EU-beihilferechtliche Risiken beim Unternehmenskauf

Nicht erst seitdem eine Vielzahl von Unternehmen erhebliche staatliche Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie erhalten haben, wird die Frage der Haftung für etwaige Rückforderungen solcher staatlicher Beihilfen beim Verkauf des begünstigten Unternehmens beihilferechtlich kontrovers diskutiert.

Hat ein zu erwerbendes Unternehmen staatliche Beihilfen (vgl. Art. 107 Abs. 1 i. V. m. Art. 108 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) erhalten, stellt sich bei seinem Verkauf die Frage, wie mit einem eventuellen beihilferechtlichen Rückforderungsrisiko umzugehen ist. Nicht selten ist unklar, ob bestimmte, vom zu erwerbenden Unternehmen erlangte wirtschaftliche Vorteile rechtswidrige und damit grundsätzlich zurückzuerstattende staatliche Beihilfen darstellen. Außerdem steht oft die genaue Höhe des rechtswidrigen Beihilfebetrages und des sich daraus ergebenden, zusätzlich geschuldeten Zinsbetrages bis zu einer Rückforderungsentscheidung der EU-Kommission oder deren mitgliedstaatlicher Umsetzungsentscheidung nicht fest, weil auch dies von bisweilen schwierigen beihilferechtlichen Bewertungen abhängt.

1. Verjährung

Gemäß Art. 17 Abs. 1, 2 der Verordnung (EU) 2015/1589 (Verfahrensverordnung) verjähren die Befugnisse der EU-Kommission zur Rückforderung staatlicher Beihilfen erst nach Ablauf von zehn Jahren nach der Beihilfegewährung, wobei die Verjährungsfrist unter anderem durch alle auf die unzulässige Beihilfe bezogenen Maßnahmen des betreffenden Mitgliedstaates oder der Kommission unterbrochen wird und von Neuem zu laufen beginnt. Ein Rückforderungsrisiko besteht danach erst nicht mehr, wenn seit der Gewährung der Beihilfe und seit einer etwaigen diesbezüglichen Maßnahme des Mitgliedstaates oder der Kommission zehn Jahre vergangen sind.

2. Rückforderungsschuldner

Ist noch keine Verjährung eingetreten und kann ein Rückforderungsrisiko aufgrund von Zweifeln über die Gewährung rechtswidriger Beihilfen nicht ausgeschlossen werden, kommen als beihilferechtlicher Rückforderungsschuldner grundsätzlich sowohl das zu erwerbende Unternehmen – als unmittelbarer Beihilfeempfänger – als auch sein Verkäufer oder Käufer in Betracht (vgl. sog. Rückforderungsbekanntmachung der Kommission (2019/C 247/01), Rn. 83 ff. m. w. N.). Insoweit wird davon ausgegangen, dass bei der im Wege eines Share Deals zum Marktpreis erfolgenden Veräußerung eines Unternehmens, das Beihilfen erhalten hat, der entsprechende Kaufpreis die Auswirkungen der zuvor gewährten Beihilfen widerspiegelt und der Verkäufer wegen des erlangten Kaufpreises Nutznießer der Beihilfe bleibt. Nach dem Bild der EU-Kommission wird die erhaltene Beihilfe durch den Verkauf verwertet und setzt sich danach im vom Verkäufer vereinnahmten Kaufpreis fort. Umgekehrt kann auch der Unternehmenskäufer Nutznießer der Beihilfe werden, soweit er die Unternehmensanteile unter dem Marktpreis erwirbt. Bei einem Asset Deal haftet der Käufer ebenfalls, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit des Beihilfeempfängers im Wesentlichen fortgeführt wird (wirtschaftliche Kontinuität) oder wenn der Asset Deal die absichtliche Umgehung der Beihilfe-Rückerstattungspflicht bezweckt und nur noch eine „leere Hülle“ des Beihilfeempfängers zurückbleibt.

