auf Zustimmung besteht nicht. […] Als für die Mitwirkung geeignet gelten insbesondere der Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser-Hilfsdienst.“

Zur Begründung der verfassungsrechtlich angefochtenen Regelung verwies die Landesregierung u. a. auf die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Danach können Rettungsdienstleistungen vergaberechtsfrei nur von „gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen“ erbracht werden. Wegen der besonderen Verdienste der Hilfsorganisationen bei der Verwirklichung des Gemeinwohls im sozialen Bereich sowie ihrer Mitwirkung im Katastrophenschutz enthalte die Novellierung des Gesetzes eine klare Vorentscheidung zugunsten von Hilfsorganisationen.

Die privaten Anbieter von Rettungsdienstleistungen rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG durch die hier angefochtene Neuregelung. Die Verfassungsbeschwerde wurde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie aus Sicht der BVerfG unzulässig war (BVerfG, Beschl. v. 30.3.2020 – 1 BvR 843/18).

Auch vor der Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Unmittelbar gegen Gesetze steht zwar der fachgerichtliche Rechtsweg in der Regel nicht offen. Die Anforderungen der Subsidiarität beschränken sich jedoch nicht darauf, nur die zur Erreichung des unmittelbaren Prozessziels förmlich eröffneten Rechtsmittel zu ergreifen, sondern verlangen, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern.

Die privaten Anbieter als Beschwerdeführerinnen sind danach gehalten, sich zunächst um eine Genehmigung als Konzessionärin nach § 12 Abs. 2 RettDG LSA zu bemühen, die gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 RettDG LSA in einem Auswahlverfahren zu erteilen ist. Dass die tatsächliche und einfachrechtliche Lage dazu führt, dass verwaltungsgerichtlicher oder vergaberechtlicher Rechtsschutz offensichtlich sinn- und aussichtslos ist und allein verfassungsrechtliche Fragen zu klären sind, ist lt. BVerfG nicht erkennbar. Eine vorherige fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage ist daher erforderlich.

Folgende Hinweise gibt das BVerfG aber dennoch:

„Im Rahmen des Auswahlverfahrens wäre einfachrechtlich zu klären, ob das Tatbestandsmerkmal ,gemeinnützig‘ in § 13 Abs. 1 Satz 1 RettDG LSA – neben der Mitwirkung im Katastrophenschutz gemäß § 12 Abs. 2 KatSG-LSA – eine zusätzliche Anforderung normiert. In letzterem Fall wäre auch die Auslegung des Begriffs ,gemeinnützig‘ fachgerichtlich zu klären. Der Rückgriff auf das Abgabenrecht ist zumindest nicht zwingend.

Doch auch dann, wenn es sich bei den Beschwerdeführerinnen nicht um eine ,gemeinnützige Organisation‘ handeln sollte, wäre die Erteilung einer Genehmigung nicht ausgeschlossen. § 13 Abs. 1 Satz 1 RettDG LSA sieht lediglich vor, dass Genehmigungen gemeinnützigen Organisationen erteilt werden ,sollen‘. Mit der Verwendung des Begriffs ,soll‘ ist einer Behörde zwar die Handlung für den Regelfall vorgegeben. Von diesem darf aber in atypischen Fällen abgewichen werden. Fachgerichtlich zu klären wäre, ob und unter welchen Umständen die Erteilung einer Konzession an etablierte privatrechtliche Unternehmen einen Ausnahmefall darstellen kann. […]

Im Falle der Nichterteilung der Genehmigung stünde den Beschwerdeführerinnen fachgerichtlicher Rechtsschutz in Form der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage offen. Sie könnten ihren Anspruch auf Durchführung eines chancengleichen Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung im Wege der Anfechtung der erteilten Genehmigung und Verpflichtung zur Neubescheidung eines gestellten Antrags geltend machen (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. Februar 2012 – 3 L 259/10 –, juris, Rn. 61; Beschluss vom 24. Mai 2017 – 3 L 201/16 –, juris, Rn. 11).

In Konstellationen, in denen der vergaberechtliche Schwellenwert gemäß § 106 GWB überschritten ist, stünde es den Beschwerdeführerinnen zudem frei, den Vergaberechtsweg zu beschreiten, sollte zu ihren Lasten eine auf Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 1 RettDG LSA beruhende Auswahlentscheidung ergehen. Es sind die Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet, die das Vergaberechtsregime namentlich mit der sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht nach erfolgloser Anrufung der Vergabekammer eröffnet (vgl. BVerfGE 126, 113 <134>), wenn die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht greift. Damit ist eine weitere fachrechtliche Frage aufgeworfen, die es fachrechtlich zu klären gilt. Der Geltungsbereich der Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist wegen der gebotenen europarechtskonformen Auslegung in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 8 Buchst. g) der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl EU L 94/1 vom 28. März 2014) zu bestimmen.

Eine abschließende Klärung ist insoweit auch nicht durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2019 (EuGH, Urteil vom 21. März 2019, C-465/17, E-CLI:EU:C:2019:234) erfolgt. […].“

Anders als von vielen Trägern des Rettungsdienstes erhofft, sind die Streitfragen – auch durch die Neuregelung der Bereichsausnahme Rettungsdienst/Gefahrenabwehr – ganz offenbar nicht abschließend geklärt. Die weitere Rechtsprechung bleibt abzuwarten.

Für Unterstützung und Fragen bei vergaberechtlichen Fragen stehen wir gern zur Verfügung.

  

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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