Corona und der „Wettbewerb light“

Die vergangenen Monate waren ein Stresstest für die Bevölkerung und das deutsche Gesundheitssystem. Angeheizt durch den politischen und gesellschaftlichen Druck richtete sich das Augenmerk auf Maßnahmen, die zum Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaft unternommen werden konnten. Eine dieser Maßnahmen war die Durchführung von Corona-Schnelltests, die so schnell wie möglich und so weitflächig wie möglich eingesetzt werden sollten. Dieser Druck führte dazu, dass vor allem öffentliche Auftraggeber, deren Beschaffung aufgrund ihrer Ausschreibungspflicht häufig länger dauert als bei einem privaten Konkurrenten, ihre Beschaffung deutlich beschleunigen mussten. Doch wie schnell ist zu schnell? Und wie stark darf der Wettbewerb vor diesem Hintergrund eingeschränkt werden?

Das OLG Rostock hat sich mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen, als es die Rechtmäßigkeit einer Direktvergabe für den Auftrag zur Durchführung von (anlasslosen) Corona-Tests zu prüfen hatte. Der Auftraggeber hatte in aller Eile lediglich einen Marktteilnehmer, der ihn zuvor werbend und unter Mitteilung seiner Leistungsfähigkeit von sich aus kontaktiert hatte, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert und anschließend den entsprechenden Vertrag im Wege der Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vergeben. Andere Marktteilnehmer wurden nicht zur Abgabe aufgefordert. Einer von ihnen wandte sich nun erfolgreich gegen die Direktvergabe.

Das OLG stellte in seinem Beschluss fest, dass der Vertrag nach § 134 GWB unwirksam sei. Diese Einschätzung stützte das OLG vor allem darauf, dass der Tatbestand des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV zwar vorgelegen habe, den Auftraggeber aber nicht zur Direktvergabe des Auftrags berechtige. Der Auftraggeber sei vielmehr gehalten, einen Wettbewerb „light“ durchzuführen und im Rahmen dessen mehrere Marktteilnehmer zur Abgabe eines Angebots aufzufordern. Vor dem Hintergrund der äußersten Dringlichkeit solle dies jedenfalls für leistungsbereite Marktteilnehmer gelten.

Das Gericht erkennt damit grundsätzlich an, dass bedingt durch die Coronapandemie kurzfristiger Beschaffungsbedarf bestehen kann, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gleichzeitig jedoch restriktiv angewendet werden soll, weil es sich um eine (weitreichende) Ausnahme handelt.

Anhand der Unterscheidung zwischen anlassbezogenen und anlasslosen Tests führt das Gericht schließlich zum Tatbestand der „äußersten Dringlichkeit“ aus, dass, wenn der Tatbestand des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erfüllt sei, dem Auftraggeber zwar das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb offenstünde, die Einschränkung des Wettbewerbs aber verhältnismäßig, d. h. jedenfalls erforderlich sein müssen. Die Direktbeauftragung sei daher nur als letztes Mittel zulässig, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass zumindest die Einholung mehrerer Angebote trotz Dringlichkeit möglich sei.

Im konkreten Fall sei die Direktbeauftragung nicht erforderlich gewesen, da der Auftraggeber durchaus Zeit gehabt hätte, mehrere Angebote einzuholen, da er zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme des später beauftragten Marktteilnehmers seinen Beschaffungsbedarf noch gar nicht definiert hatte und zwischen der ersten Kontaktaufnahme und dem Abschluss des Vertrags beinahe zwei Monate gelegen hatten.

Der Entscheidung des OLG kommt insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund eine weitreichende Bedeutung zu. Zwar erkennt das Gericht, dass Auftraggeber ihren Beschaffungsbedarf mit gesteigerter Dringlichkeit befriedigen müssen können. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass die so eröffneten Ausnahmetatbestände über Gebühr beansprucht werden und Auftraggeber den Wettbewerbsgrundsatz unverhältnismäßig einschränken. Auftraggeber müssen also im Einzelfall entscheiden, wie weit sie den Wettbewerb einschränken dürfen und welche Risiken sie bei der Beschaffung eingehen wollen, wenn die Beschaffung äußerst dringend ist.

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