BFH, Beschluss vom 28. Juni 2023 (II B 79/22) – Verfassungsmäßigkeit der Doppelbesteuerung bei Vor- und Nacherbschaft

Mit seinem Beschluss vom 28. Juni 2023 hat der BFH bestätigt, dass die vom Zivilrecht abweichende Behandlung der Vor- und Nacherbschaft und die damit verbundene (doppelte) Besteuerung des gleichen Vermögenserwerbs beim Vorerben und beim Nacherben rechtlich zulässig und verfassungsgemäß ist.

Hintergrund

Bei der Vor- und Nacherbschaft geht Vermögen im Wege der testamentarischen Erbfolge zunächst an den Vorerben, der dieses Vermögen zwar nutzen darf, das Vermögen aber bei Eintritt des testamentarisch definierten Nacherbfalls an den Nacherben weitergeben muss. Der Vorerbe ist also Eigentümer auf Zeit, hat das Vermögen zu erhalten und später weiterzugeben. Steuerrechtlich werden der Erwerb durch den Vorerben und der Erwerb des gleichen Vermögens durch den Nacherben gemäß § 6 ErbStG als vollwertige eigenständige Erwerbsfälle behandelt. In beiden Fällen erfolgt eine uneingeschränkte Besteuerung des Erwerbs, bei der sich die Beschränkungen des Vorerben nicht steuermindernd auswirken.

Zivilrechtlich erwerben sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe das Vermögen vom ursprünglichen Erblasser. Steuerrechtlich erwirbt der Nacherbe das Vermögen grundsätzlich vom Vorerben. Nur auf Antrag kann der Erwerb des Nacherben als Erwerb vom ursprünglichen Erblasser besteuert werden.

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatten die Steuerpflichtigen erfolglos moniert, dass die abweichende steuerliche Behandlung der Vor- und Nacherbschaft und die daraus resultierende uneingeschränkte doppelte Besteuerung des Erwerbs des gleichen Vermögens verfassungswidrig seien.

Entscheidungsgründe des BFH

Nach Auffassung des BFH ist der Gesetzgeber nicht durch den Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung gehalten, die Vor- und Nacherbschaft im Zivilrecht und im Steuerrecht in gleicher Weise auszugestalten. Und von diesem Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber durch § 6 ErbStG ausdrücklich Gebrauch gemacht. Zudem besteht durch das Antragsrecht des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG die Möglichkeit, dass der Nacherbe seinen Erwerb wie im Zivilrecht steuerlich als Erwerb vom ursprünglichen Erblasser behandeln lassen kann.

Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht sieht der BFH keinen Verstoß durch die doppelte Besteuerung des Erwerbs des gleichen Vermögens durch den Vorerben einerseits und den Nacherben andererseits ohne Berücksichtigung der Beschränkungen des Vorerben. Das Grundrecht der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG umfasst nicht die Garantie eines steuerfreien Übergangs des Eigentums. Der Umfang der Besteuerung liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Es darf dabei nicht zur Quasi-Enteignung durch zu hohe Steuern kommen. Diese Gefahr sieht der BFH bei der Erbschaftsteuer nicht.

Fazit/Bedeutung für die Praxis

Vor- und Nacherbschaft werden in Testamenten gern gewählt, da sie den Erhalt des Vermögens in der und für die Familie sichern. Die Beschränkungen des Vorerben, dem das Vermögen nur für eine zeitweilige Nutzung überlassen wird, sichern die Weitergabe des Vermögens an die nächste Generation. Häufig wird dabei aber nicht an die steuerlichen Folgen gedacht. Insbesondere wenn Vor- und Nacherbfall zeitlich nicht weit auseinanderliegen, wie z. B. häufig bei in etwa gleichaltrigen Eheleuten, wenn der überlebende Ehepartner Vorerbe wird und die Kinder Nacherben sind, wird die doppelte Besteuerung des Erwerbs des gleichen Vermögens als sehr gravierend wahrgenommen. Gerade bei größeren Vermögen sollte über Alternativgestaltungen nachgedacht werden. Dies könnte z. B. über die Einräumung von Nutzungsrechten statt Eigentum erfolgen. Dann würde nur eine einmalige Besteuerung erfolgen, die sich auf die beiden Personen verteilt.

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Autor

Bernd Schult
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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