Vergabekammer Berlin zu den Anforderungen an ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen Dringlichkeit

Die VK Berlin hat mit Beschluss vom 18. Januar 2022 (Az.: VK-B 1- 52/21h) zu einem Auftrag mit der Durchführung von Corona-Tests sowie begleitenden Dienstleistungen in einer wechselnden Zahl von Testzentren entschieden.

Die (nicht amtlichen) Leitsätze der Entscheidung lauten:

  1. In einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen Dringlichkeit der Beschaffung hat der Auftraggeber grundsätzlich mehrere Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern.
  2. Diese Anforderung des § 51 Abs. 1 Satz 1 VgV gilt für alle Verfahrensarten.
  3. Beteiligt sich ein beigeladenes Unternehmen am Nachprüfungsverfahren nur hinsichtlich des Antrags nach § 169 Abs. 3 GWB aktiv und hat der Nachprüfungsantrag allein aus in der Sphäre des Auftraggebers liegenden Umständen Erfolg, wäre es unbillig, diesem Beigeladenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
  4. Die Kammer sieht jegliche rechtliche Verbindung, die Rückschlüsse auf die berufliche und technische Leistungsfähigkeit zulässt, unabhängig von dem Vorliegen eines Vertrages oder der zivil- oder öffentlich-rechtlichen Natur, als Auftrag im Sinne des § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV an.
  5. Für das Bestehen eines Vertragsverhältnisses ist es irrelevant, bei welcher Stelle die Rechnungen eingereicht und geprüft werden, auch wenn dies ein Dritter ist.
  6. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV nimmt keinen Bezug auf öffentliche Aufträge, sodass auch Referenzen anderer Auftraggeber zulässig sind.

Nachfolgend möchten wir allein auf die zentrale Aussage der VK Berlin eingehen, dass grundsätzlich auch ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nicht nur mit einem Bieter durchgeführt werden darf.

Die VK Berlin kommt im Beschluss zu dem Ergebnis, dass die Vergabestelle kein ordnungsgemäßes Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV durchgeführt hat.

Die Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV lagen zwar aus Sicht der VK Berlin vor, da durch die andauernde Corona-Pandemie äußerst dringende, zwingende Gründe für die Durchführung eines Vergabeverfahrens bestanden, das auch bei äußerster Verkürzung der Fristen eines offenen Verfahrens nicht innerhalb der Mindestfristen hätte durchgeführt werden können.

Die Durchführung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 3 VgV erfordere aber eine Ermessensentscheidung, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen müsse (OLG Rostock, Beschluss vom 11. November 2021, 17 Verg 4/21). Daraus folgt insbesondere die Durchführung eines angemessenen Bieterwettbewerbs, um dem Wettbewerbsprinzip gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB Rechnung zu tragen (OLG Karlsruhe, B. v. 04.12.2020, 15 Verg 8/20; OLG Rostock 17 Verg 4/21; OLG Rostock 17 Verg 4/20; vgl. Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/VgVO, § 14 VgV Rn. 77; Willweber in juris PK-Vergaberecht, § 14 VgV Rn. 138). Der öffentliche Auftraggeber habe gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 VgV grundsätzlich mehrere Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 VgV gelte dies für alle Verfahrensarten. Der Umstand, dass lediglich § 17 Abs. 4 Satz 2 VgV auf § 51 VgV verweist, bedeute nicht, dass in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb § 51 Abs. 2 VgV nicht anzuwenden sei (OLG Karlsruhe, B. v. 04.12.2020, 15 Verg 8/20). § 51 Abs. 1 VgV bestimme, dass die Vorschrift auf alle Verfahrensarten anzuwenden sei.

Im Ergebnis macht die VK Berlin klar, dass es für sie nicht ersichtlich ist, dass Dringlichkeitsgründe die Einbeziehung weiterer Interessenten in die Verhandlungen nicht zuließen.

Autor

Dr. Hans-Martin Dittmann
Tel: +49 30 208 88 1014

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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