Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG und Anforderungen an Newcomer in Konzessionsverfahren
Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG
An dieser Stelle möchten wir vor allem auf die Ausführungen des Kammergerichts zur Wirkung einer Verfahrensrückversetzung, zum Umfang der Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG und zu den Anforderungen, denen sog. Newcomer entsprechen müssen, näher eingehen.
Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und Wirkung einer Verfahrensrückversetzung
Zunächst hat das Kammergericht umfassend geprüft, ob das Land Berlin (als Vergabestelle) im Konzessionierungsverfahren gegen das Neutralitätsgebot verstoßen hat. Die Rügen eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot waren dem Kammergericht zufolge unbegründet.
Hierbei musste das Kammergericht auch würdigen, inwieweit es entscheidungserheblich ist, dass die Vergabestelle das Verfahren auf den Stand vor dem Zweiten Verfahrensbrief zurückgesetzt hatte. Dem Gericht zufolge dokumentierte die Zurücksetzung, dass das Konzessionierungsverfahren von der Besorgnis etwaiger unbotmäßiger Einflussnahme im Zeitraum vor der Rückversetzung gerade befreit werden sollte, indem die relevanten Verfahrenshandlungen in unbedenklichem Rahmen wiederholt würden. Dem Senat zufolge ist es anerkannt, dass ein von einem Verfahrensfehler betroffener Abschnitt des Vergabeverfahrens wiederholt und dadurch der Einfluss des Verfahrensfehlers eliminiert werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, BGHZ 188, 200, Rn. 73; OLG Celle, Beschluss vom 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669, Rn. 35 nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.3.2004 – VII-Verg 1/04, OLGR 2004, 195 = NZBau 2004, 461, Rn. 6 nach juris).
Umfang der Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG
Das Kammergericht hält es jedoch für erwiesen, dass das Land Berlin die Klägerin unter dem Gesichtspunkt unbillig behindert hat, dass er ihr im Verfahren nach § 47 Abs. 3 EnWG keine dem Transparenzgebot genügende Akteneinsicht gewährt hat, und zwar deshalb, weil es ihr keine Einsicht in das Angebot des obsiegenden Bieters gewährt hat.
Formell hält das Kammergericht fest, dass eine nach dem Maßstab des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG unzureichende Akteneinsicht zum Gegenstand einer (isolierten) Rüge im Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG gemacht werden kann. Dem Senat zufolge trifft es nicht zu, dass stets nur bezogen auf die inhaltliche Rüge betreffend die Vergabeentscheidung beurteilt werden könne, ob und in welchem Umfang die Akteneinsicht erforderlich sei (so aber wohl OLG Koblenz, Urteil vom 12.9.2019 – U 678/19 Kart, VPR 2020, 146 = Anlage AS 168, Rn. 26 nach juris). Denn tatsächlich kann der unterlegene Bieter Akteneinsicht auch zu dem Zwecke nehmen, von Verstößen gegen die Grundsätze eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens erstmals zu erfahren. Durch den unterlegenen Bieter darf daher „Ausforschung“ betrieben werden, weil es nicht darauf ankommt, ob schon vorher genügend Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung vorlagen (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 10.1.2018 – U 4/17 Kart, EWeRK 2018, 131, Rn. 112, 119 nach juris).
Die Rüge unzureichender Akteneinsicht ist nach dem Kammergericht auch begründet. Dem unterlegenen Bieter, zumal wenn er Altkonzessionär ist, stehe ein Recht auf Information über die Gründe der Auswahlentscheidung zu, damit er die Rechtmäßigkeit der Entscheidung überprüfen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob schon vorher genügend Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung vorliegen (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 10.1.2018 – U 4/17 Kart, EWeRK 2018, 131, Rn. 119 nach juris). Der Gesetzgeber habe in § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG das Recht des unterlegenen Bieters auf Einsicht „in die Akten“ festgeschrieben. Das konkurrierende Angebot sei Bestandteil der Akten des Konzessionierungsverfahrens.
