Die Höhe der Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO ist grundsätzlich mit Europarecht vereinbar

Der BFH hat im Beschluss vom 1. März 2024 – V B 34/23 (AdV) – ausgesprochen, dass für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 nach seiner Auffassung keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit von §§ 233a, 238 Abs. 1 AO mit Europarecht bestehen.

Hintergrund 

Vor dem Hintergrund der langjährigen Niedrigzinsphase hat die im Steuerrecht gesetzlich festgelegte Höhe von Zinsen und Säumniszuschlägen die Gerichte intensiv beschäftigt. Nach anfänglichen Erfolgen, die zu einer Reduzierung der Zinshöhe gemäß § 238 Abs. 1a AO von sechs Prozent p. a. auf 1,8 Prozent p. a. ab 2019 geführt hat, hat die Rechtsprechung weitere Anpassungen abgelehnt. In diese Kette der ablehnenden Entscheidungen reiht sich auch die hier besprochene BFH-Entscheidung ein, bei der die Zinshöhe nicht an den Vorgaben des Grundgesetzes, sondern an denen des Europarechts gemessen wurde. 

Die Antragstellerin bezog in den Jahren 2008 bis 2011 sowie im Streitjahr 2014 im Inland umsatzsteuerpflichtige Eingangsleistungen, die sie für im Inland umsatzsteuerpflichtige Lieferungen wie auch für steuerfreie Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Lieferungen verwendete. Für die Jahre 2008 bis 2011 und für 2014 ergaben sich aufgrund von Vorsteuerüberhängen zunächst Vergütungsansprüche der Antragstellerin gegen die Finanzkasse. Nach einer Außenprüfung wurden die in Anspruch genommenen Vorsteuerabzüge für 2008 bis 2011 vom Finanzamt durch Änderungsbescheide versagt. In der Folge wurden die sich daraus für die Jahre 2008 bis 2011 ergebenden und nach § 233a AO zu verzinsenden Nachforderungsansprüche mit dem betragsgleichen, aber nicht nach § 233a AO zu verzinsenden Erstattungsanspruch für das Jahr 2014 verrechnet. Später wurde auch das Jahr 2014 vom Finanzamt geändert, sodass sich auch für dieses Jahr eine Steuernachzahlung und Nachzahlungszinsen ergaben. Durch ein Klageverfahren erreichte die Antragstellerin nur eine nachträgliche Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Jahr 2008. Daraufhin setzte das Finanzamt für die Umsatzsteuererstattung 2008 Erstattungszinsen fest und erhob für die Umsatzsteuernachzahlung 2014 Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO.  

Im Gerichtsverfahren gegen die Nachzahlungszinsen machte die Antragstellerin geltend, § 233a AO sei europarechtswidrig. Nachzahlungszinsen würden europarechtlich als Sanktionsmaßnahmen eingeordnet und folglich gelte die entsprechende Rechtsprechung des EuGH. Vorliegend würde die Zinsfestsetzung für das Jahr 2014 gegen den europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie den Neutralitätsgrundsatz verstoßen.  

Im Ergebnis führt der BFH aus, dass die Antragstellerin sich nicht auf einen europarechtlichen Anwendungsvorrang berufen kann, denn auf europarechtlicher Ebene bestehe keine Regelung für die Verzinsung der Zeiträume vor einer Umsatzsteuerfestsetzung. Weiterhin sei keine europarechtliche Regelung ersichtlich, die der Antragstellerin für den fraglichen Verzinsungszeitraum zu besseren Bedingungen verhelfe. Im Hinblick auf § 233a AO habe der nationale Gesetzgeber entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine sich aus Art. 273 Abs. 1 MwStSystRL ergebenden Beschränkungen zu beachten. 

Keine europarechtlichen Vorgaben an die Zinshöhe im deutschen Steuerrecht  

Im Jahr 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss (BVerfGE 158, 282), dass die (damalige) Verzinsung von Steuererstattungen sowie Steuernachforderungen in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat (§§ 233a, 238 AO) nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. 

Für die Umsatzsteuer war in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob neben den vom BVerfG aufgrund des Grundgesetzes berücksichtigten Aspekten (der Gleichheitsgrundsatz und die damit verbundene Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) auch noch aus dem Europarecht kommende Vorgaben für die Zinshöhe zu berücksichtigen sind. Im konkreten Streitfall sieht der BFH keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsfestsetzung. Aus dem Europarecht lassen sich keine die Antragstellerin günstiger stellenden Bestimmungen heranziehen. Auch Art. 273 MwStSystRL und die aus ihm derivierenden Einschränkungen für nationale Regelungsbefugnisse ändern daran nichts; diese gelten für Zinsen und andere Abgaben mit Sanktionscharakter und damit möglicherweise für Säumniszuschläge, jedoch aber nicht für solche Zinsen nach § 233a AO, denen eine Ausgleichsfunktion für Zeiträume vor einer Steuerfestsetzung zukommt.  

Bedeutung für die Praxis 

Der BFH-Beschluss lässt sich zwar nicht zwingend auf andere Fallgestaltungen im Bereich der Umsatzsteuer übertragen, sodass es hier mithin weiterer Entscheidungssicherheiten bedarf. Dennoch ergeben sich für andere Gestaltungen Entscheidungstendenzen aus dem BFH-Beschluss. Der BFH sieht im Europarecht grundsätzlich keine geeignete Grundlage für Vorgaben an die Zinshöhe im deutschen Steuerrecht. 

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Autoren

Bernd Schult 

Adam Bauschke 

Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 2/2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

 

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