BMF-Einführungsschreiben zur Kostenteilungsgemeinschaft nach § 4 Nr. 29 UStG
In unserem Healthcare Newsletter 1/2022 als auch im Public Sector Newsletter 1/2022 haben wir den vorherigen Entwurf des BMF-Schreibens bereits vorgestellt. Bezugnehmend dazu werden in diesem Beitrag die wesentlichen Aussagen zusammengetragen.
1. § 4 Nr. 29 UStG als Umsetzung der MwStSystRL
Zum 1. Januar 2020 wurden die Vorgaben des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f) MwStSystRL im kodifizierten § 4 Nr. 29 UStG umgesetzt. Nach § 4 Nr. 29 UStG sind
„sonstige Leistungen von selbstständigen Personenzusammenschlüssen (sog. Kostenteilungsgemeinschaften) an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke ihrer dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren oder ihrer dem Gemeinwohl dienenden nach § 4 Nr. 11b, 14–18, 20–25 oder 27 UStG steuerfreien Umsätze unter weiteren Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit.“
Die Vorschrift ermöglicht damit – ohne die Begründung einer umsatzsteuerlichen Organschaft –, Leistungen im Rahmen eines Personenzusammenschusses unter gewissen Voraussetzungen umsatzsteuerfrei zu beziehen.
2. Wesentliche Aussagen des Einführungsschreibens
Im BMF-Schreiben werden die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen für Zusammenschlüsse von juristischen Personen des privaten Rechts als auch zu Zusammenschlüssen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts näher definiert.
Ausgewählte Tatbestandvoraussetzungen in Kürze:
- Begünstigte Personenzusammenschlüsse: Ist ein Zusammenschluss mehrerer Personen (Mitglieder) zur Erreichung eines gemeinsamen wirtschaftlichen Ziels.In Betracht kommen: Personen- und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaften nach dem WEG oder am Rechtsverkehr teilnehmende Bruchteilsgemeinschaften, Zweckverbände, Berufsverbände, Anstalten des öffentlichen Rechts und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts.
- Begünstigte Leistungen: Die Leistungen der Personenzusammenschlüsse müssen für die in § 4 Nr. 29 UStG genannten, dem Gemeinwohl dienenden Leistungen verwendet werden.Insbesondere kommen folgende Leistungen in Betracht:
- Heilbehandlungen und Krankenhausbehandlungen
- Umsätze der Medizinischen Dienste
- Leistungen von Einrichtungen zur Betreuung und Pflege
- Krankentransporte
- Leistungen kultureller Einrichtungen
- Leistungen für Schul- und Bildungszwecke
- Leistungen an Jugendliche zu Erziehungs-, Betreuungs- und Beherbergungs- sowie Verpflegungszwecken
- Leistungen des Jugendherbergswerks
Die Leistungen müssen nicht ausschließlich an die Mitglieder erbracht werden. Leistungen, die der Personenzusammenschluss für steuerpflichtige Leistungen seiner Mitglieder oder an Dritte erbringt, sind jedoch nicht von der Befreiungsvorschrift erfasst.
Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass zu den begünstigten Leistungen ausschließlich sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG) zählen, Lieferungen (§ 3 Abs. 1 UStG) sind davon nicht umfasst.
- Unmittelbarkeit der Leistung: Die Befreiung findet Anwendung, wenn die Leistung unmittelbar zu dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten beiträgt und zu diesem Zweck beim Mitglied eingesetzt wird. Nicht ausreichend ist, wenn die Tätigkeiten der Mitglieder nur mittelbar gefördert werden (z. B. allgemeine Verwaltungsleistungen in Form von Buchführung, Stammdatenpflege, Rechnungsprüfung, Backoffice-Tätigkeiten, Reinigungsleistungen, Personalgestellung). Weitere Beispielsfälle sind im Schreiben aufgelistet.
- Wettbewerbsverzerrung: Anderen Marktteilnehmern, die gleichartige steuerpflichtige Leistungen erbringen, dürfen keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Eine Wettbewerbsverzerrung wird nicht angenommen, wenn der Zusammenschluss sicher sein kann, dass die Kundschaft seiner Mitglieder unabhängig von jeder Besteuerung oder Befreiung erhalten bleibt.Als Indiz für das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung werden im BMF-Schreiben beispielhaft zwei Fälle aufgezeigt:
- Eine Wettbewerbsverzerrung soll vorliegen, wenn die Kostenteilungsgemeinschaft unter Ausnutzung „erheblicher“ Synergieeffekte die gleichen Leistungen in „erheblichem“ Umfang entgeltlich an Dritte am Markt erbringt oder
- wenn die Mitglieder bzw. Anteilseigner Dienstleistungen, die nicht auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind, auf die Kostenteilungsgemeinschaft verlagern, obwohl diese Leistungen auch von Wettbewerbern erbracht werden oder erbracht werden könnten.
- Genaue Kostenerstattung: Das Entgelt für die Leistung muss in einem reinen Kostenersatz bestehen (z. B. Ersatz von Personal-, Sach- und Finanzierungskosten). Die Höhe der entfallenden Kostenanteile kann auf die Mitglieder verursachergerecht nach dem Umfang und der Häufigkeit der Inanspruchnahme der sonstigen Leistung bemessen und umgelegt werden. Möglich sind auch eine Bemessung und Aufteilung der Kosten nach der Anzahl der Mitglieder oder anhand der Höhe der Beteiligung an dem Zusammenschluss. Eine genaue Kostenerstattung wird nicht angenommen, wenn die Kostenerstattung zu hoch oder zu niedrig bemessen wurde. Die vereinbarte Kostenverteilung und Kostenerstattung dürfen zudem in keinem Missverhältnis zur jeweiligen Inanspruchnahme der sonstigen Leistung stehen.
3. Anwendungsbereich
Die Befreiungsvorschrift ist auf Personenzusammenschlüsse im Inland beschränkt. Zeitlich findet das BMF-Schreiben erstmals für Umsätze von selbstständigen Personenzusammenschlüssen, die nach dem 31. Dezember 2019 bewirkt werden, Anwendung. Für vor dem 1. Januar 2020 erbrachte Leistungen können sich die Personenzusammenschlüsse unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f) MwStSystRL berufen.
4. Ausblick
Die von den Verbänden geäußerte Kritik zur Entwurfsfassung, insbesondere zum Merkmal der „Unmittelbarkeit der Leistung“, wurde im finalen Schreiben nicht aufgenommen, sodass sich nur wenige Änderungen ergaben. Nunmehr bleibt mit Spannung abzuwarten, ob und inwiefern die Rechtsprechung den Auffassungen der Finanzverwaltung folgt.
Fundstelle: BMF-Schreiben vom 19. Juli 2022 - III C 3 - S 7189/20/10001 :001 (2022/0744072)