Herausgabe und Übereignung des Stromverteilernetzes

In dem Fall, über den der BGH (Urteil vom 28.1.2020, Az.: EnZR 116/18) zu entscheiden hatte, weigerte sich der Altkonzessionär, das Netz an den Neukonzessionär herauszugeben. Er stützte seine Weigerung auf die Begründung, dass der Konzessionsvertrag aufgrund von Verfahrensfehlern unwirksam sei.

Dem Verfahren liegt die Rechtslage vor der EnWG-Novelle aus 2017 zugrunde. Dennoch ist es von großer Bedeutung, dass sich der BGH nach seinen grundlegenden Entscheidungen aus dem Jahr 2013 wieder ausführlich zu den Fragestellungen äußert.

Zunächst hält der BGH einige Grundsätze fest, die seine bisherige Rechtsprechung bestätigen, und zwar dass

  • Gemeinden gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 EnWG verpflichtet sind, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Die Auswahl muss in einem transparenten Verfahren erfolgen und ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die die Ziele des § 1 EnWG konkretisieren. Genügt die Konzessionsvergabe diesen Anforderungen nicht, liegt eine unbillige Behinderung derjenigen Bewerber vor, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt worden sind (BGHZ 199, 289 Rn. 16 – Stromnetz Berkenthin). 
  • das Auswahlverfahren so gestaltet werden muss, dass die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt. Denn nur dann ist gewährleistet, dass die Auswahlentscheidung im unverfälschten Wettbewerb nach sachlichen Kriterien und diskriminierungsfrei zugunsten desjenigen Bewerbers erfolgen kann, dessen Angebot den Auswahlkriterien am besten entspricht. Das aus dem Diskriminierungsverbot folgende Transparenzgebot verlangt dementsprechend, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und  ihre Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden (BGHZ 199, 289 Rn. 34 f. – Stromnetz Berkenthin). In materieller Hinsicht ist die Gemeinde verpflichtet, ihre Auswahlentscheidung allein nach sachlichen Kriterien zu treffen, die vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG ausgerichtet sind (BGHZ 199, 289 Rn. 36 – Stromnetz Berkenthin).
  • die Gemeinde die Auswahlkriterien gegebenenfalls unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse konkretisieren kann. Die Auswahlentscheidung muss vielmehr auch am Maßstab derjenigen Kriterien erfolgen, die die Gemeinde den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen mitgeteilt hat. Diese Kriterien sind dabei, nicht anders als im Vergaberecht (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 18.6.2019 – X ZR 86/17, VergabeR 2019, 753, Rn. 13 mwN – Straßenbauarbeiten) so auszulegen und zu handhaben, wie sie von den an der Konzession interessierten Unternehmen verstanden werden müssen. Nur dann kann die Bekanntgabe der Kriterien die Funktion erfüllen, die Bieter darüber zu unterrichten, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt, und sie damit in die Lage zu versetzen, ihr Angebot bestmöglich an den von der Gemeinde gestellten Anforderungen auszurichten.

Nach dem BGH ist eine unbillige Behinderung eines Mitbewerbers gegeben, wenn sich die Gemeinde bei der Angebotsbewertung in unzulässiger Weise nicht an die von ihr selbst festgelegten Kriterien gehalten hat und wenn zugleich die Konzessionsvergabe auf diesem Bewertungsfehler beruht oder dies zumindest möglich ist. Kann sich ein Fehler im Auswahlverfahren hingegen nicht auf dessen Ergebnis ausgewirkt haben, weil derselbe Bewerber die Konzession auf jeden Fall auch ohne den Verfahrensfehler erhalten hätte, wie es etwa bei einer geringfügigen Fehlgewichtung im Kriterienkatalog in Betracht kommt, die ersichtlich keinen Einfluss auf die Platzierung der Bewerber haben konnte, scheidet eine Behinderung durch die Konzessionsvergabe und damit eine Nichtigkeit des Konzessionsvertrages aus (BGHZ 199, 289 Rn. 99 – Stromnetz Berkenthin).

Wendet der am Stromnetz der Gemeinde bisher Nutzungsberechtigte gegen den Übereignungsanspruch des neuen Energieversorgungsunternehmens nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG die Nichtigkeit des Konzessionsvertrags ein, trägt er für die Voraussetzungen dieser Einwendung die Darlegungs- und Beweislast. Zur Schlüssigkeit dieser Einwendung genügt es nicht, einen Fehler bei der Ausschreibung oder bei der Bewertung der Angebote aufzuzeigen. Vielmehr ist auch darzulegen, dass es nach den gesamten Umständen des Falles zumindest möglich ist, dass die Konzessionsvergabe auf der fehlerhaften Ausschreibung oder der fehlerhaften Angebotsbewertung beruht.

