Telemedizin – erste höchstrichterliche Entscheidungen zur umsatzsteuerlichen Behandlung
Am 7. Januar 2021 hat der Bundesfinanzhof das hieraufhin ergangene Folgeurteil auf seiner Internetseite veröffentlicht und damit die Anwendung der Urteilsgrundsätze konkretisiert. Auch wenn im Streitfall noch kein abschließendes Urteil verkündet werden konnte, da aufgrund unvollständiger Sachverhaltsaufklärung eine Rückverweisung an das Finanzgericht erfolgte, lohnt es sich – auch vor dem Hintergrund der in der Markteinführung stehenden digitalen Hilfsmittel –, sich die von den Gerichten herausgearbeiteten Grundsätze zu vergegenwärtigen. Hierzu zählen insbesondere:
- Für Telemedizin und medizinische telefonische Beratung gibt es kein Sonderrecht.
- Die Leistungen sind – wie wohl auch Leistungen via Internet, Videokonferenzen oder App – nach allgemeinen umsatzsteuerlichen Grundsätzen zu beurteilen.
- Nach europäischen Recht können diese Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c) MwStSystRL als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer befreit sein.
- Nach nationalem Recht kommt eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG als Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt wird, in Frage. Das nationale Recht ist hierbei nach den europäischen Grundsätzen auszulegen.
- Eine Steuerbefreiung der telemedizinischen Leistung setzt voraus, dass diese mit einer therapeutischen Zielsetzung erbracht wird.
- Der autonome unionsrechtliche Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Daraus folgt nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. So fallen auch medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die Steuerbefreiung.
- Das Fehlen einer ärztlichen Verschreibung vor der telefonischen Beratung oder einer konkreten ärztlichen Behandlung im Anschluss daran sind keine Ausschlussgründe, die gegen eine therapeutische Zielsetzung sprechen.
- Bei einem Gesundheitstelefon kann ein therapeutischer Zweck bereits dann bestehen, wenn eine Beratung durch Erläuterung der (konkret) in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien dazu dient, die betroffene Person in die Lage zu versetzen, ihre medizinische Situation zu verstehen und dementsprechend – beispielsweise durch Einnahme eines bestimmten Medikamentes – tätig zu werden.
- (Telefonische) Patientenbegleitprogramme, etwa der Krankenkassen, dienen typischerweise einer therapeutischen Zielsetzung bereits dann, wenn sie als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation z. B. im Sinne des § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden.
- Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, (konkret) zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff. Dasselbe gilt für die Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle.
- Eine Heilbehandlungsleistung ist nur dann steuerfrei, wenn sie im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht wird. Nicht notwendig ist, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird.
- Die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe und die Festlegung der erforderlichen Qualifikationen erfolgt nach nationalem Recht. Dieses unterscheidet zwischen den Katalogberufen (Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme) und arztähnlichen Berufen. Für Letztere kann sich die erforderliche Berufsqualifikation beispielsweise aus berufsrechtlichen Zugangsvoraussetzungen zu dem Beruf ergeben.
- Außerdem kann grundsätzlich vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers durch heilberufliche Tätigkeit in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. So ist z. B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V oder die Zulassung nach § 124 SGB V als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen. Dieses gilt grundsätzlich auch, soweit die Leistungen durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte (Arzthelfer) erbracht werden.
- Für die telefonische oder telemedizinische Heilbehandlung in diesem Sinne ist es – derzeit – weder nach Unions- noch nach nationalem Recht erforderlich, dass die eingesetzten Mitarbeiter eine bestimmte Zusatzqualifikation zur Leistungserbringung nachweisen können. Dieses könnte sich ändern, wenn der nationale Gesetzgeber sich entschließen sollte, entsprechende Auflagen zu erteilen.
Praxishinweis
Auch für telefonische, digitale oder mittels Bildübertragung erbrachte Leistungen der Patientenversorgung gilt, dass eine Umsatzsteuerbefreiung nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn ihnen eine therapeutische Zielsetzung zugrunde liegt. Allerdings ist dieser Begriff nicht notwendigerweise eng auszulegen. Die genannten Urteile bieten einen guten Ansatzpunkt für eine erste Auslegung. Im Fall der Erbringung komplexer Leistungen oder bei Leistungsbündeln wird – wiederum nach allgemeinen Grundsätzen – zu prüfen sein, ob eine einheitliche Leistung, Haupt- und Nebenleistung oder aber mehrere, unabhängig zu beurteilende, Leistungen vorliegen und gegebenenfalls zu versteuern sind.
Bei „Einrichtungen mit sozialem Charakter“, häufig beispielsweise freigemeinnützige, diakonische oder karitative Einrichtungen, sollte neben der Steuerbefreiung für Heilbehandlungsleistungen regelmäßig auch geprüft werden, ob auch oder ergänzend eine Steuerbefreiung für „eng mit der Sozialfürsorge verbundene“ Umsätze in Frage kommt (vgl. Newsletter Health Care 4/2020).
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 1-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.