Bundesnetzagentur plant Reform der Industrienetzentgelte

Gerade die mittelständische Industrie kämpft in Deutschland mit steigenden Energiepreisen. Energiekostenreduzierungen müssen von den Unternehmen beantragt und gegebenenfalls mit dem Netzbetreiber vereinbart werden.

Zu diesen Kostenreduzierungen gehören auch die individuellen Netzentgelte, durch die Unternehmen bis zu 90 Prozent der Netzentgeltkosten einsparen können. In Deutschland belaufen sich diese Einsparungen auf ca. 1 Mrd. €, die von der Allgemeinheit getragen werden. Allerdings müssen manche Unternehmen nun aufgrund einer Novellierung der Industrienetzentgelte um dieses Kostenprivileg fürchten. Strom könnte dann noch teurer werden. 

Hintergründe der Reform

Der Zubau erneuerbarer Energien stellt gerade den Netzbetrieb vor Herausforderungen. Photovoltaikanlagen und Windenergieanlagen erzeugen Strom nicht gleichmäßig, sondern schwankend. Um diese Schwankungen im Netz auszugleichen, werden aktuell Strategien erarbeitet: Erzeugungsseitig sollen im Rahmen einer Kraftwerksstrategie flexible Kraftwerke errichtet werden, die hinzugeschaltet werden können, wenn die Sonne einmal nicht scheint oder Windflaute herrscht. Aber auch auf der Seite des Energieverbrauchs können die Spannungsschwankungen ausgeglichen werden. Hier greifen bereits etablierte Mechanismen in Form individueller Sondernetzentgelte für die Industrie. Danach kann ein Industrieunternehmen hohe Netzentgeltkosten einsparen, wenn es das energiewirtschaftlich grundsätzlich sinnvolle Verhalten zusagt. Eine solche Kosteneinsparung ist aktuell möglich bei:

  • atypischer Netznutzung (Unternehmen verbraucht Strom in Zeiten, in denen viel Strom im Netz ist, weil deutschlandweit von anderen Stromverbrauchern typischerweise wenig Strom bezogen wird)

sowie

  • intensiver Netznutzung (Unternehmen hat eine zuverlässige, immer gleichbleibende Grundlast von mindestens 10 GWh Verbrauch und 7.000 Benutzungsstunden).

Diese beiden regulatorisch geförderten Verhaltensweisen stehen nun jedoch auf dem Prüfstand. Die Bundesnetzagentur (BNetzA), die in diesem Bereich federführend ist, meint vor dem Hintergrund des stetigen Zubaus erneuerbarer Energien Fehlanreize insbesondere in der intensiven Netznutzung zu erkennen. Das bisherige unflexible Abnahmeverhalten, das durch die momentanen Regelungen angereizt werde, sei gesamtökonomisch nachteilhaft und verschärfe sogar kritische Netzzustände. Der erneuerbare Strom, der unregelmäßig in das Netz eingespeist wird, erfordere eher ein flexibles Abnahmeverhalten aufseiten industrieller Letztverbraucher. Statt einer gleichmäßigen Leistungsaufnahme stromintensiver Unternehmen sei vielmehr ein netzdienliches, flexibles Verbrauchsverhalten der Industrie anzureizen. 

Übergangsregelungen bis zum 31. Dezember 2025

Bisher konnte ein Unternehmen den Kostenvorteil verlieren, wenn es den Stromverbrauch stark reduziert. Konsequenterweise hat die Bundesnetzagentur per „Festlegung zur Förderung der Flexibilisierung“ angeordnet, dass eine freiwillige Reduzierung des Stromverbrauchs nicht dazu führen soll, dass ein Unternehmen den Netzentgeltvorteil verliert.

Auch das Problem sog. Leistungsspitzen hat die BNetzA entschärft. Bezieht ein Unternehmen in einer Viertelstunde abweichend vom üblichen Jahresstrombezug eine sehr große Strommenge, konnte dies bisher dazu führen, dass der Netzentgeltvorteil verloren geht. Nunmehr gehen zumindest solche Leistungsspitzen, die einer Überlastung des Stromnetzes durch kurzfristige Abnahme entgegenwirken, nicht mehr zulasten des Netzentgeltvorteils.

Folglich wird auch schon jetzt unter den bestehenden Regelungen eine flexible Stromentnahme gefördert. Jedoch ist hier zu beachten, dass diese Regelungen nur bis zum 31. Dezember 2025 gelten. 

Was bedeutet das für energieintensive Unternehmen?

Eine Reform der Industrienetzentgelte erscheint unausweichlich, weil Stromnetze aufgrund der zunehmenden Einspeisung von erneuerbarem Strom an ihre Grenzen gelangen. Dort, wo Industrieunternehmen auf Marktsignale reagieren und eine systemdienliche Fahrweise anbieten können, sollten die Potenziale ausgeschöpft werden. 

Allerdings sollte ein neuer regulatorischer Rahmen auch die Sachzwänge bestimmter Branchen im Blick behalten. Einigen Betrieben ist das von der Bundesnetzagentur geforderte flexible Abnahmeverhalten schlichtweg nicht möglich. So ist zum Beispiel die Produktion von Halbleiterbauelementen auf eine bestimmte, stetig gleichbleibende Luftqualität angewiesen, was einen hohen und stetigen Stromeinsatz in Kälte- und Filteranlagen erfordert. Die Sicherstellung des sogenannten Reinraumes macht einen wesentlichen Teil des Stromverbrauchs in einer Chipfabrik aus, in der u. a. Wafer für die Mikrochipherstellung produziert werden. Ein Wafer kann nur unter diesen besonderen Reinraumbedingungen hergestellt werden. Weil eine Chipfabrik an dieser Stelle kaum Kompromisse eingehen kann, würde sie mittelfristig den Netzentgeltvorteil verlieren. 

Dieses Ergebnis spricht aus Sicht der Industrie gegen den Standort Deutschland. Die Novelle der Industrienetzentgelte sollte daher auf Besonderheiten bestimmter Branchen eingehen und einen sachgerechten Ausgleich im Einzelfall finden. Unternehmen und einschlägige Branchenverbände wurden aufgefordert, bis zum 18. September 2024 Stellungnahmen bei der Bundesnetzagentur einzureichen.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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