Wenn die Bewertung danach erfolgen soll, wer das beste Angebot abgegeben hat, müssen die angebotenen Konzepte einander gegenübergestellt werden können. Denn die Vergleichbarkeit der Angebote in einem solchen Ideenwettbewerb ist ohnehin dadurch deutlich erschwert, weil die von den Bietern entwickelten Lösungen sich maßgeblich voneinander unterscheiden können (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 19.7.2016 – Kart U 1/15, Rn. 64 nach juris; Vergabekammer Sachsen, Beschluss vom 28.8.2013 – 1/SVK/026-13, IBR 2014, 41).
Das Vorbringen des Landes Berlin, dass die Kenntnis des von dem obsiegenden Bieter angebotenen Konzepts und Angebotes bereits durch die von der Vergabestelle angefertigte Angebotsauswertung hinreichend vermittelt werde, lässt der Senat nicht gelten, da die Angebotsauswertung lediglich Auszüge aus dem Angebot des obsiegenden Bieters wie auch aus dem Angebot der Klägerin referiere. Hierbei konnte von der Vergabestelle nur ein Bruchteil des materiellen Angebotsinhalts in die Angebotsauswertung übernommen werden. Eine selektive Darstellung der Angebotsinhalte berge das Risiko einer verfälschten Darstellung des Angebotsinhalts. Gerade im Konzeptwettbewerb könne eine solche Art der Zusammenfassung leicht dazu führen, dass Inkohärenzen und Widersprüche eines Angebotes nicht aufscheinen. Hinzu trete das Risiko schlichter (handwerklicher) Übertragungsfehler.
In wettbewerblichen Konzessionierungsverfahren sind allerdings Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der am Verfahren Beteiligten zu beachten und dürfen nicht unbefugt offenbart werden (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19.10.2017 – 13 U 38/17 (Kart), IR 2018, 109, Rn. 53 nach juris). Der Gesetzeswortlaut in § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG geht dahin, dass die Gemeinde die Einsicht in die Unterlagen zu versagen habe, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten sei. Die Begründung verweist ausdrücklich auf das aus § 111 GWB (a. F., nun § 165 Abs. 2 GWB n. F.) abgeleitete Recht der Beteiligten auf Wahrung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen (BT-Drucksache 18/8184, S. 17).
Letzteres mag häufig zur Folge haben, dass das konkrete Angebot des Konkurrenten nicht in den Zivilprozess eingeführt werden kann, eben weil es schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthält (so OLG Schleswig, Urteil vom 16.4.2018 – 16 U 110/17 Kart, RdE 2018, 332, Rn. 82 nach juris; OLG Celle, Urteil vom 19.10.2017 13 U 38/17 (Kart), IR 2018, 109, Rn. 53 nach juris). Es wäre im vorliegenden Fall daher geboten gewesen, dass eine konkrete Benennung und Begründung, welche Angebotsinhalte im Rahmen der Akteneinsicht warum nicht offengelegt werden sollten, erfolgt. Dies sei – so das Kammergericht – nicht erfolgt.
Keine Akteneinsicht soll hingegen in Interna der Vergabestelle (interne Dokumentation sowie Korrespondenz zwischen Verwaltung mit ihren Beratern), Unterlagen aus vorherigen Phasen des Verfahrens sowie in nicht relevante Angebote von Mitbewerbern gewährt werden.
Anforderungen an sog. Newcomer
Zuletzt legt das Kammergericht ausführlich dar, dass das Angebot des obsiegenden Eigenbewerbers (Newcomers) nicht wegen mangelnder materieller Eignung von der Bewertung hätte ausgeschlossen werden müssen.
Dass ein Netzbetreiber die erforderliche Eignung haben muss, d. h. personell, technisch und wirtschaftlich leistungsfähig sowie zuverlässig sein muss, ergibt sich energiewirtschaftsrechtlich mittelbar aus § 4 Abs. 1 und Abs. 2 EnWG, wonach die Aufnahme des Betriebs eines Energieversorgungsnetzes einer behördlichen Genehmigung bedarf, die nur versagt werden darf, wenn der Antragsteller ungeeignet im vorgenannten Sinn ist.
