Keine Umsatzsteuer auf dezentral erzeugten Strom
Keine Umsatzsteuer auf dezentral erzeugten Strom
Unternehmen, die in KWK-Anlagen (z. B. Blockheizkraftwerken) Strom erzeugen, nehmen häufig die Förderung nach dem KWKG in Anspruch. Durch den sog. KWK-Zuschlag wird auch der Strom gefördert, der nicht ins Netz der allgemeinen Versorgung eingespeist, sondern direkt vor Ort (d. h. dezentral) verbraucht wird. In diesen Fällen des dezentralen Verbrauchs wird in energiewirtschaftlicher Hinsicht eine fiktive Lieferung des Stroms (sog. kaufmännisch- bilanzielle Einspeisung) angenommen (z. B. § 4 Abs. 3 KWKG 2023). Der BFH hat nun wiederholt entschieden, dass diese fiktive Lieferung keine Lieferung (oder sonstige Leistung) im Sinne des UStG ist (Urt. v. 29. November 2022 (XI R 18/21), Urt. v. 11. Mai 2023 (V R 22/21).
Bisherige Verwaltungsauffassung: Hin- und Rücklieferung
Für Unternehmen, die Strom und Wärme in sog. KWK-Anlagen, beispielsweise auf einer eigenen Kundenanlage, erzeugen, ist der KWK-Zuschlag wirtschaftlich sehr bedeutsam. § 4 Abs. 3a KWKG 2009 regelte, dass dem Betreiber einer KWK-Anlage auch dann ein Zuschlag vom Netzbetreiber zusteht, wenn er den Strom nicht (vollständig) in das Netz der allgemeinen Versorgung einspeist, sondern ihn selbst verbraucht. Die Finanzverwaltung hat daraus den Schluss gezogen, dass bei dezentralem Verbrauch des Stroms durch den Anlagenbetreiber, der einen KWK-Zuschlag erhält, der Anlagenbetreiber den dezentral verbrauchten Strom an den Netzbetreiber liefert und dieser ihn sodann an den Anlagenbetreiber zurückliefert (Abschn. 2.5 Abs. 17 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)). Die Volleinspeisung einerseits und die Rücklieferung andererseits sollen demnach der Umsatzsteuer unterliegen, sodass auch der KWK-Zuschlag auf den Selbstverbrauch mit Umsatzsteuer belastet ist.
BFH: Keine Lieferung
Nach Auffassung des BFH geht diese Sichtweise fehl – der V. Senat schließt sich hier in seinem Urteil vom 11. Mai 2023 (Az. V R 22/21) der ausführlichen Begründung des XI. Senats vom 29. November 2022 (XI R 18/21) an. In Bezug auf dezentral verbrauchten Strom liege keine Lieferung an den Netzbetreiber und dementsprechend auch keine Rücklieferung an den Anlagenbetreiber vor. Notwendig sei die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag im Rahmen der Verschaffung der Verfügungsmacht, was u. a. auch beinhalte, dass der Empfänger den Liefergegenstand seinerseits verkaufen kann. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt, da kein Strom in das Netz des Netzbetreibers eingespeist wurde.
Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 3a KWKG 2009 und vergleichbarer Normen des KWKG lasse sich ableiten, dass der KWK-Zuschlag eine energiepolitisch motivierte Förderung des Anlagenbetreibers darstelle, aber kein Entgelt. Bei der sog. kaufmännisch-bilanziellen Einspeisung sei nicht von einer Stromlieferung auszugehen; sie sei eine energiewirtschaftliche Fiktion, nach der der Anlagenbetreiber zwecks Erhalts einer Förderung (z. B. EEG oder KWKG) von der vollständigen Einspeisung des erzeugten Stroms ausgehen kann, auch wenn diese Fiktion eine Abweichung von den physikalischen Gegebenheiten darstellt. Der Fiktion der Volleinspeisung und anschließenden Zurücklieferung habe für umsatzsteuerliche Zwecke keine Bedeutung.
Praktische Auswirkung
Interessant sind die Entscheidungen des BFH insbesondere für Anlagenbetreiber ohne Vorsteuerabzugsberechtigung – beispielsweise Abwasserentsorger – wenn der Verbrauch des in der KWK-Anlage erzeugten Stroms dem hoheitlichen (und nicht dem unternehmerischen) Bereich zuzuordnen ist.
Anlagen- und Netzbetreiber, die bei dezentral verbrauchtem Strom bislang keine Rechnungen über Hin- und Rücklieferungen erhalten oder erteilt haben, können sich gegenüber dem Finanzamt auf die BFH-Rechtsprechung berufen und damit ihre Praxis verteidigen. Für Unternehmer, die sich bislang an den UStAE gehalten haben, kann dies nachteilig sein, wenn kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht. Dies ist z. B. bei Abwasserentsorgern der Fall, die den erzeugten Strom im hoheitlichen Bereich verbrauchen. Der Netzbetreiber rechnet hier häufig sowohl die erhaltene fingierte Hinlieferung als auch die erbrachte fingierte Rücklieferung in einem gemeinsamen Dokument ab: die Hinlieferung des Anlagenbetreibers als Gutschrift und die Rücklieferung als eigene Leistung.
Da die Hinlieferung für den Anlagenbetreiber eine unternehmerische Tätigkeit ist, für die er Umsatzsteuer schuldet, der durch die Rücklieferung bezogene Strom jedoch im hoheitlichen Bereich verwendet wird, sodass der Anlagenbetreiber insoweit keinen Vorsteuerabzug hat, entsteht durch die Fiktion für den Anlagenbetreiber ein Steuernachteil und eine wirtschaftliche Belastung. Diese kann er unter Berufung auf die BFH-Rechtsprechung eliminieren, indem er der Gutschrift des Netzbetreibers widerspricht und den Netzbetreiber auffordert, die Rechnung für die Rücklieferung zu stornieren und die gezahlte Umsatzsteuer zu erstatten, soweit dies zivilrechtlich (noch) möglich ist. Die betroffenen Umsatzsteuervoranmeldungen/ -erklärungen sind entsprechend zu korrigieren.
Auch die Betreiber von Photovoltaik-Anlagen, die vor dem 1. April 2012 in Betrieb genommen wurden und bei denen es ebenfalls zu einer fingierten Hin- und Rücklieferung kommt, sollten prüfen, ob sich das Urteil in ihrem Fall umsatzsteuerlich auswirkt.
Autor*innen
Gregor Weimer
Tel: +49 30 208 88 2019
Nadia Schulte
Tel: +49 211 83 99 330
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 4-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.