Stakeholder Engagement muss über die Regulatorik hinaus gedacht werden

Stakeholder Engagement wird immer mehr zu einem wichtigen Baustein der strategischen Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen. Und das nicht nur, weil diese den Input der Interessensvertreter*innen benötigen, um mit Regularien wie der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) konform zu sein. Sondern auch, weil der offene Austausch zwischen Unternehmen und Stakeholdern einige weitere Vorteile mit sich bringt. Welche das sind und wie Stakeholder Engagement funktioniert, darüber berichten Dr. Roxana Codita, Nachhaltigkeits-Strategin bei der AUDI AG, und Carolin Friedrich, Partnerin bei Forvis Mazars in Deutschland.

Gemeinsam mit ihrem Expertenteam von Stakeholder Reporting, part of Forvis Mazars hat Carolin Friedrich die AUDI AG zum Thema Stakeholder Engagement beraten und den Autobauer dabei unterstützt, drei Dialogveranstaltungen in den Jahren 2022 und 2023 zu konzipieren und durchzuführen.

Warum verändert sich auf Unternehmensseite derzeit die Wahrnehmung des Themas Stakeholder Engagement?

Carolin Friedrich: Stakeholder Engagement rückt mehr in den Fokus, weil Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mittlerweile sehr deutlich den Handlungsdruck spüren, sich für Klima- und Umweltschutz einzusetzen. Sie werden sich immer mehr der Tatsache bewusst, dass es hier um komplexe Herausforderungen geht, die nur gemeinsam angegangen werden können: von Unternehmen, Shareholdern, Mitarbeiter*innen, Lieferanten, Communities vor Ort, NGOs und Konsument*innen. Nur im kritischen Dialog kann es gelingen, die unterschiedlichen Sichtweisen und Expertisen gewinnbringend zu nutzen, breit akzeptierte Lösungen für zum Teil schwierige Zielkonflikte zu entwickeln und letztlich auch die ESG-Performance von Unternehmen zu steigern.

Dr. Roxana Codita: Das Konzept an sich ist nicht neu – ob man es nun Stakeholder Management oder Engagement nennt. Was sich jetzt grundsätzlich verändert, ist, dass immer mehr Unternehmen von einer eher passiven Haltung zu einer aktiven Stakeholder-Einbindung übergehen. Dies kann verschiedene Formen annehmen, von neuen Kollaborationsformaten und Partnerschaften, bis hin zu einer direkten Einbeziehung in Unternehmensentscheidungen. Dabei sind zwei Dinge wichtig: Transparenz und Kontinuität. Es handelt sich um einen Prozess, der sich stetig entwickelt.

Die Regulatorik ist in dem Zusammenhang sicherlich ein wesentlicher Treiber, aber Unternehmen, die das Thema Stakeholder Engagement darüber hinaus denken, können die damit verbundenen strategischen Chancen besser heben. Der Input der Stakeholder stellt eine Art Kompass für Firmen dar. Und sie gewinnen dadurch so viel: Akzeptanz, wichtiges Feedback und Impulse, die ohne diesen Dialog nie entstanden wären. Besonders das Thema Nachhaltigkeit ist so komplex, dass beide Seiten durch den Austausch nur gewinnen können. Nachhaltigkeit ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Was wird durch Regularien wie die CSRD beim Stakeholder Engagement wichtig?

Dr. Roxana Codita: Vor allem Expertenwissen. Ich habe zum Beispiel bei Audi das Thema Wesentlichkeit begleitet und die regulatorischen Einflüsse und Veränderungen unmittelbar mitbekommen. Früher haben wir Wert auf ein breites Meinungsbild unserer Stakeholder gelegt. Um die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) zu erfüllen und damit die eigene Berichterstattung CSRD-konform zu gestalten, sind qualifizierte Aussagen zu den Auswirkungen unseres Unternehmens gefragt. Das ist komplexer, als es klingt: Denn es geht u. a. um potenzielle, aktuelle, negative und positive Impacts – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. So ist es in den Regularien verankert.

Und das ist richtig so: Denn jedes Unternehmen, egal wie gut es aufgestellt ist, hat blinde Flecken. Um die aufzudecken, muss Stakeholder Engagement anders laufen als früher. Fragen zu den eigenen Auswirkungen, Chancen und Risiken erfordern spezielle Fachkenntnisse und diverse Perspektiven, um relevante Antworten zu erhalten.

Carolin Friedrich: Das kann ich nur unterstreichen. Unternehmen benötigen qualitativ hochwertige und vor allem belastbare Aussagen ihrer Stakeholder. Geht es z. B. um Menschenrechte, sind die regionalen Unterschiede immens, und somit variieren auch die Lösungsanforderungen stark. Das bedeutet, dass auch der Impact eines Unternehmens nicht überall gleich ist.

Wie hat sich das Thema Stakeholder Engagement bei der Audi AG in den vergangenen Jahren entwickelt?

Dr. Roxana Codita: Zum einen hat sich das Thema stark ins Unternehmen hinein verbreitet. Stakeholder Engagement ist keine originäre Aufgabe der Strategieabteilung mehr: Die Fachbereiche organisieren Dialoge zu ihren Themenbereichen selbst und treten in den direkten Austausch mit externen Interessensvertreter*innen. Sie haben bereits eigene Formate gegründet und sind Teil von Initiativen – weil das Feedback grundlegend für ihre Arbeit ist. Wir in der zentralen Nachhaltigkeitsstrategie konsolidieren das und bieten Leitplanken.

Auch die Formate sind vielfältiger geworden: Hatten wir früher noch eher Tagesveranstaltungen zu verschiedenen Themen und mit unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen, sind wir zu kleineren, intensiveren Formaten und spezifischen Fragestellungen übergegangen.

