Das Gebäudetyp-E-Gesetz – gut gemeint, schlecht gemacht?
Mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz, das entgegen seinem Namen keinen konkreten, technisch spezifizierten Gebäudetyp beschreibt, soll tatsächlich das Bauvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geändert werden. Im Kern sieht der Gesetzentwurf vor, Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik rechtssicher zu ermöglichen. Die Idee stammt von der Architektenkammer, mit dem Ziel, einfacher und kostengünstiger zu bauen. Das „E“ steht dabei für einfach bzw. experimentell. Genau das ist es aber, was Jurist*innen kritisieren: Es sei ein Gesetzentwurf im Schnellverfahren, dessen tiefgreifenden Änderungen nicht durchdacht seien.
Der Gesetzentwurf ist noch nicht in Kraft getreten. Nachfolgend erklären wir die Ziele und Kernpunkte des Gesetzentwurfes und welche Kritik dieser bereits – und das ist durchaus unüblich – von den Richter*innen des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) erfahren hat.
1. Ziele des Gesetzentwurfes
Der Bau neuer Gebäude in Deutschland wird durch eine Vielzahl technischer Vorschriften geregelt, die oft auf den anerkannten Regeln der Technik beruhen. Diese Regeln bieten zwar hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards, führen aber zu einer kaum mehr handhabbaren Komplexität der Bauvorhaben. Bauen wird dadurch immer aufwendiger und kostenintensiver. Gleichzeitig stellen gestiegene Baukosten und Wohnungsknappheit die Gesellschaft vor neue Herausforderungen.
Der Gesetzentwurf soll fachkundigen Unternehmern nun die Möglichkeit geben, Bauvorhaben einfacher, zügiger, innovativer und kostengünstiger zu realisieren. So sollen Bauherr*innen und Unternehmer mehr Flexibilität bei der Planung und Realisierung von Bauvorhaben erhalten. Zudem soll der Gesetzentwurf die Anwendung innovativer Technologien und Bauverfahren sowie den Einsatz nachhaltiger Baumaterialien erleichtern.
2. Kernpunkte des Gesetzentwurfes
Der Ausgangspunkt: die anerkannten Regeln der Technik
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Bauwerk grundsätzlich nach den anerkannten Regeln der Technik errichtet werden. Ohne eine spezielle, davon abweichende Beschaffenheitsvereinbarung wird vermutet, dass die anerkannten Regeln der Technik geschuldet sind und der Auftragnehmer deren Einhaltung stillschweigend zusichert. Wird gleichwohl von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen, liegt ein Sachmangel gemäß § 633 BGB vor. Das gilt selbst dann, wenn das Werk funktionstauglich ist.
Vertragliche Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik sind als Beschaffenheitsvereinbarung (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB) gemäß dem BGH nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich. So muss der Unternehmer ausführlichen Hinweis- und Aufklärungspflichten nachkommen, das heißt, er muss Bauherr*innen über Risiken und Gefahren der Abweichungen umfassend aufklären. Das war in der Praxis höchst problematisch und führte häufig zu Rechtsunsicherheit. Für die Parteien gab es deshalb kaum bis gar keine Anreize, von den anerkannten Regeln der Technik abzuweichen.
Die Lösungsansätze des Gesetzentwurfes
Das Gebäudetyp-E-Gesetz soll Abhilfe schaffen. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, im BGB eine neue Kategorie des „Gebäudebauvertrages zwischen fachkundigen Unternehmern“ einzufügen. In dem neu zu fassenden § 650o BGB sollen fachkundigen Unternehmern Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik ermöglicht werden, ohne dass der Unternehmer den*die Besteller*in über die mit dieser Abweichung verbundenen Risiken und Konsequenzen aufklären muss. Derartige Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik sollen in einem solchen Fall nicht mehr als Sachmangel anzusehen sein.
Darüber hinaus soll § 650a BGB ergänzt werden. Bestimmte technische Normen und Regeln, z. B. solche, die ausschließlich Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, sollen ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht mehr automatisch Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht des Unternehmers sein.
3. Kritik am Gesetzentwurf
Während die Bayerische Architektenkammer die Reformen als Durchbruch begrüßt, stößt der Gesetzentwurf bei Jurist*innen auf erhebliche Kritik. Besondere Aufmerksamkeit erregte es, dass der mit dem privaten Baurecht befasste VII. Zivilsenat des BGH in einem kürzlich erschienen Beitrag in der Fachzeitschrift Baurecht (BauR 2024, 1725) zum Gesetzentwurf Stellung bezogen und „durchgreifende Bedenken“ geäußert hat. Der Gesetzentwurf sei zur Herbeiführung seines Ziels nicht geeignet und mit dem Demokratieprinzip nicht zu vereinbaren – lautet die vernichtende Einschätzung des VII. Zivilsenats. Die Berufsrichter*innen machen in ihrer Stellungnahme klar, dass einfaches, kostengünstiges und innovatives Bauen mit den vorhanden zivilrechtlichen Regelungen des BGB möglich war und ist. Wichtig sei vielmehr, dass zwischen Bauherr*in und Bauunternehmer eine Verständigung stattfinde, beispielsweise über innovative Bauarten und/oder Baustoffe.
Das Gebäudetyp-E-Gesetz bietet damit sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Einerseits dürfte es für die Beteiligten am Bau einfacher werden, innovative Bauweisen und nachhaltige Materialien zur Baukostenreduzierung und zur Beschleunigung von Bauvorhaben zu vereinbaren. Andererseits besteht die Gefahr, dass durch die Lockerung der technischen Standards die Qualität und Sicherheit der Bauwerke beeinträchtigt werden könnte. Zudem könnte die fehlende Aufklärung über Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik zu Rechtsunsicherheiten und Konflikten zwischen Bauherr*innen und Unternehmern führen.
Es bleibt daher abzuwarten, ob der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form verabschiedet wird. Das Gesetz muss im nächsten Schritt vom neu gewählten Bundestag beraten werden.
Autorin: Laura Franke
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