Von der Frage, wer materiell-rechtlich Rückforderungsschuldner sein kann, ist die Frage zu unterscheiden, gegenüber welchem Rückforderungsschuldner die Beihilfe tatsächlich zurückgefordert werden kann. Dies bestimmt sich nach dem betreffenden mitgliedstaatlichen Recht. Liegt eine rückforderungspflichtige rechtswidrige Beihilfe vor, ist die Rückforderung nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates zu vollziehen (Art. 16 Abs. 3 Verfahrensverordnung). Aus diesem muss sich eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung ergeben (vgl. z. B. § 49 a Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz).

3. Gestaltungsmodelle

Für den Umgang mit Beihilfe-Rückforderungsrisiken gibt es im Rahmen der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen verschiedene Möglichkeiten. Die vorstehend dargestellte beihilferechtliche Rückerstattungspflicht bleibt von solchen vertraglichen Regelungen dabei grundsätzlich unberührt.

a) „Verkauf“ der Beihilferisiken

Aus Verkäufersicht erscheint es vorteilhaft, ein beihilferechtliches Rückforderungsrisiko auf den Käufer zu übertragen, z. B. durch entsprechende Freistellungsregelung. Der Verkäufer kann dann bei einer Inanspruchnahme auf Beihilfenrückerstattung vom Käufer Freistellung verlangen. Der Käufer wird bei einer solchen Regelung das Rückerstattungsrisiko bewerten und durch einen entsprechenden Abschlag bei seinem Kaufpreisangebot berücksichtigen. Gegebenenfalls kann er den Kaufpreisabschlag auf die Höhe einer (allerdings je nach dem bestehenden Konkretisierungsgrad des Beihilferisikos in der Regel auch recht hohen) Versicherungsprämie verringern, wenn es ihm gelingt, das zu übernehmende Beihilferisiko zu versichern.

Erfolgt die Veräußerung in einem wettbewerblichen Bieterverfahren, stehen die Bieter nicht nur vor der Schwierigkeit, einerseits einen attraktiven Kaufpreis bieten zu müssen, um ihre Zuschlagschancen zu erhöhen, und andererseits bei der Kaufpreiskalkulation auch das beihilferechtliche Rückforderungsrisiko angemessen zu bewerten, sondern es stellen sich auch neue beihilferechtliche Fragen. So könnte das Freistellungsverlangen als beihilferechtlich unzulässige, kaufpreismindernde Bedingung angesehen werden. Wegen der Kaufpreisabzüge kann der Verkäufer nicht den höchsten am Markt möglichen Kaufpreis erzielen, den private, wettbewerblich handelnde Verkäufer nach Auffassung der Kommission und der Unionsgerichte stets anstreben würden (vgl. Kommission, Leitfaden zur beihilfekonformen Finanzierung, Umstrukturierung und Privatisierung staatseigener Unternehmen vom 10. Februar 2012, S. 14; EuGH, 14. September 1994, C-278/92 u. a., Rn. 28). Ein aufgrund eingepreister Beihilferisiken zu niedriger Kaufpreis kann deshalb seinerseits eine rechtswidrige Beihilfe zugunsten des Käufers in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem zu niedrigen Kaufpreis und dem höheren Marktwert beinhalten, vor allem, wenn sich das Beihilferisiko nicht realisiert, also keine Beihilferückforderungsentscheidung der Kommission ergeht.

