Bundesgesundheitsminister Lauterbach legt Eckpunkte zur Reform der Notfallversorgung vor

Am 16. Januar 2024 hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach Eckpunkte für eine Reform der Notfallversorgung vorgestellt, über die wir bereits im Newsletter Healthcare 3/2023 („Bundesgesundheitsminister kündigt 14 Gesetzesentwürfe bis Juli 2024 an“) berichtet haben.

Hintergrund der Initiative ist die hinreichend belegte Erkenntnis, dass Wartezeiten in der vertragsärztlichen Versorgung dazu führen, dass immer mehr Patient*innen direkt die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser aufsuchen, obwohl sie auch in einer Bereitschaftsdienst-, Fach- oder Hausarztpraxis versorgt werden könnten. Diese „Bagatellfälle“ überlasteten die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser und bänden Personal und Ressourcen für die Versorgung „echter“ Notfälle.

Im Mittelpunkt der geplanten Reform sollen eine verbesserte Patientensteuerung, die Stärkung einer bundesweit einheitlichen Akutversorgung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sowie die Einrichtung von Integrierten Notfallzentren (INZ) bzw. Integrierten Kindernotfallzentren (KINZ) stehen. Insbesondere mit den INZ werden Kerngedanken eines im Januar 2020 unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegten und nicht weiterverfolgten Gesetzesentwurfs zur Reform der Notfallversorgung aufgegriffen, über den mein Kollege Dr. Moritz Ulrich im Newsletter Healthcare 1/2020 („Reform der Notfallversorgung“) berichtet hat.

Im Folgenden wird zunächst die derzeit existierende Notfallversorgung skizziert, anschließend die oben genannten Kernelemente der geplanten Reform vorgestellt und abschließend die Reaktionen der wichtigsten Akteure auf die Reformbestrebungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) dargestellt.

Überblick über die Notfallversorgung

An der Notfallversorgung sind in Deutschland der Rettungsdienst, der ebenfalls reformiert werden soll, die krankenhäuslichen Notfallambulanzen und die Vertragsärzt*innen durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu den sprechstundenfreien Zeiten beteiligt. Die Sicherstellung der flächendeckenden vertragsärztlichen Versorgung auch in den sprechstundenfreien Zeiten – das Sozialgesetzbuch (SGB) V spricht in § 75 Abs. 1b vom Notdienst – ist Aufgabe der KVen. Nach dem Wortlaut von § 75 Abs. 1b SGB V sollen die KVen neben der Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auch mit zugelassenen Krankenhäusern kooperieren. Dies umfasst die Einrichtung von Notdienstpraxen in oder an Krankenhäusern sowie die direkte Einbeziehung der Notfallambulanzen der Krankenhäuser in den Notdienst. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben gesetzlich Versicherte in Deutschland darüber hinaus das Recht, in dringenden Fällen auch während der Sprechstundenzeiten eine Notfallambulanz aufzusuchen. Sofern die ambulante Behandlung ausreichend ist, wird sie auch dem Notfalldienst zugeordnet. Dies hat zur Folge, dass die ambulante Notfallbehandlung nur die notwendigen Maßnahmen umfasst, bis eine Behandlung im Rahmen der Regelversorgung erfolgen kann.

Verbesserung der Patientensteuerung

Ziel der geplanten Reform ist die Verbesserung der Patientensteuerung durch den Ausbau und die Stärkung der Terminservicestellen (Rufnummer: 116117) sowie deren möglichst verpflichtende Vernetzung mit den Rettungsleitstellen (Rufnummer: 112), um der*dem Hilfesuchenden einen fallbezogenen und zeitnahen Behandlungstermin zu ermöglichen. Zur Förderung der Terminservicestellen sollen die gesetzliche Krankenversicherung und die KVen zusätzliche Mittel nach § 105 Abs. 1b SGB V zur Verfügung stellen.

Stärkung einer bundesweit einheitlichen Akutversorgung der KVen

Darüber hinaus soll nach den Vorstellungen des BMG durch eine Konkretisierung des o. g. Sicherstellungsauftrages (§ 75 Abs. 1b SGB V) die notdienstliche Akutversorgung bundesweit vereinheitlicht werden. Vorgesehen sind eine telemedizinische Versorgung rund um die Uhr sowie Hausbesuche insbesondere bei immobilen Patient*innen, die von den KVen verpflichtend bereitzustellen sind. Die KVen sollen die gesetzliche Möglichkeit erhalten, für den aufsuchenden Dienst auch qualifiziertes nicht ärztliches Personal einzusetzen oder mit dem Rettungsdienst zu kooperieren (Gemeindenotfallsanitäter* innen). In diesen Fällen soll ein*e Ärzt*in per Video (Telemedizin) zugeschaltet werden.  

