Leistungsbestimmung in Bezug auf Entsorgungsleistungen

Das OLG Frankfurt (Main) hatte mit Urteil vom 21.7.2020 (Az.: 11 Verg 9/19) über die Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts bei Abfallentsorgungsleistungen zu entscheiden.

Ausgeschrieben war (in einem offenen Verfahren) der Abschluss eines Vertrages zur Entsorgung von pechhaltigem Straßenaufbruch für eine Laufzeit von 24 Monaten in sechs Gebietslosen. Alle Landkreise in Hessen waren von der Gebietsaufteilung erfasst. Für jedes Gebietslos war ein Bezugspunkt in der geografischen Mitte des jeweiligen Gebietsloses definiert worden.

Durch die Vergabestelle war die Entsorgungsart wie folgt vorgegeben worden:

„Die endgültige Verwertung des teer-/pechhaltigen Straßenaufbruch ist zu mindestens 80 % der Mengen der einzelnen Lose als thermische Verwertung/thermische Behandlung mit dem Ziel der vollständigen Zerstörung der gefährlichen Schadstoffe und der Wiederverwendung der enthaltenen Gesteinskörnungen durchzuführen und max. 20 % der Mengen der einzelnen Lose können in alleiniger Verantwortung des Auftragnehmers der Verwertung zu deponiebautechnischen Zwecken zugeführt werden.“

Zum Wertungskriterium „Transportwege“ heißt es in den Vergabeunterlagen:

„Die anfallenden Kosten für den Transport des pechhaltigen Straßenaufbruchs von der Baustelle zu Entsorgungsstädte sollen möglichst geringgehalten werden. Maßgebend hierfür sind kurze Transportwege. Angebote mit Lager, die mehr als 150 km zum jeweiligen Losmittelpunkt entfernt sind, werden von der Wertung ausgeschlossen …“

Die Antragstellerin vor dem OLG Frankfurt rügte sowohl die quotale Vorgabe der Verwertung als auch die maximale Entfernung des Transportweges. Zudem machte sie geltend, dass abfallrechtliche Vorgaben des KrWG (§§ 6–8) missachtet worden seien.

Grundsätzlich darf der öffentliche Auftraggeber entscheiden, ob und was beschafft werden soll (Beschaffungsautonomie). Die Bestimmung des Auftragsgegenstandes muss sachlich gerechtfertigt sein und es müssen dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen. Die Festlegung muss zudem willkürund diskriminierungsfrei erfolgen. Voraussetzung dafür ist eine zutreffende und vollständige Sachverhaltsermittlung, es dürfen keine sachwidrigen Erwägungen eingeflossen sein und alle zu berücksichtigenden Gesichtspunkte müssen angemessen und vertretbar gewichtet worden sein.

Das OLG Frankfurt hält in seinem Urteil fest, dass die Vorgaben zur Abfallbewirtschaftung sich insbesondere an der in § 6 Abs. 1 KrWG niedergelegten Abfallhierarchie orientieren müssen. Diese Rangfolge lautet wie folgt: Vermeidung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, sonstige Verwertung, insbesondere energetische Verwertung und Verfüllung, Beseitigung. Gemäß § 6 Abs. 2 KrWG soll nach Maßgabe der §§ 7 und 8 Kreislaufwirtschaftsgesetz diejenige Maßnahme Vorrang haben, die den Schutz von Menschen und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen unter Berücksichtigung des Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzips am besten gewährleistet. Dabei ist der gesamte Lebenszyklus des Abfalls bei der Betrachtung der Auswirkungen zugrunde zu legen, insbesondere die zu erwartenden Emissionen, das Maß der Schonung der natürlichen Ressourcen, die einzusetzende und zu gewinnende Energie sowie die Anreicherung von Schadstoffen in Erzeugnissen. § 6 Abs. 2 KrWG ermöglicht damit eine Abweichung von der Rangfolge gemäß Abs. 1, die allerdings zu rechtfertigen ist. §§ 7, 8 KrWG setzen die Grundsätze weiter um. Auch hier findet sich zunächst der Vorrang der Verwertung von Abfällen vor deren Beseitigung, wovon wiederum abgewichen werden kann, wenn es dem Schutz von Menschen und der Natur dient. § 8 KrWG konkretisiert die Verwertungspflicht (näher auch OLG München, Beschluss vom 9.3.2018 – Verg 10/18).

Die Vergabestelle ist nach dem OLG Frankfurt von einem richtigen und umfassend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Dem Vergabevermerk hat das OLG Frankfurt entnommen, dass die Vergabestelle die vier für teer-/pechhaltigen Straßenaufbruch grundsätzlich bestehenden Entsorgungsverfahren ermittelt und in ihren Besonderheiten eingehend dargestellt hat. Nach einer Beurteilung der mit den jeweiligen Entsorgungsverfahren verbundenen Vor- und Nachteile gelangte die Vergabestelle zu einer Abwägung der Verwertungsmöglichkeiten einer thermischen Behandlung einerseits und einer Verwertung im Deponiebau andererseits. Diese Einengung auf zwei Entsorgungsverfahren begegneten ebenfalls keinen Bedenken.

Die Einwände der Antragstellerin gegen die hier vorgenommene quotale Aufteilung überzeugten das OLG Frankfurt jedenfalls im Ergebnis nicht. Es ergebe sich aus § 8 Absatz 1 S. 1 KrWG, dass grundsätzlich bei den Entsorgungsmaßnahmen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2–4 KrWG diejenige Vorrang hat, die den Schutz von Menschen und Umwelt nach Art und Beschaffenheit des Abfalls am besten gewährleistet.

Die Vergabestelle habe somit eine ausreichende Abwägung im Sinne von § 8 Abs. 1 KrWG vorgenommen, im Vergabevermerk niedergelegt und im Nachprüfungs- sowie Beschwerdeverfahren ausführlich erläutert.

Zum Kriterium Transportweg ist u. a. gerügt worden, dass nicht zweifelsfrei klar sei, ob sich die Entfernungsvorgabe auf den Fahrtweg oder Luftweg beziehe.

Im Wege der von einem verständigen Bieter vorzunehmenden Auslegung der Vergabeunterlagen ergibt sich nach dem OLG Frankfurt aber eindeutig, dass ausschließlich der Luftweg gemeint war. Vergabeunterlagen sind in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Maßgeblich ist der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (BGH, Beschluss vom 15.1.2013 – X ZR 150/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist (OLG München, Beschluss vom 20.1.2020 – Verg 19/19 Rn. 101). Maßgeblich ist, wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht.

Das OLG Frankfurt liegt mit seiner Entscheidung auf der Linie des OLG München (Beschluss vom 9.3.2018 – Verg 10/18).

Für Unterstützung in Fragen des Vergabe- und Abfallrechts stehen wir gern zur Verfügung.

   

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public-Sector-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

Kontakt