Unregelmäßigkeiten können Vorsteuerabzug und Steuerfreiheit gefährden
Gefährdung von Vorsteuerabzug und Steuerfreiheit
Hintergrund
Wenn ein Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Leistung/seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende/ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden/nachfolgenden Umsatzstufe in eine Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs im Sinne des § 370 der Abgabenordnung oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens im Sinne der §§ 26a, 26c einbezogen war, sind Vorsteuerabzug und bestimmte Steuerbefreiungen zu versagen (§ 25f UStG).
Wissenmüssen
Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Wissenmüssens“ bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Das BMF traut sich mit seinem Schreiben vom 15. Juni 2022 zu, einen Beispielkatalog von Anhaltspunkten aufzustellen, bei deren Vorliegen der Unternehmer weitere Maßnahmen zur Aufklärung ergreifen und dokumentieren muss. Unterlässt der Unternehmer diese Maßnahmen oder können sie die Zweifel nicht ausräumen und geht er die Geschäftsbeziehung dennoch ein oder führt sie fort, wird die Finanzverwaltung vom „Wissen“/„Wissenmüssen“ ausgehen.
Katalog von Anhaltspunkten
Nachvollziehbare, aber hohe Wachsamkeit erfordernde Anhaltspunkte:
- Ein Dritter gibt die Rahmenbedingungen für ein Geschäft vor
- Der Preis liegt unter dem Marktpreis
- Mehrfachdurchläufe von Waren
- Branchenunübliche Barzahlungen
- Die Anlieferung von Ware erscheint an die angegebene Adresse nicht möglich
Schwer zu prüfende oder häufig harmlose Umstände:
- Die Ansprechpartner*innen im Unternehmen wechseln häufig
- Den Beteiligten fehlen berufliche Erfahrung und Branchenkenntnis
- Der im Handelsregister eingetragene Gesellschaftszweck passt nicht zum Geschäft
- Der angebotene Leistungsumfang passt nicht zur Größe des Unternehmens
- Website ohne Impressum
Bedeutung für die Praxis
Dass Steuerdelikte auf allen vor- und nachgelagerten Umsatzstufen einer Leistungskette beobachtet werden müssen, ist schon eine erhebliche Hürde, denn vor- oder nachgelagerte Beteiligte werden in der Regel nicht offengelegt.
Das BMF lässt außerdem offen, welche Maßnahmen „vernünftigerweise vom Unternehmer verlangt werden können“, um die Zweifel auszuräumen.
Voraussetzung des § 25f UStG ist zudem, dass eines der genannten Steuerdelikte tatsächlich vorliegt. Eine strafrechtliche Verurteilung oder eine bußgeldrechtliche Ahndung ist dafür nicht erforderlich. Hier ist Streit mit dem Finanzamt programmiert.
Unternehmen sollten alle vom BMF genannten Aspekte in ihr Tax Compliance Management-System aufnehmen und alle beteiligten Mitarbeiter*innen entsprechend schulen. Für Betriebsprüfungen wird entscheidend sein, dass die ergriffenen Maßnahmen gut dokumentiert sind.
Das „Wissen“/„Wissenmüssen“ der Angestellten wird dem Unternehmer laut BMF zugerechnet. Es empfiehlt sich, auf einen lückenlosen Informationsfluss zu achten und ggf. ein Meldesystem für Unregelmäßigkeiten einzurichten.
Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?
Autorin
Nadia Schulte
+49 211 83 99 330
Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.