BVerwG – Vorkaufsrechtsausübung der Gemeinde in Milieuschutzgebieten größtenteils rechtswidrig

Hintergrund

Gemäß § 24 BauGB steht den Gemeinden ein Vorkaufsrecht zu, wenn die Immobilie in einem sozialen Erhaltungsgebiet (z. B. in einem sog. Milieuschutzgebiet) liegt. Das Wohl der Allgemeinheit muss die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen und es darf kein gesetzlicher Ausschluss vorliegen. Bislang wurde das gemeindliche Vorkaufsrecht – insbesondere auch in Berlin – recht umfassend ausgeübt, um gegen Verdrängungseffekte und die vielerorts schwierigen Verhältnisse am Wohnungsmarkt vorzugehen.

Inhalt der Entscheidung

Nun entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 9. November 2021 – Az. 4 C 1.20), dass die bisherige Praxis der Vorkaufsrechtausübung durch Gemeinden in sozialen Erhaltungsgebieten größtenteils rechtswidrig sei. Im konkreten Fall hob das Gericht die vorinstanzlichen Entscheidungen des VG Berlin sowie des OVG Berlin-Brandenburg auf. Laut Bundesverwaltungsgericht sei die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über das Vorkaufsrecht bereits entsprechend den Zielen der sozialen Erhaltungsordnung genutzt werde. Auf zukünftige Nutzungsabsichten des Käufers käme es gerade nicht an, selbst wenn der Behörde Indizien dafür vorlägen, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen würde. Zur Begründung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den eindeutigen Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Norm des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB, wonach in solchen Fällen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts ausgeschlossen sei.

Bundesverwaltungsgericht stellt Anwendungsbereich klar

Das Bundesverwaltungsgericht macht deutlich, dass der Anwendungsbereich für die Vorkaufsrechtsausübung in sozialen Erhaltungsgebieten erheblich enger ist als bisher angenommen. Anwendbar bleiben dürfte die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts in folgenden Situationen:

  • Das Grundstück ist zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht entsprechend den Zielen und Zwecken der sozialen Erhaltungssatzung bebaut, etwa weil der Verkäufer oder dessen Rechtsvorgänger die auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude ohne die erforderliche Genehmigung zurückgebaut oder baulich geändert hat.
  • Der Verkäufer oder dessen Rechtsvorgänger hat die auf dem Grundstück vorhandenen baulichen Anlagen ganz oder teilweise ohne die erforderliche erhaltungsrechtliche Genehmigung einer anderen Nutzung zugeführt, etwa weil Wohneinheiten illegal zu gewerblichen Zwecken umgenutzt worden sind.
  • Das Grundstück ist mit Gebäuden bebaut, die städtebauliche Missstände oder Mängel aufweisen.

Fazit und Ausblick

Die Auswirkungen dieses Urteils sind weitreichend! Folgen hat das Urteil dabei nicht nur für die zukünftige Ausübung des gemeindlichen Vorkaufrechts, die nunmehr vielfach ausgeschlossen sein dürfte. Nach gewichtigen Stimmen sollen auch Abwendungsvereinbarungen, die Käufer in der Vergangenheit häufig zur Abwendung der Ausübung der Vorkaufsrechts mit der Gemeinde schlossen und die dem Käufer für einen langen Zeitraum strafbewehrt die Aufteilung in Wohnungseigentum und umfassende bauliche Veränderungen untersagten, in vielen Fällen nichtig sein. Öffentlich-rechtliche Verträge – wie Abwendungsvereinbarungen – seien u. a. dann nichtig, wenn die Behörde sich eine unzulässige Gegenleistung versprechen lassen hat. Wenn aber die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtlich ausgeschlossen sei, habe die Behörde direkt das Negativattest über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts zu erteilen und dürfe diese nicht vom Abschluss einer Abwendungsvereinbarung mit Gegenleistungen abhängig machen. Nach unserem Kenntnisstand lässt der Berliner Senat gerade intern die Frage der Nichtigkeit der Abwendungsvereinbarungen prüfen. Hinsichtlich der bestandskräftigen Vorkaufsrechtsbescheide wird dagegen wohl überwiegend vertreten, dass diese fortgelten, da der Fehler „nicht offensichtlich“ sein soll. Dies wird aber letztlich noch abschließend zu klären zu sein.

Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt zu prüfen, ob im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „gesetzgeberischer Handlungsbedarf“ bestehe. Das Land Berlin hat bereits eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht, mit der eine Änderung des § 26 BauGB dahingehend gefordert wird, dass es in den Erhaltungsgebieten auch auf zukünftige Nutzungen des Grundstücks ankommt. Gefordert wird also nicht weniger als eine rechtliche Grundlage, um zur alten Vorkaufsrechtsausübungspraxis zurückkehren zu können. Neben Berlin haben auch die Großstädte Hamburg und München den Bund konkret aufgefordert, an entsprechenden Änderungen des BauGB mitzuwirken.

Gerne berät Sie unser Immobilienrechts-Team, ob im konkreten Fall die Ausübung von gemeindlichen Vorkaufsrechten und der Abschluss von Abwendungsvereinbarungen rechtmäßig erfolgen und wie insbesondere mit „Alt-Abwendungsvereinbarungen“ umgegangen werden sollte.

Autoren

David Pamer
Tel: +49 30 208 88 1167

Dr. Jan Christoph Funcke
Tel: +49 30 208 88 1432

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 1-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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