Wird infolgedessen mit einer solchen Freistellung im Unternehmenskaufvertrag eine rechtswidrige Beihilfe gewährt, ist der Vertrag insoweit gemäß § 134 BGB i. V. m. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV jedenfalls teilnichtig, gegebenenfalls gemäß § 139 BGB sogar insgesamt nichtig. Nach dem Bundesgerichtshof kann ein Vertrag, der Beihilfeelemente enthält, durch Vereinbarung einer Erhaltens- und Ersetzungsklausel mit beihilferechtskonformem Inhalt aufrechterhalten werden. Dazu müssen allerdings im Vertrag konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, worauf sich die Vertragsparteien bei – unterstellter – Nichtigkeit der betroffenen Klausel verständigt hätten. Eine standardmäßige salvatorische Klausel reicht nicht (vgl. BGH, 5. Dezember 2012, I ZR 92/11, EuZW 2013, 753). Im Übrigen ist das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV bestimmte Durchführungsverbot für nicht genehmigte staatliche Beihilfen auch Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, 10. Februar 2011, I ZR 136/09, EuZW 2011, 440), weshalb gegebenenfalls auch im Rahmen eines Bieterverfahrens nicht zum Zuge gekommene Wettbewerber des Käufers gegenüber dem Verkäufer Schadensersatz- oder i. V. m. § 1004 BGB auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche geltend machen können.

In der Praxis wird versucht, diese beihilferechtlichen Risiken für den Fall, dass von der EU-Kommission oder einem nationalen Gericht eine rechtswidrige Beihilfe festgestellt wird, durch Aufnahme sog. salvatorischer Beihilfeklauseln im Unternehmenskaufvertrag zu mindern. Solche Klauseln bestehen meist in einer Kaufpreisnachzahlungsregelung zulasten des Käufers in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem zu niedrigen Kaufpreis und dem höheren Marktwert zuzüglich des bis zur Rückforderung entstandenen Zinsvorteils. Dabei wird die Nachzahlungsverpflichtung gegebenenfalls auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt und die Gesamtnichtigkeit und Rückabwicklung des Vertrages für den Fall vereinbart, dass die Beihilfe diesen Betrag übersteigt.

b) Verkauf „ohne“ Beihilferisiken

Umgekehrt zum vorgenannten Fall kann auch der Verkäufer den Käufer sowie das Zielunternehmen im Unternehmenskaufvertrag von beihilferechtlichen Rückforderungsrisiken freistellen oder insoweit Garantien abgeben, wodurch ein höherer Kaufpreis erzielt werden könnte, der zumindest deutlich näher am höchsten am Markt erzielbaren Kaufpreis läge, den private, wettbewerblich handelnde Verkäufer nach Ansicht der EU-Kommission und der Unionsgerichte anstreben würden.

Bei der Veräußerung öffentlicher Unternehmen wirft auch eine solche Gestaltung beihilferechtliche Fragen auf, denn solche Freistellungen bzw. Garantien können ihrerseits unzulässige staatliche Beihilfen zugunsten des Zielunternehmens und des Käufers darstellen, obwohl Letzterer aufgrund dessen einen höheren Kaufpreis geboten hat und damit das Unternehmen, einschließlich der von diesem vereinnahmten Beihilfe, vom Bestbieter als zum Marktpreis erworben angesehen werden könnte.

Zwar wird das Interesse der Vertragsparteien an einer vertraglichen Haftungsklausel in einer entsprechenden Konstellation grundsätzlich anerkannt. Jedoch darf ein staatlicher Veräußerer in entsprechender Situation nur vereinbaren, was auch ein privater, marktwirtschaftlich handelnder Veräußerer unter entsprechenden Bedingungen akzeptieren würde. Darüber hinaus können Freistellungen und Garantien nach Auffassung der EU-Kommission als unwirksam angesehen werden, wenn durch sie gegen das Umgehungsverbot verstoßen würde. Insoweit ist maßgeblich, dass mit der betreffenden Regelung die praktische Wirksamkeit (effet utile) einer Beihilferückforderung vom eigentlichen Rückforderungsschuldner nicht vereitelt wird. Eine vertragliche Vereinbarung soll danach, über die Rückerstattung rechtswidriger Beihilfen hinaus, nicht dazu führen, dass Unternehmen durch rechtswidrige Beihilfen erlangte unrechtmäßige Wettbewerbsvorteile trotz bzw. entgegen einer Rückforderungsentscheidung der Kommission behalten dürfen (vgl. Kommission, 30. April 2008, ABl EU 2008 239/32, 52, Rn. 158 (2008/719/EG)).

