Die Rückkehr des Helden – wesentliche Klarstellungen und besser kontrollierbare Risiken bei Inhouse-Vergaben
Den Aufbruch der Inhouse-Vergabe markiert die wegweisende Teckal-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18. November 1999 (Az. C-107/98) und deren zahlreiche Nachfolgerentscheidungen. Der EuGH trat hier als Mentor auf und gab die ersten Hinweise in Form von Kriterien für die Inhouse-Vergabe. Die Rechtsprechung brachte eine neue Perspektive und Hoffnung für öffentliche Auftraggeber, die sich angesichts des immer strenger und komplexer werdenden europäischen Vergaberechts in Not wähnten.
Anfangs, als die rechtliche Grundlage allein die Rechtsprechung des EuGH war, folgten nur wenige von ihnen dem Ruf des Abenteuers. Die Entscheidung zur Inhouse-Vergabe glich einer Mutprobe, denn man ließ es darauf ankommen, dass ein deutsches Gericht prüft, ob die vom EuGH aufgestellten Inhouse-Kriterien erfüllt sind. Damals galt noch mehr als heute, dass man, wenn deutsche Gerichte europäisches Recht auslegen, vor Gericht noch ein gutes Stück weiter draußen auf hoher See ist als sowieso schon. Das rechtliche Risiko schien unkontrollierbar. Doch angezogen von den enormen Einsparungsmöglichkeiten und getrieben vom Horror vor der Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung überschritten dennoch immer mehr Auftraggeber die erste Schwelle. Nach und nach entwickelte sich ein regelrechter Trend, die Kriterien des EuGH anzuwenden und Inhouse-Vergaben durchzuführen.
In der Folge musste sich die Inhouse-Vergabe zahlreichen Prüfungen und Herausforderungen stellen, vor allem in Gestalt von Nachprüfungs- und Gesetzgebungsverfahren. Zeitweise schien es, als würde sie dabei womöglich zwischen den verschiedenen Interessengruppen zerrieben. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Mit der Richtlinie 2014/24/EU und der Einführung von § 108 GWB im Jahr 2016 begann die Transformation in nationales Recht. Mittlerweile wurde auch die nationale Rechtslage durch eine Fülle von Entscheidungen der Vergabekammern (VK) und Oberlandesgerichte (OLG) deutlich geschärft. Zuletzt hatte die Entscheidung der zweiten Vergabekammer des Bundes vom 29. Juli 2024 (Az. VK 2-61/24) für Aufregung gesorgt. Darin hieß es, dass die beschlussfassenden Organe einer juristischen Person, die eine Inhouse-Vergabe erhalten soll, ausschließlich aus Vertretern der beteiligten öffentlichen Auftraggeber bestehen müssen. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die Praxis und würde in vielen Fällen einer Inhouse-Vergabe entgegenstehen, die nach der Rechtsprechung des EuGH hingegen Inhouse-fähig sind.
Die Entscheidung der VK Bund ist nicht bestandskräftig und wurde mit einer Beschwerde zum OLG Düsseldorf angegriffen. Das OLG Düsseldorf hat über die Beschwerde auch bereits entschieden. Allerdings ist die schriftliche Ausfertigung des Beschlusses zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Newsletter-Beitrages noch nicht verfügbar. Dem Vernehmen nach hat das OLG jedoch den Fall anhand der Fremdumsätze gelöst und dabei die spannende Frage offengelassen, ob wirklich alle Mitglieder der beschlussfassenden Organe Vertreter der beteiligten öffentlichen Auftraggeber sein müssen.
Parallel zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Inhouse-Vergabe werden in näherer Zukunft voraussichtlich auch legislativ weitere Konkretisierungen folgen durch ein Gesetzesvorhaben, das passenderweise den Arbeitstitel „Transformationsgesetz“ trägt. In diesem Rahmen könnten neben weiteren längst überfälligen Klarstellungen vor allem die vertikale und horizontale Inhouse-Vergabe inklusive der sogenannten „Halbschwestern“-Vergabe endgültig in nationales Recht überführt und ausdrücklich ins Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aufgenommen werden. Dadurch würde die Rechtslage für diese praktisch relevanten Konstellationen wesentlich klarer. Im Ergebnis werden sich die rechtlichen Risiken bei Inhouse-Vergaben zukünftig jedenfalls deutlich besser kontrollieren und minimieren lassen. Was bevorsteht, ist nichts weniger als die Rückkehr des Helden.
