Leistungen eines MVZ aufgrund von Kooperationsverträgen mit Pflegeheimen können umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen darstellen
MVZ als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen
Sachverhalt
Der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und betreibt als solche ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Das MVZ hatte in den Streitjahren Kooperationsverträge mit Pflegeheimen zur integrierten Versorgung der Heimbewohner nach §§ 92b SGB XI und 140a SGB V abgeschlossen. Diese Kooperationsverträge, sog. Care-Plus-Verträge, waren wie folgt gestaltet: Ein*e niedergelassene*r Ärzt*in für Allgemeinmedizin schließt mit Alten- und Pflegeheimen Verträge über die medizinische Versorgung von Heimbewohnern. Ziel der Verträge ist es, sowohl das Hin- und Herpendeln der Bewohner*innen zwischen Krankenhaus und Pflegeheim zu vermeiden als auch die Krankheitskosten zu senken. Die ärztlichen Leistungen umfassen u. a. regelmäßige Visiten einschließlich ggf. notwendiger Sofortbehandlungen („Bedside“-Diagnostik), Rufbereitschaft in der Nacht und außerhalb der üblichen Dienstzeiten und die Koordinierung des ärztlichen Therapieplans und der Medikation unter Einbeziehung mitbehandelnder Fachärzt*innen und unter Integration des Heimpersonals.
Im Streitfall zahlte das Pflegeheim für jede eingeschriebene im Heim lebende Person pro Belegungstag einen pauschalen Betrag in Höhe von 1,60 € an das MVZ. Die von den Krankenkassen an die kooperierenden Pflegeheime gezahlten Entgelte beinhalteten auch Pauschalen für die vertragsärztliche Versorgung.
Das MVZ hat die Umsätze als steuerfrei behandelt. Im Rahmen einer beim MVZ erfolgten Außenprüfung wurden die aus den Kooperationsverträgen erzielten Umsätze jedoch als umsatzsteuerpflichtig eingeordnet, da nach Auffassung der Betriebsprüfung die von den Pflegeheimen gezahlten Entgelte nicht für eine Heilbehandlung gezahlt würden, sondern für die organisatorische Praxisführung und die „Anbindung“ des Arztes an das Pflegeheim. Die Heilbehandlung selbst würde direkt mit den Krankenkassen oder den Patienten abgerechnet; die Kooperation diene nicht der Behandlung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung und die Zahlungen seien auch unabhängig davon erfolgt, ob überhaupt eine ärztliche Leistung in Anspruch genommen worden sei.
Entscheidung des FG
Das FG Berlin-Brandenburg hat die Auffassung der Finanzverwaltung verworfen und entschieden, dass die streitgegenständlichen Leistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG (Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin) umsatzsteuerfrei sind.
Unter Bezugnahme auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, auf dem die deutsche Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG beruht, führt das FG in den Entscheidungsgründen aus, dass Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und so weit wie möglich Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen erbracht werden, von der Umsatzsteuerbefreiung erfasst werden. Unter Heilbehandlungen fallen auch Maßnahmen, die – ggf. auch nur vorbeugend – dem Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit der Beobachtung und Untersuchung der Patient*innen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen. Grundvoraussetzung für die Steuerbefreiung ist somit, dass die Umsätze im Zusammenhang mit Behandlungen stehen, die einem therapeutischen Zweck dienen. Diese Voraussetzung ist nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen. Vielmehr ist der Begriff unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken.
Bei der Auslegung des § 4 Nr. 14 Buchst. a. UStG ist jedoch zu berücksichtigen, so das FG, dass von der Regelung keine Leistungen erfasst werden, die eng mit ärztlichen Heilbehandlungen verbunden sind, sondern nur die Heilbehandlung selbst. Es muss demnach ein therapeutischer Zweck vorliegen. Unerheblich sei jedoch, wem gegenüber die Leistung erbracht wird, da bei der Steuerfreiheit auf den Leistenden abgestellt werde und die personenbezogenen Voraussetzungen bei diesem vorliegen müssen, d. h. der Leistende muss Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein.
Nach Auffassung des FG ist es nicht erforderlich, dass die jeweilige Leistung bzw. der jeweilige Leistende den gesamten Behandlungsprozess abdeckt. Vielmehr sei es ausreichend, wenn die Leistung einen für den Behandlungsprozess erforderlichen Teilschritt darstellt. Konkret beurteilte das FG die vom MVZ erbrachten Leistungen wie folgt:
- Umsatzsteuerfreie Heilbehandlung: Regelvisite (dient dem Schutz der Gesundheit der Pflegebedürftigen), Rufbereitschaft (Sicherstellung der ärztlichen Behandlung), Fallbesprechung in multiprofessionellen Teams (Optimierung der ärztlichen Versorgung und der optimalen Behandlung), Überweisung und Konsultation anderer Fachärzt*innen (Voraussetzung für eine Heilbehandlung und Teil der Diagnose und Behandlung), Ausstellen von Rezepten und die Überprüfung der Medikation (dienen unmittelbar der Behandlung einer Gesundheitsstörung)
- Nebenleistung zu einer umsatzsteuerfreien Heilbehandlung: Organisation der Vertretung (Sicherstellung der optimalen ärztliche Behandlung)
Insgesamt ist das FG Berlin-Brandenburg zu der Entscheidung gekommen, dass die Umsätze aus den Care-Plus-Verträgen umsatzsteuerfrei zu behandeln sind, da sie entweder eine medizinische Leistung gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG oder eine Nebenleistung zu dieser Leistung darstellen, die insofern umsatzsteuerlich das Schicksal der Hauptleistung teilt. Zudem sieht das FG den Sinn und Zweck des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG als erfüllt an, da hierdurch die Kosten der Heilbehandlungen gesenkt werden können.
Fazit
Die Entscheidung des FG verdeutlicht, dass die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG auch dann zur Anwendung gelangen kann, wenn die Leistung lediglich ein Teilschritt im Behandlungsprozess ist, da in diesem Fall ebenfalls eine Heilbehandlung oder eine Nebenleistung zur Heilbehandlung vorliegen kann. Das beklagte Finanzamt hat Revision beim BFH eingelegt (Az. V R 5/24). Es bleibt demnach abzuwarten, ob der BFH die Auffassung des FG Berlin-Brandenburg teilen wird.
Im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Umsatzsteuerbefreiungsvorschriften für MVZ ist zudem auf § 4 Nr. 14 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG hinzuweisen. Nach dieser Vorschrift sind Umsätze eines MVZ, das nach § 95 SGB V zugelassen ist, umsatzsteuerfrei. Diese Vorschrift umfasst auch – anders als die im konkreten Fall als einschlägig herangezogene Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG – auch die mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze.
Zudem sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. c UStG Leistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG umsatzsteuerfrei, die im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V oder der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V von Einrichtungen erbracht werden, mit denen entsprechende Verträge bestehen. Das Gleiche gilt für Leistungen zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen, die durch Einrichtungen erbracht werden, mit denen Verträge nach § 119b SGB V bestehen. Da der Gesetzgeber diese Regelung erst mit Wirkung vom 1. Januar 2020 ins UStG eingefügt hat, konnte sie für die vom FG zu beurteilenden Streitjahre noch nicht einschlägig sein.
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