Der Konzessionsvertrag ist nicht nichtig, wenn der in seinen Rechten verletzte Beteiligte ausreichend Gelegenheit hatte, vor Abschluss des Vertrages sein Recht auf eine Auswahlentscheidung zu wahren, die ihn nicht diskriminiert oder unbillig behindert, diese Möglichkeit aber nicht genutzt hat. Dies gilt uneingeschränkt auch für den Altkonzessionär.

Das OLG Frankfurt als Vorinstanz vertrat unter Bezug auf  eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom  26.3.2014 (6 U 68/13 (Kart), WuW/E DE-R 4279) die Aufassung, es sei geboten, zwischen „einfachen“ unterlegenen Bietern und dem Altkonzessionär, der im Verfahren um die Neukonzession unterlegen sei, zu differenzieren. Der Altkonzessionär sei in besonderer Weise von einer diskriminierenden Konzessionsentscheidung betroffen, weil er allein verpflichtet sei, seine für den Netzbetrieb notwendigen Verteilungsanlagen an den Neukonzessionär gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Der in diesem Zwangsverkauf liegende erhebliche Eingriff in das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Altkonzessionärs sei nur gerechtfertigt, wenn die Neukonzessionierung rechtmäßig durchgeführt worden sei.

Diesen Erwägungen tritt der BGH entgegen. Es bestehe kein Anlass, den Altkonzessionär nach Unterrichtung über die beabsichtigte Auswahlentscheidung der Gemeinde beim Rechtsschutz gegenüber sonstigen Bietern zu privilegieren. Vielmehr gilt auch insoweit der aus dem Diskriminierungsverbot folgende Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter. Im Interesse der Rechtssicherheit und einer wirksamen Möglichkeit, die Konzession in einem wettbewerblichen Verfahren neu zu vergeben, kann und muss die fortdauernde Behinderung durch einen fehlerhaft abgeschlossenen Konzessionsvertrag von jedem Bieter hingenommen werden, der ausreichend Gelegenheit hatte, seine Rechte zu wahren, diese Möglichkeit aber nicht genutzt hat (BGHZ 199, 289 Rn. 108 – Stromnetz Berkenthin).

Dieses Verständnis steht im Einklang mit der im Streitfall noch nicht anwendbaren Bestimmung des § 47 EnWG zu den Rügeobliegenheiten beteiligter Unternehmen, die ebenfalls nicht zwischen Altkonzessionär und anderen Bietern unterscheidet.

Schon vor Inkrafttreten des § 47 Abs. 2 EnWG bestand für einen im Konzessionsverfahren diskriminierten Bewerber allerdings erst dann ausreichende Gelegenheit, seine Rechte zu wahren, wenn die in Rede stehende Rechtsverletzung für ihn erkennbar war. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die fehlerhafte Bewertung eines Angebots aus der Information über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung des Angebots nicht hervorgeht.

Abschließend erfolgt noch ein interessanter Hinweis des BGH:

Werden Verträge von Energieversorgungsunternehmen mit Gemeinden über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, nach ihrem Ablauf nicht verlängert, so ist der bisher Nutzungsberechtigte gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG verpflichtet, seine für den Betrieb des Netzes notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Mit dem Abschluss des neuen Konzessionsvertrags entstehen kraft Gesetzes der Übereignungsanspruch des neuen Konzessionärs gegen den Altkonzessionär und dessen Anspruch gegen den Neukonzessionär auf Zahlung einer angemessenen Vergütung (BGH, Urteil vom 14.4.2015 – EnZR 11/14, EnWZ 2015, 328 Rn. 17 – Gasnetz Springe). Nach Abschluss des neuen Konzessionsvertrags kann der Neukonzessionär unmittelbar die Übereignung der für den Netzbetrieb notwendigen Verteilungsanlagen Zug um Zug gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung verlangen. Anders als es das Berufungsgericht annimmt, ist er nicht darauf verwiesen, einen Antrag auf Feststellung der Übereignungspflicht zu stellen.

Mit seinem Urteil hebt der BGH das Urteil der Vorinstanz  (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 30.10.2018, Az. 11 U 62/17) auf  und verweist es zur erneuten Entscheidung zurück.

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