BFH – Steuerfreiheit von Leistungen einer Praxisgemeinschaft an die beteiligten Ärzte

Eine zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks nach außen auftretende ärztliche Praxisgemeinschaft ist Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Mit Beschluss vom 4. September 2024 (XI R 37/21) entschied der Bundesfinanzhof (BFH), dass Leistungen der Praxisgemeinschaft umsatzsteuerfrei sind, sofern diese von den Mitgliedern der Gemeinschaft bezogen werden.

Sachverhalt

Die Ärzte A und B gründeten im Jahr 2013 eine Praxisgemeinschaft (Klägerin) zur gemeinsamen Nutzung von Praxisräumen, -einrichtungen und Personal. Zur Deckung der Kosten für diese Leistungen leisteten die beiden Ärzte monatliche Beiträge. Die Klägerin fungierte als „reine Kostengemeinschaft“ und sollte keine Gewinne erwirtschaften. Die Ärzte übten ihre Tätigkeiten (weiterhin) auf eigene Rechnung aus. Die Geschäftsführung der Klägerin stand allein Arzt A zu, welcher hierfür ein Entgelt erhielt. Die Klägerin stellte die zuvor bei Arzt A beschäftigten medizinischen Fachangestellten sowie eine Büro- und Rezeptionskraft an. Darüber hinaus schloss die Klägerin Verträge mit Dritten im eigenen Namen ab, z. B. mit einer Reinigungskraft.

Gegenüber den beiden Ärzten stellte die Klägerin Personaldienstleistungen im eigenen Namen in Rechnung. Das Finanzamt vertrat im Rahmen einer Außenprüfung die Auffassung, dass die Klägerin als Unternehmerin anzusehen sei. Sie habe an die beiden Ärzte umsatzsteuerbare Leistungen gegen Entgelt erbracht. Die Leistungen seien auch umsatzsteuerpflichtig, da sie nicht unmittelbar für steuerfreie Heilbehandlungen verwendet worden seien. Konkret seien die Verwaltungstätigkeiten für die Ärzte, Arbeiten bei der Erstellung der Abrechnungen, Organisationsleistungen und die Raumpflege umfasst.

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Das Niedersächsische Finanzgericht (Urteil vom 11. November 2021 – 5 K 62/19) gab der Klage statt und setzte die Umsatzsteuer auf 0 € herab. Die Geschäftsführungstätigkeit des Arztes A für die Klägerin sei nicht steuerbar. Die übrigen Leistungen seien nach § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG a. F. von der Steuer befreit. Das Finanzamt ging gegen dieses Urteil in Revision.

Entscheidung des BFH

Die Revision des Finanzamtes blieb ohne Erfolg.

Die Klägerin ist unabhängig von ihrer Bezeichnung als „Gemeinschaft zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks“ nach außen aufgetreten. Sie gilt als Gesellschaft. Sie hat als Unternehmerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG auch steuerbare Leistungen an die Ärzte A und B erbracht. Es ist jedoch zwischen den verschiedenen „Leistungsbeziehungen“ zu differenzieren.

Keine steuerbaren Geschäftsführungsleistungen durch die Gesellschaft

Zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger muss im Sinne des Umsatzsteuerrechts ein Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen die gegenseitigen Leistungen ausgetauscht werden. Das gilt auch bei einem Leistungsaustausch zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern. Das maßgebliche Rechtsverhältnis kann in diesem Fall der Gesellschaftsvertrag sein. Die Nutzung von Gegenständen des Gesellschaftsvermögens oder auch der Bezug anderer Leistungen der Gesellschaft für die eigenen Zwecke einzelner Gesellschafter ist dann steuerbar, wenn die Gesellschaft hierfür ein Entgelt (z. B. Aufwendungsersatz) erhält.

Dahingehend waren die Zahlungen der Ärzte A und B als nicht steuerbar einzustufen. Sie stellten kein Entgelt für Leistungen der Gesellschaft dar, sondern sollten sie lediglich mit dem notwendigen Kapital für ihre Tätigkeiten ausstatten. Die Klägerin hat u. a. in Form von Personal- und Raumleistungen steuerbare Leistungen in Form konkreter Vorteile an ihre Gesellschafter erbracht. Nicht darunter fallen jedoch die Geschäftsführungsleistungen des Arztes A. Insoweit die Klägerin diese Geschäftsführungsleistungen bezogen hat, hat sie dadurch den Ärzten A und B keinen solchen Vorteil verschafft. Der Arzt A führt nicht die Geschäfte des Arztes B, sondern der gemeinsamen Gesellschaft. Die Klägerin ist Leistungsempfängerin und nicht selbst Leistende. Soweit ein Anteil der Geschäftsführungsleistungen auf den Arzt B entfällt, betrifft dies lediglich die Bemessung des Entgelts.