In der Praxis findet das erforderliche Genehmigungsverfahren aber erst nach Abschluss des Konzessionsvertrags und innerhalb von sechs Monaten nach Vorlage vollständiger Antragsunterlagen statt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Das bedeutet zugleich, dass eine Genehmigung nach dem EnWG noch nicht für die Vergabe von energierechtlichen Wegenutzungsrechten, sondern – wie im förmlichen Vergaberecht – erst im Zeitpunkt der Vertragsausführung vorliegen muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.4.2014 – VI-2 Kart 2/13 (V), ZNER 2014, 480, Rn. 62 nach juris; OLG Celle, Urteil vom 17.3.2016 – 13 U 141/15 (Kart), ZNER 2016, 242, Rn. 135 nach juris; s. a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.6.2013 – VIIVerg 4/13, VergabeR 2013, 796). Die gegenläufige Literaturmeinung (vgl. Säcker RdE 2015, 1, 4; Templin IR 200, 125, 126 bei Note 9), wonach die Gemeinde ermessensfehlerhaft handele, wenn sie die Vergabe des Wegenutzungsrechts nicht an die Bedingung knüpfe, dass der Bewerber die Genehmigung gemäß § 4 EWG bereits innehabe, ist nicht unbestritten (vgl. Sauer EWeRK -014, 159, 165) und überzeugt das Kammergericht in der Sache nicht. Vielmehr sei nicht zu beanstanden, dass den Bewerbern im Konzessionierungsverfahren verschiedene Möglichkeiten eingeräumt seien, um das Vorliegen der Voraussetzungen zum Zeitpunkt einer etwaigen Aufnahme des Netzbetriebes zu plausibilisieren.
Eine solche flexible Handhabung erscheine erforderlich, damit nicht solche Bieter von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, die bislang noch nicht als Netzbetreiber tätig waren (sog. Newcomer, vgl. Senat, Urteil vom 25.10.2018 – 2 U 18/18 EnWG, ZNER 2018, 534, Rn. 47 nach juris – Stromnetz Berlin I).
Neu gegründeten Stadtwerken, die an dem Verfahren teilnehmen, müsse die Möglichkeit gegeben werden, mit etablierten Akteuren insoweit „auf Augenhöhe“ zu gelangen; eine Neugründung darf per se kein Wettbewerbsnachteil sein (vgl. BT-Drucksache 18/8184, S. 13). Der Newcomer könne nicht von vornherein mangels Eignung von einer Beteiligung im Konzessionierungsverfahren ausgeschlossen werden (Wegner in: BerlKomm EnergieR, 4. Aufl. 2019, § 46 EnWG, Rn. 133). Er müsse aber plausibel darlegen, dass er personell, technisch und wirtschaftlich in der Lage ist, das Netz zu übernehmen.
Nach dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG hat der bisher Nutzungsberechtigte seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind in diesem Sinne „notwendig“ alle Anlagen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgabe nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 3.6.2014 – EnVR 10/13, RdE 2015, 29, Rn. 31 mwN. – Stromnetz Homberg; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.6.2011 – 11 U 36/10 (Kart), ZNER 2012, 188, Rn. 63 nach juris; OLG Koblenz, Urteil vom 23.4.2009 – U 646/08.Kart, ZNER 2009, 146, Rn. 204 nach juris; Huber in: Kment, EnWG, 2. Auflage 2019, § 46, Rn. 34). Auch die durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsinteressen des Altkonzessionärs erzwingen keine restriktive Auslegung des Netzübertragungsanspruchs (Theobald in: ders./Kühling, EnWG, 105. EL Februar 2020, § 46, Rn. 38).
