Dezentral verbrauchter Strom aus KWK-Anlagen begründet keine Hin- und Rücklieferung – BFH-Urteil vom 11. Mai 2023 (V R 22/21)
Dezentral verbrauchter Strom aus KWK-Anlagen
Hintergrund
Nach aktueller Verwaltungsauffassung führt der dezentrale Verbrauch des Stroms durch den Anlagenbetreiber einer KWK-Anlage, für welchen der Anlagenbetreiber einen KWK-Zuschlag erhält, aus umsatzsteuerlicher Sicht zu einer Lieferung des Anlagen- an den Netzbetreiber und zugleich zu einer Rücklieferung vom Netz- an den Anlagenbetreiber. Damit unterliegen die Volleinspeisung und die Rücklieferung jeweils der Umsatzsteuer. Der KWK-Zuschlag auf den Selbstverbrauch wird damit insoweit mit Umsatzsteuer belastet.
BFH: Keine fiktive Hin- und Rücklieferung des Stroms
Für diese im Umsatzsteueranwendungserlass (Abschn. 2.5 Abs. 17 UStAE) geregelte und von der Finanzverwaltung praktizierte Hin- und Rücklieferfiktion sieht der BFH keine Grundlage. Es liegt hinsichtlich des dezentral verbrauchten Stroms kein Leistungsaustausch und somit keine umsatzsteuerbare Lieferung vor, da nach Ansicht des BFH keine Verfügungsmacht am Strom verschafft wurde. Eine Hin- und Rücklieferung ergibt sich auch nicht aus dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bzw. aus dem § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, wonach ein Umsatz nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt.
Die Verneinung einer Lieferung im Anwendungsbereich des § 4 Abs.3a KWKG 2009 führt laut Ansicht des BFH dazu, dass im Rahmen der sogenannten kaufmännisch-bilanziellen Einspeisung (Abschn. 2.5 Abs. 2 UStAE) auch keine Lieferung vorliegen kann. Entscheidungsrelevant für die Urteile war diese Art von Einspeisung aber nicht. Umso erstaunlicher doch der Hinweis des BFH.
Bedeutung für die Praxis
Auch wenn sich bisher die Finanzverwaltung zur Anwendung beider Urteile noch nicht geäußert hat, ergibt sich nun aus den Urteilen für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit – insbesondere für Anlagenbetreiber ohne Vorsteuerabzugsberechtigung –, sich auf die von der Auffassung der Finanzverwaltung abweichende Rechtsprechung zu berufen. Netzbetreiber müssten dazu aufgefordert werden, einen gesonderten Umsatzsteuerausweis in ihrer Abrechnung über die Rücklieferung des Stroms zu widerrufen. Gegen die Gutschrift des Netzbetreibers über die Hinlieferung des Stroms müsste seitens des Anlagenbetreibers Widerspruch eingelegt werden. Bei der Gutschrift handelt es sich um eine Abrechnung nach § 14c Abs. 2 UStG, welche unter Anwendung der Rechtsprechung dennoch dazu führt, dass der Anlagenbetreiber die Umsatzsteuer bis zum Widerruf sowie der Zustimmung des Finanzamtes zu einem Antrag auf Berichtigung der Umsatzsteuer (Berichtigungsverfahren des § 14c Abs. 2 S. 3–5 UStG) schuldet. Ggf. kann die Rückabwicklung über ein Abtretungs- und Verrechnungsverfahren mit den beteiligten Finanzämtern vereinfacht werden.
In diesem Zusammenhang bleibt außerdem noch die Entscheidung des Verfahrens beim BFH zur Annahme einer Lieferung für dezentral verbrauchten und in einem Blockheizkraftwerk erzeugten Strom (Az. V R 22/21; Vorinstanz: FG Köln vom 16. Juni 2021 – K 2943/16) abzuwarten.
Autorin
Sandra Harnisch
Tel: +49 221 28 20 2456
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