Steuerbefreiung der übrigen steuerbaren Leistungen der Gesellschaft

Die übrigen – steuerbaren – Leistungen der Gesellschaft an ihre Mitglieder sind zudem umsatzsteuerfrei. Dies ergibt sich aus § 4 Nr. 14 lit. d UStG (a. F.) bzw. jedenfalls aus Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL.

Der deutsche Gesetzgeber hatte die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL mit § 4 Nr. 14 Satz 2 UStG nur partiell – somit unionsrechtswidrig – umgesetzt. Zweck der Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL besteht darin, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu befreien. So soll der Zugang zu den umfassten Leistungen in Form der Kostensenkung erleichtert werden.

Von der Steuerbefreiung umfasst sind die noch streitigen Reinigungsleistungen sowie die Tätigkeiten der Arbeitnehmerinnen der Klägerin gegenüber ihren Gesellschaftern. Die Leistungen wurden unmittelbar für Zwecke der Ausübung der steuerfreien Tätigkeiten der Ärzte (Heilbehandlungen) erbracht. Bei der Praxisgemeinschaft liegt zudem ein selbstständiger Zusammenschluss vor. Die Klägerin verlangte von ihren Gesellschaftern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den Gesamtkosten (Aufwendungsersatz).

Durch die Behandlung der Leistungen der Gesellschaft als steuerfrei drohen auch keine Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Marktteilnehmern. Hätten die Ärzte A und B weiterhin ohne die Praxisgemeinschaft eine angestellte Reinigungskraft die entsprechenden Tätigkeiten ausführen lassen, wäre dies von der Umsatzsteuer befreit gewesen. Der Umstand, dass die Klägerin „zwischengeschaltet“ wurde und die Verträge übernommen hat, kann zu keinem anderen Ergebnis führen.

Hinsichtlich der erbrachten Leistungen einer Bürokraft unterblieb eine weitere rechtliche Würdigung. Die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG a. F.) fand Anwendung, weshalb keine Steuer erhoben wurde.

Fazit und Ausblick / Praxishinweise

Der BFH löst diesen Fall aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des § 4 Nr. 14 lit. d UStG zulässig über Art. 132 Abs. 1 lit. f MwStSystRL. Diese Norm wird seit dem 1. Januar 2020 durch § 4 Nr. 29 UStG umgesetzt und wäre aktuell daher in gleicher Weise zu lösen. Auch dieser erfährt jedoch kritische Einschränkungen. Er bezieht sich nur auf inländische Zusammenschlüsse und unternehmerische Tätigkeiten gemäß § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 und 27 UStG.

Der BFH bringt mit dieser Entscheidung Klarheit für Praxisgemeinschaften. Er grenzt trennscharf die unterschiedlichen Leistungsbeziehungen der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern ab. Insbesondere wird verdeutlicht, dass Leistungen, die der Innenorganisation (z. B. Kapitalausstattung) der Gemeinschaft dienen, nicht „ohne Weiteres“ steuerbar sind. Zudem wird deutlich dargelegt, dass der Bezug von Geschäftsführungsleistungen durch einen Gesellschafter keinen (automatischen) Vorteil an alle Gesellschafter durch die Praxisgemeinschaft begründet. Wäre dies der Fall, würde die Leistungsbeziehung zwischen dem Geschäftsführer, hier Arzt A, in ihr Gegenteil umgekehrt werden. Dieser wäre gleichzeitig Leistender an die Gesellschaft und zugleich seinem Anteil entsprechend Leistungsempfänger dieser.

In Bezug auf die Anpassung des § 19 UStG zum 1. Januar 2025 durch das Jahressteuergesetz 2024 gilt nun auch für diesen eine an das Unionsrecht angepasste Rechtslage. Anstelle einer Nichterhebung der Steuer sind diese Leistungen ebenfalls von der Steuer befreit.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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