1. VK Bund, Beschluss vom 29. Juli 2024 (Az. VK 2-61/24)
Aus dem (nicht bestandskräftigen) Beschluss VK 2-61/24 der Vergabekammer des Bundes vom 29. Juli 2024 und den im nachfolgenden Beschwerdeverfahren ergangenen Beschluss des OLG Düsseldorf (Az. Verg 25/24) dürften die folgenden Klarstellungen folgen:
Strengere Anforderungen an die Zusammensetzung der beschlussfassenden Organe
Die beschlussfassenden Organe einer juristischen Person, die eine Inhouse-Vergabe erhalten soll, müssen ausschließlich aus Vertreter*innen der beteiligten öffentlichen Auftraggeber bestehen. Dies bedeutet, dass keine externen Mitglieder, wie z. B. Vertreter*innen von privaten Unternehmen oder anderen externen Interessengruppen, in diesen Organen vertreten sein dürfen. Diese Klarstellung verschärft die Anforderungen an die dienststellenähnliche Kontrolle und schließt die Beteiligung externer Vertreter*innen aus.
Einfluss auf strategische Entscheidungen
Die beteiligten öffentlichen Auftraggeber müssen einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben. Dies bedeutet, dass die öffentlichen Auftraggeber in der Lage sein müssen, Entscheidungen zu kontrollieren und zu beeinflussen, was durch die Zusammensetzung der beschlussfassenden Organe gewährleistet sein muss.
Freiwillige Einrichtung von Aufsichtsräten
Konkret geht es in dem zugrunde liegenden Fall um die Frage, ob die freiwillige Einrichtung eines Aufsichtsrats, der nicht ausschließlich aus Vertreter*innen der öffentlichen Auftraggeber besteht, die Inhouse-Voraussetzungen beeinträchtigen kann. Dies unterscheidet sich von Fällen, in denen die Einrichtung eines Aufsichtsrats gesetzlich vorgeschrieben ist und somit die Inhouse-Voraussetzungen nicht beeinträchtigt.
Berücksichtigung institutioneller Förderung
Im Hinblick auf die Berechnung des Anteils der Fremdumsätze können demnach institutionelle Förderungen aus öffentlichen Haushaltsmitteln nicht als Umsatz im Sinne des Wesentlichkeitskriteriums berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass solche Förderungen nicht zur Erfüllung der 80-Prozent-Regelung herangezogen werden dürfen.
Grundrechtlicher Schutz von Wissenschaft und Forschung
Die Entscheidung hebt hervor, dass Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, die unter dem besonderen grundgesetzlichen Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG stehen, Abwehrrechte gegen staatliche Kontrolle geltend machen können. Dies kann der dienststellenähnlichen Kontrolle entgegenstehen und somit die Inhouse-Voraussetzungen beeinträchtigen.
2. Vergabetransformationsgesetz (VergRTransfG)
Das Vergabetransformationsgesetz befindet sich weiterhin im parlamentarischen Prozess. Nachdem am 15. Januar 2025 die Stellungnahme des Bundesrates nebst Gegenäußerung der Bundesregierung veröffentlicht wurde, wird der Entwurf nun im Bundestag weiter diskutiert. Es steht zu erwarten, dass erst die neue Bundesregierung das Gesetz im Laufe des Jahres 2025 verabschieden wird. Möglicherweise wird der Entwurf noch einmal geändert. Nicht zuletzt könnte die oben genannte Rechtsprechung des OLG den Gesetzgeber zu einer weiteren Anpassung des Gesetzentwurfes veranlassen. Nach dem letzten Stand des Gesetzentwurfes sind im Wesentlichen die folgenden Änderungen vorgesehen:
Tätigkeitskriterium
Es soll klargestellt werden, dass mehr als 80 Prozent der Tätigkeiten der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen müssen, die von einem öffentlichen Auftraggeber oder einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird, übertragen wurden. Der jährliche Fremdumsatz aus Geschäften mit Dritten darf nur bis zu 20 Prozent des Gesamtumsatzes betragen.
Zulässigkeit vertikaler und horizontaler Inhouse-Vergaben
Weiterhin sieht der letzte Stand des Gesetzentwurfes vor, dass sowohl vertikale als auch horizontale Inhouse-Vergaben berücksichtigt werden müssen. Demnach kann auch eine sogenannte „Halbschwestern“-Vergabe (Auftraggeber und Auftragnehmer haben einen gemeinsamen Gesellschafter, aber der Auftragnehmer hat noch weitere Gesellschafter oder Mitglieder) die Voraussetzungen von § 108 Abs. 3 oder 4 GWB erfüllen.
Fazit
Die Inhouse-Vergabe wird ein Comeback feiern. Insbesondere horizontale und vertikale Inhouse-Konstellationen inklusive der sogenannten „Halbschwestern“-Vergabe werden sich zukünftig mit einem deutlich geringeren rechtlichen Risiko abbilden lassen.
Autor: Leo Lerch
Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 1-2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.