Studie: Der Wirtschaftsprüfungsmarkt braucht ein neues Marktdesign
Wirtschaftsprüfungsmarkt braucht neues Marktdesign
„Funktionsdefizite behindern wirksamen Wettbewerb, beeinträchtigen die Prüfungsqualität und gefährden die Stabilität der Finanzmärkte“, sagt Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), Partner von DICE Consult und ehemaliges Mitglied der Monopolkommission. Diese berät die Bundesregierung in Fragen der Wettbewerbspolitik und Marktregulierung.
FISG: Die deutsche Antwort auf Wirecard
Nach dem milliardenschweren Betrugsskandal des Zahlungsabwicklers Wirecard waren mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) unter anderem die externe Rotationspflicht verkürzt, eine schärfere Trennung von Abschlussprüfung und (Steuer-)Beratung verfügt sowie die Haftungsgrenzen angehoben worden. Der Studie zufolge bestehe weiterhin Anpassungsbedarf, weil das FISG die Gefahr berge, Marktkonzentration und Eintrittsbarrieren zu erhöhen. „Im Extremfall wird aus dem Oligopol ein Duopol oder gar ein Monopol. Von wirksamem Wettbewerb kann also nicht die Rede sein“, warnt Prof. Dr. Haucap.
Entscheidungen auf Vertrauensbasis
Wahre und zuverlässige Informationen seien eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Märkte effizient funktionieren, so eine weitere Erkenntnis aus der Studie. In Kapitalgesellschaften habe das Management einen Informationsvorsprung gegenüber Eigentümern und möglichen Investoren. „In der Wissenschaft sprechen wir von Informationsasymmetrien“, erklärt Prof. Dr. Haucap. „Die Wirtschaftsprüfung hat die Aufgabe, dieses Ungleichgewicht zu verringern. Das Testat ist ein Gütesiegel, auf das sich die Marktteilnehmer verlassen.“ Falsche und unzuverlässige Abschlüsse könnten zu falschen Investitionsentscheidungen führen und die Kontrolle der Aktionäre über das Management untergraben – mit schwerwiegenden Folgen für die Finanzmärkte, für Arbeitsplätze, Renten und Ersparnisse in der Bevölkerung.
„Mit der Rolle der Wirtschaftsprüfung ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verbunden, die über das reine Zahlenwerk hinausgeht. Wirtschaftsprüfer stellen Vertrauen her“, sagt Dr. Christoph Regierer, Sprecher des Management Boards von Mazars in Deutschland. „Es ist im öffentlichen Interesse, dass die Funktionsdefizite auf dem PIE-Prüfungsmarkt behoben werden.“
Neues Marktdesign erforderlich
Aus ökonomischer Sicht ginge es jetzt nicht um weitere regulatorische Eingriffe, so die Studienautor*innen. Diese verweisen stattdessen auf Maßnahmen, die das strukturelle Problem auf dem PIE-Markt lösen könnten. Denkbar seien beispielsweise Gemeinschaftsprüfungen nach dem Vier-Augen-Prinzip, eine staatliche Prüferbestellung, die Deckelung von Marktanteilen oder die Einführung von wettbewerbssensiblen Kriterien für die Vergabe öffentlicher Prüfungsaufträge. „Unsere Studie zeigt Lösungen auf, wie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel erreicht werden kann, nämlich der hohen Marktkonzentration entgegenzutreten“, erklärt Prof. Dr. Haucap.
Über die Studie
Die Studie „Funktionsdefizite auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt“ ist am 12. Mai 2022 im Rahmen eines digitalen Live-Events vorgestellt worden. Gäste der anschließenden Podiumsdiskussion waren Prof. Dr. Justus Haucap (DICE Consult), Katharina Beck MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Fritz Güntzler MdB (CDU), Prof. Dr. Heribert Hirte (Bürgerbewegung Finanzwende) und Evelyne Freitag (Aufsichtsrätin und Finanzexpertin). Der Studienreport kann hier heruntergeladen werden.