Benötigen Mandant*innen inzwischen mehr Unterstützung beim Thema Stakeholder Engagement?

Carolin Friedrich: Die CSRD, die viele unserer Mandant*innen betrifft oder betreffen wird, stellt tatsächlich höhere Anforderungen an die Einbindung von Stakeholdern. Eine Wesentlichkeitsanalyse mit Stakeholder Engagement ist beispielsweise gemäß CSRD verpflichtend und muss prüfsicher dokumentiert werden. Deswegen haben wir Mandant*innen gerade jetzt im ersten Jahr der CSRD auch intensiver bei der Auswahl und Ansprache von Stakeholdern unterstützt.

Abseits der Nachhaltigkeitsberichterstattung arbeiten wir mit unseren Mandant*innen weiterhin an großen Stakeholder-Formaten wie Beiräten aus Expert*innen für die Beratung des Vorstands oder Lieferantendialogen. Je nach Erfahrung im Unternehmen oder Umfang des Vorhabens ist da unsere Unterstützung hilfreich bzw. sogar dringend nötig. Bevor Firmen sich aber solchen „Großprojekten“ zuwenden, ist ein erster Schritt, die bestehenden Kanäle zu prüfen: Wie kann ich ESG-Themen z. B. in die interne Kommunikation zur Ansprache der Mitarbeiter*innen oder ins Marketing für die Kund*innen mit reinnehmen? Dabei ist gleichzeitig wichtig, einen strategischen Rahmen für das gesamte Unternehmen zu setzen. Einzelne Fachbereiche sollten wissen, welche Aspekte des Stakeholder-Inputs für die Firma als Ganzes relevant sind.

Und dann gilt es, die Ergebnisse sichtbar zu machen und den Stakeholdern zu zeigen: Was bringt uns dieser Dialog, welche Impulse werden umgesetzt? Unternehmen, die in der Lage sind, die strategische Dimension des Engagements zu verdeutlichen und über die Ergebnisse zu berichten, sind besonders gut darin, vertrauensvolle und langfristige Beziehungen aufzubauen.  

Welche Formate eignen sich besonders gut, um Stakeholder einzubinden?

Dr. Roxana Codita: Es gibt kein Schema F. Das ist ganz individuell und kommt immer auf das Thema und die jeweiligen Interessensvertreter*innen an. Die Berater*innen von Stakeholder Reporting, part of Forvis Mazars haben uns dabei unterstützt, jeweils die passenden Formate zu finden.

Um auch intern die nötige Transparenz herzustellen, veröffentlichen wir einen internen jährlichen Stakeholder Report. Darin erfassen und konsolidieren wir besprochene Themen sowie die Dialoge mit den Interessensvertreter*innen über alle Fachbereiche hinweg.

Carolin Friedrich: Wichtig ist, einen Dialog nicht als einmalige Veranstaltung aufzusetzen. Zudem richtet sich das Format immer nach dem jeweiligen Ziel und der Fragestellung – und da ist die Bandbreite groß.

Wir haben z. B. für einen Mandanten einen Beirat etabliert, der im direkten Austausch mit den Stakeholdern sowie dem Vorstand steht, Letzterem Empfehlungen ausspricht und Beobachtungen teilt. Die Interessensvertreter*innen waren zunächst skeptisch, aber das Unternehmen hat sich geöffnet und Site-Visits vor Ort ermöglicht. Und nicht nur das: Gemeinsam konnten Unternehmen und Stakeholder eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, in der alle Beteiligten offen miteinander kommunizieren. Solche Prozesse machen Freude: Wenn man merkt, es beginnt auf beiden Seiten ein Nachdenken und ein gemeinsamer Prozess. Stakeholder Engagement ist ein großes Vertrauensthema. Es muss sich entwickeln, um Unternehmen wie Interessensvertreter*innen Vorteile zu bringen.

Dr. Roxana Codita: Absolut. Und dabei ist eine Grundregel wichtig: ehrlich und authentisch bleiben. Stakeholder haben ein sehr gutes Gefühl für Greenwashing und wenn Unternehmen sich anders darstellen wollen, als sie wirklich sind.

Wird das Stakeholder Engagement in Zukunft anders gestaltet als heute?

Dr. Roxana Codita: Wir müssen uns eines vor Augen halten: Auch die Stakeholder haben begrenzte Ressourcen und können nicht permanent mit verschiedenen Firmen in den Dialog gehen. Das habe ich selbst in meiner Arbeit erlebt: Einige Interessensvertreter*innen haben bereits angekündigt, sich in Zukunft nicht mehr mit Einzelunternehmen austauschen zu wollen, sondern nur noch im Rahmen von Branchen- oder Stakeholder-Initiativen. Wahrscheinlich sind diese Netzwerke die Zukunft – wobei für die Firmen weiterhin der unternehmensspezifische Dialog wichtig bleiben wird. Das ist eine Herausforderung, die wir nicht unterschätzen sollten.

Carolin Friedrich: Dabei haben natürlich die Unternehmen einen großen Vorteil, die diesen Dialog bereits seit Jahren pflegen, sich ein Stakeholder-Netzwerk aufgebaut haben und hier vor allem regelmäßig zurückspielen, was sie aus dessen Input machen.

Was nehmen Sie aus Ihrer gemeinsamen Arbeit mit?

Dr. Roxana Codita: Wir haben drei Formate miteinander organisiert und aus allen haben wir verschiedene Learnings generiert. Wichtig ist, dass man seine Stakeholder immer wieder einbezieht – nicht aus der Pflicht heraus, sondern aus dem ehrlichen Interesse aller Beteiligten heraus. Man muss den Interessensvertreter*innen zeigen, dass ihr Input etwas bewirkt.

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