Bessere Patientenorientierung – Einrichtung von INZ und KINZ

Damit Patient*innen im Notfall unverzüglich und bedarfsgerecht medizinisch versorgt werden können, sieht das Eckpunktepapier des BMG die flächendeckende Einrichtung von INZ und – soweit kapazitiv möglich – von KINZ vor. Diese sollen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer zentralen Ersteinschätzungsstelle („gemeinsamer Tresen“) und einer KV-Notdienstpraxis in unmittelbarer Nähe bestehen. Über die zentrale Ersteinschätzungsstelle sollen Hilfesuchende der richtigen INZ- bzw. KINZ-Struktur (Notdienstpraxis oder Notaufnahme) zugewiesen werden. Die Verantwortung für die Einrichtung der zentralen Ersteinschätzungsstelle obliegt grundsätzlich dem Krankenhaus, wobei abweichende Vereinbarungen möglich sein sollen. Für den Betrieb der zentralen Ersteinschätzungsstelle ist die Einführung einer gesonderten fallbezogenen Vergütung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab vorgesehen.

Darüber hinaus sollen die Kooperationspartner des INZ bzw. KINZ (d. h. Krankenhausträger und KVen) digital vernetzt werden, um Behandlungsdaten schnell austauschen zu können. Nach erfolgter Erstversorgung im INZ sollen den Patient*innen auch geeignete Termine zur Weiterbehandlung in der Regelversorgung angeboten werden können.

Die Öffnungszeiten der Notdienstpraxis sollen gesetzlich festgelegt werden: an Wochenenden und Feiertagen 9–21 Uhr; montags, dienstags und donnerstags 18–21 Uhr; mittwochs und freitags 14–21 Uhr. Abweichungen hiervon sollen im Einzelfall möglich sein, soweit die Notfallversorgung anderweitig sichergestellt ist. Ist während der Sprechzeiten der Vertragsarztpraxen keine Notdienstpraxis geöffnet, soll die Notfall-Akutversorgung auch durch Kooperationspraxen mit enger Anbindung an das INZ bzw. KINZ sichergestellt werden. Besteht keine Zusammenarbeit mit einer Kooperationspraxis (während der Sprechstundenzeiten) und hat die Notdienstpraxis außerhalb der Sprechstundenzeiten (nachts) nicht geöffnet, übernimmt die Notaufnahme des Krankenhauses die notfallmäßige Akutversorgung. Schließlich sollen in den INZ bzw. KINZ kurzfristig benötigte Medikamente ausgegeben werden. Hierzu können die INZ bzw. KINZ Kooperationsvereinbarungen mit Apotheken in unmittelbarer Nähe abschließen. Damit Patient*innen nach einer Behandlung in einer Notfallpraxis oder bei einem Hausbesuch nicht noch einmal eine Hausarztpraxis aufsuchen müssen, nur, um eine Krankschreibung zu erhalten, sollen Krankschreibungen auch in den INZ bzw. KINZ und im hausärztlichen Notfalldienst möglich sein.

Reaktionen beteiligter Akteure

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßte das Eckpunktepapier grundsätzlich, äußerte aber Zweifel an der vollständigen Umsetzbarkeit der geplanten Reform, die insbesondere im Hinblick auf die 24-Stunden-Versorgung nicht ohne zusätzliches Personal zu realisieren sei. Zudem müsse die Reform der Notfallversorgung mit der Reform der Krankenhausfinanzierung zusammen gedacht werden, damit klar sei, an welchem Krankenhaus (K)INZ eingerichtet werden sollen.

Der AOK-Bundesverband begrüßte das Eckpunktepapier als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Dessen Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann plädierte dafür, die neuen Notfallzentren eigenständig und fachlich unabhängig mit eigenem Personal und eigener technischer Ausstattung zu konzipieren. Verteilungskämpfe und Fehlanreize bei der Steuerung der Patient*innen müssten vermieden werden.

Nach Auffassung des Bayerischen Facharztverbandes führe das Reformvorhaben zu einer unnötigen und unverhältnismäßigen Belastung der Ärzteschaft. Das Eckpunktepapier enthalte Forderungen nach einem massiven Ausbau der telemedizinischen Versorgung, nach Hausbesuchen rund um die Uhr, nach Öffnungszeiten an INZ-Standorten und nach kostenintensiver Inanspruchnahme zusätzlicher „Versorgungsangebote“, für die weder Personal noch Geld zur Verfügung stünden.

Ausblick

Das BMG teilte mit, dass die Bundesregierung „in Kürze“ einen Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung vorlegen werde. Das Gesetz solle dann voraussichtlich im Januar 2025 in Kraft treten. Zudem bestehe ein enger Zusammenhang zwischen der Reform der Notfallversorgung und der Reform des Rettungsdienstes, zu der das BMG ebenfalls „in Kürze“ Eckpunkte vorlegen werde.   

Alexander Greiff
Tel: +49 30 208 88 1305

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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