Glossar zur DICE-Studie |
Public Interest Entity (PIE) Zu den Public Interest Entities (deutsch: Unternehmen von öffentlichem Interesse) gehören bestimmte Banken und Versicherungen sowie Unternehmen, deren übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Informationsasymmetrie In Kapitalgesellschaften resultiert aus der Trennung von Eigentum und Kontrolle eine Informationsasymmetrie zwischen Eigentümern und dem Management, die Marktversagen begründen kann. Aufgabe der Wirtschaftsprüfung ist es, dieses Ungleichgewicht zu verringern und ein damit potenziell einhergehendes Marktversagen zu verhindern. Joint Audit Bei einem Joint Audit (deutsch: Gemeinschaftsprüfung) werden mehrere voneinander unabhängige Abschlussprüfer*innen für die Durchführung einer Jahres- bzw. Konzernabschlussprüfung bestellt. Das geprüfte Unternehmen bestellt also zwei (in seltenen Fällen auch drei oder mehr) Prüfungsgesellschaften. Die Joint Auditors führen die Abschlussprüfung gemeinsam durch und testieren auch den geprüften Abschluss gemeinsam. Shared Audit Ein Shared Audit ist eine Prüfungskonstellation mit einer federführenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Primary Auditor) und einem Shared Auditor (oder mehreren Shared Auditors). Ähnlich wie beim Joint Audit wird die Prüfung in verschiedene Gebiete aufgeteilt. Die Verantwortung für den finalen Bestätigungsvermerk trägt hingegen nur der Primary Auditor, die andere beteiligte Prüfungsgesellschaft arbeitet diesem zu. Managed Shared Audit Eine besondere Ausprägung des Shared Audits ist das Managed Shared Audit, das im Vereinigten Königreich durch die dortige Audit-Reform bekannter wurde. Der im März 2021 veröffentlichte Regierungsvorschlag aus UK sieht verpflichtende Managed Shared Audits für im FTSE 350 gelistete Unternehmen vor: Der Primary Auditor muss eine Prüfungsgesellschaft aus dem Challenger-Umfeld (also keine Big-4-Gesellschaft) als Shared Auditor an Bord nehmen. Zudem soll der Shared Auditor einen bedeutenden Anteil an der Prüfung übernehmen. Cap Solution Eine Cap Solution bedeutet, dass der maximale Marktanteil (oder die maximale Anzahl der Mandant*innen) der führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gedeckelt wird. Bei Überschreitung dieses Deckels dürften die entsprechenden Gesellschaften keine weiteren Prüfungen mehr durchführen. |
Über DICE Consult
Die DICE Consult GmbH mit Sitz in Düsseldorf berät öffentliche und private Institutionen in allen Fragen der Wettbewerbs- und Regulierungspolitik. Basierend auf einem fundierten Marktwissen liefert DICE Consult ein breites Angebot an theoretischen und empirischen ökonomischen Analysen bei allen Fragen mit wettbewerbsökonomischer Relevanz. DICE Consult ist zudem Partner des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dem führenden akademischen Zentrum für Wettbewerbsökonomie in Deutschland.
Über Mazars
Mazars ist eine international integrierte Partnerschaft, die auf die Bereiche Wirtschaftsprüfung, Steuern und Recht¹ sowie Accounting, Financial Advisory und Consulting spezialisiert ist. Wir sind in über 90 Ländern und Regionen der Welt tätig und greifen auf die Expertise von mehr als 44.000 Professionals zurück – mehr als 28.000 in der integrierten Partnerschaft von Mazars und mehr als 16.000 über die Mazars North America Alliance –, um Mandant*innen jeder Größe in jeder Phase ihrer Entwicklung zu unterstützen.
In Deutschland ist Mazars mit 108 Partner*innen und fast 1.780 Mitarbeiter*innen an zwölf Standorten vertreten und gehört mit einem Jahresumsatz von über 204 Millionen Euro zu den führenden multidisziplinär aufgestellten Prüfungs- und Beratungsgesellschaften.
¹Wenn nach den geltenden Landesgesetzen zulässig.