Auch ob der Newcomer zum Zeitpunkt der Übernahme des Netzbetriebs die erforderlichen Mitarbeiter aufweisen könne, sei eine Frage der Prognose. Die Eignungsprüfung eines Newcomers erfordere insoweit die plausible Darlegung, wie die geforderte Kompetenz, d. h. insbesondere auch die personelle Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, sichergestellt werden kann. Hierbei soll es ausreichen, wenn der Newcomer ein belastbares, plausibles und in sich stimmiges Konzept vorlegt, dessen Umsetzung er zugesichert hat, ohne dass daran objektiv begründete Zweifel bestehen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 17.3.2016 – 13 U 141/15 (Kart), ZNER 2016, 242, Rn. 150 nach juris; LG Berlin, Urteil vom 9.12.2014, a. a. O., am Ende der Rn. 67). Werden die Anforderungen an die Konzepte des Newcomers überspannt, hat der neu auf den Markt drängende Bieter gegenüber dem Bestandsbieter keine realistische Chance, den Zuschlag zu erhalten (vgl. OLG Celle, Urteil vom 17.3.2016 – 13 U 141/15 (Kart), ZNER 2016, 242, Rn. 150 nach juris).
Bewertung
Die Äußerungen des Kammergerichts zur Wirkung einer Verfahrensrückversetzung und zu den Anforderungen, denen sog. Newcomer entsprechen müssen, sind vollumfänglich zu begrüßen. Letztlich wird hierdurch der Wettbewerb im Konzessionsverfahren geschützt.
Die Darlegungen zur zu gewährenden Akteneinsicht sind hingegen etwas differenzierter zu trachten:
Nach der bis zum 2.2.2017 geltenden Fassung des EnWG sind Klagen der unterlegenen Bieter auf Einsicht in das Angebot des obsiegenden Bieters weit überwiegend abgelehnt worden. Dies ist jedenfalls dann erfolgt, wenn eine weitgehend ungeschwärzte und ausführliche „Auswertung der verbindlichen Angebote“ durch die Vergabestelle im Verfahren offengelegt wurde (so z. B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.3.2020 – 2 U 1/18 (Kart); OLG Dresden, Urteil vom 10.1.2018, U 4/17 Kart; so im Ergebnis ähnlich: OLG Brandenburg, Urteil vom 22.8.2017 – 6 U 1/17 Kart; OLG Celle, Urteil vom 17.3.2016 – 13 U 1/15 (Kart) und wohl auch BGH, Urt. vom 28.1.2020 – EnZR 116/18).
Erste Urteile/Beschlüsse zum neuen Recht deuten nunmehr an, dass sich die Sichtweise zum Umfang der durch die verfahrensleitende Stelle zu gewährenden Akteneinsicht ggf. ändert. Neben der hier besprochenen Entscheidung des Kammergerichts hatte in einer ersten Entscheidung zu § 47 Abs. 3 EnWG bereits das OLG Dresden (Urteil vom 18.9.2019 – U 1/19 Kart.) ähnlich wie das Kammergericht entschieden und im konkreten Fall die Übersendung eines ungeschwärzten Auswahlvermerkes nicht ausreichen lassen. Beide Gerichte haben sich aber nicht abschließend festgelegt, ob und wann hierbei in bestimmten Konstellationen ein Recht auf Akteneinsicht in das Angebot des obsiegenden Bieters nicht bestehe. Grundsätzlich kann das Geheimhaltungsinteresse des ausgewählten Bewerbers einem Akteneinsichtsrecht der abgelehnten Bewerber weiterhin dann vorgehen, wenn und soweit konkrete Gefahren durch die Verletzung des Geschäftsgeheimnisses für den ausgewählten Bewerber glaubhaft gemacht werden.
Allerdings tendieren nunmehr schon zwei Oberlandesgerichte dazu, dass der neue § 47 Abs. 3 EnWG weitergehende Einsichtsrechte gewährt, als dies bei der alten Rechtslage der Fall war. Diese Entwicklung gilt es zu beobachten.
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public-Sector-Newsletter 3-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.