Klare Leitlinien für eine insoweit zulässige vertragliche Ausgestaltung ergeben sich aus der Entscheidungspraxis der EU-Kommission und der Rechtsprechung der Unionsgerichte allerdings nicht. Jedoch wird auch hier eine salvatorische Beihilfeklausel in Betracht kommen, wobei statt einer Kaufpreisnachzahlungsverpflichtung für den Fall einer Nichtigkeit der Freistellung bzw. Garantie bezüglich des beihilferechtlichen Rückforderungsrisikos wegen Verstoßes gegen das Beihilferecht eine Kaufpreisrückerstattungspflicht zulasten des Verkäufers in Höhe des – unterstellt – rechtswidrigen Beihilfebetrages (z. B. gemäß einer entsprechenden Rückforderungsentscheidung der Kommission) zuzüglich des bis zur Rückforderung entstandenen Zinsvorteils zu vereinbaren wäre. Zudem sollte dazu im Vertrag als Geschäftsgrundlage festgehalten werden, dass der vereinbarte Kaufpreis keinen Abzug aufgrund des zu bestimmenden Beihilferisikos enthält, also von keinen rechtswidrigen Beihilfen an das Zielunternehmen ausgeht.

c) Verkauf unter aufschiebender Bedingung

Als sicherster Weg zur Vermeidung beihilferechtlicher Risiken kommt in Betracht, im Unternehmenskaufvertrag – ähnlich wie hinsichtlich einer erforderlichen kartellrechtlichen Genehmigung – eine aufschiebende Bedingung zu vereinbaren, wonach der Vertrag erst mit einer bestandskräftigen Entscheidung der EU-Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV, dass die betreffende Maßnahme keine bzw. keine rechtswidrige Beihilfe darstellt, wirksam wird. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass die Kommission die Maßnahme auch mit Bedingungen und Auflagen verbinden kann, um diese für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklären zu können (Art. 9 Abs. 4 Verfahrensverordnung). Nach dem Vorliegen einer bestandskräftigen Kommissionsentscheidung besteht im Hinblick auf deren Regelungsgegenstand jedenfalls beihilferechtliche Rechtssicherheit. Allerdings scheidet dieser Weg meist aus praktischen Gründen, nicht zuletzt aufgrund der Verfahrensdauer bei der EU-Kommission, aus.

4. Fazit

Der Umgang mit beihilferechtlichen Rückforderungsrisiken bei einem zu erwerbenden Unternehmen im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrages trifft nicht nur auf praktische Schwierigkeiten bei ihrer betragsmäßigen Bewertung, sondern wirft darüber hinaus weitere beihilferechtliche Fragen auf, die es zu beachten gilt. In der Kommissionspraxis und der unionsgerichtlichen Rechtsprechung fehlt es hierzu leider noch an einheitlichen und durchgehend schlüssigen Vorgaben. Umso wichtiger ist es, etwaige beihilferechtliche Rückforderungsrisiken beim Zielunternehmen sorgfältig zu identifizieren sowie, wenn eine rechtssichere Entscheidung der EU-Kommission nicht eingeholt werden soll, im Unternehmenskaufvertrag, unter Berücksichtigung der einschlägigen Entscheidungspraxis der EU-Kommission und der Unionsgerichte, Vorkehrungen in Gestalt salvatorischer Beihilfeklauseln mit Kaufpreisanpassungsregelungen zu treffen. Dies gilt umso mehr, je konkreter beihilferechtliche Risiken sind, insbesondere wenn bereits ein förmlicher Beschluss der Kommission über die Eröffnung eines beihilferechtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegt, wonach die Kommission nach ihrer vorläufigen Prüfung das Vorliegen einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe jedenfalls (noch) nicht ausgeschlossen hat.

Autor

Dr. Markus Nagel, LL. M. oec.
Tel: +49 341 60 03 2185

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 1-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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