Die Überlassung von Arbeitnehmern – vorübergehend bis zu einer Höchstdauer von …?
Überlassung von Arbeitnehmern Höchstdauer von
§ 1 Abs. 1 des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bestimmt, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b zulässig ist. In § 1 Abs. 1b) des AÜG ist wiederum geregelt, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen darf und der Entleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen darf. So weit, so gut.
Liest man diese beiden Absätze des § 1 zusammen, so könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass das Wort vorübergehend ziemlich eindeutig von unserem deutschen Gesetzgeber mit dem Zeitraum von maximal 18 Monaten definiert wurde.
Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend, denn gem. § 1 Abs. 1b) S. 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1b) Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Doch in welchem Umfang kann von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten abgewichen werden? Was bedeutet vorübergehend in diesem Kontext?
Diese Fragen wurden kürzlich durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beantwortet, wenn auch nicht abschließend.
1. Auslegung des Worts vorübergehend unabhängig vom spezifischen Arbeitsplatz
Zum einen haben die Luxemburger Richter*innen in ihrer Entscheidung (EuGH, Urt. v. 17. März 2022 – C-232/20) festgestellt, dass sich die lediglich vorübergehende Möglichkeit der Überlassung auf die Modalitäten der Überlassung eines Arbeitnehmers bezieht. Sie bezieht sich nicht auf einen konkreten Arbeitsplatz, was bedeutet, dass derselbe Arbeitnehmer in Deutschland für maximal 18 aufeinanderfolgende Monate an denselben Entleiher überlassen werden darf. Der Arbeitsplatz, den dieser Arbeitnehmer bekleidet hat, kann anschließend mit einem neuen Arbeitnehmer – auch wieder im Wege der Arbeitnehmerüberlassung – besetzt werden. Dies bedeutet, dass allein die Tätigkeit auf einem Dauerarbeitsplatz nicht bereits dazu führt, dass von einer nicht mehr nur vorübergehenden Überlassung auszugehen ist.
Die maximale Überlassungsdauer von 18 Monaten wurde erst ab dem 1. April 2017 in das deutsche Recht aufgenommen. Bei unseren Nachbarn in Frankreich hingegen gilt eine Überlassungshöchstdauer von zwei Jahren. Alle Zeiten der Arbeitnehmerüberlassung vor dem 1. April 2017 sind also nicht am Maßstab dieser 18 Monate zu messen, sondern hier kommt es allein auf die Auslegung des Wortes vorübergehend an.
Grundsätzlich sei an dieser Stelle gesagt, dass das Unionsrecht selbst keine bestimmte Dauer festlegt, an der sich die nationalen Gesetzgeber zu orientieren hätten. Es steht den einzelnen Mitgliedsstaaten also frei, eine bestimmte Überlassungshöchstdauer festzulegen, bei deren Überschreitung eine Überlassung dann nicht mehr als vorübergehend angesehen werden kann. Der Europäische Gerichtshof bleibt, was die Frage der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs vorübergehend angeht, allerdings sehr vage.
Hierunter soll die Tätigkeit fallen, die unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählen, vernünftigerweise als vorübergehend betrachtet werden kann.
Eine Überlassungsdauer von 55 Monaten soll hiernach nicht mehr vorübergehend sein, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, insbesondere der Branchenbesonderheiten und im Kontext des nationalen Regelungsrahmens, vernünftigerweise nicht mehr von einer lediglich vorübergehenden Überlassung auszugehen ist (EuGH, Urt. v. 17. März 2022 – C-232/20).
Die Entscheidung des EuGH ist leider recht unklar geblieben. Zu entnehmen ist ihr lediglich, dass unter Berücksichtigung branchenspezifischer Umstände eine Überlassungsdauer von 55 Monaten als nicht mehr vorübergehend angesehen werden kann. Offen bleibt jedoch, was innerhalb der einzelnen Branchen als vorübergehend gelten kann und soll. Generell dürfen die Überlassungszeiträume seit dem 1. April 2017 ohnehin nicht mehr als 18 Monate betragen.
In Tarifverträgen kann jedoch auch eine abweichende Höchstüberlassungsdauer festgelegt werden, dies ist nach Urteil vom 17. März 2022 europarechtskonform und mit der Leiharbeitsrichtlinie der EU vereinbar. In diesem Hinblick wäre eine eindeutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu wünschen gewesen. Dass die Luxemburger Richter hier so vage geblieben sind, führt jedoch auch dazu, dass Tarifvertragsparteien weiterhin eine große Autonomie bei der Vereinbarung einer Höchstüberlassungsdauer zukommt und eine solche eben stets an den branchenspezifischen Besonderheiten zu messen ist. Was branchenspezifisch ist, wird sich wohl erst durch weitere Rechtsprechung hierzu herauskristallisieren. Insbesondere muss dafür Sorge getragen werden, dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird. Die hier durch die Rechtsprechung gewährte Autonomie kann jedoch auch zu nicht unerheblicher Rechtsunsicherheit führen.
2. Tarifvertragliche Überlassungsdauer von 48 Monaten noch vorübergehend
Nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. September 2022 (4 AZR 83/21) kann tarifvertraglich eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten vereinbart werden. Nach Ansicht des Gerichts befinden sich die 48 Monate noch im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. Auch diese Entscheidung führt noch einmal vor Augen, wie großzügig – nach wie vor – mit der Auslegung des Merkmals vorübergehend umgegangen wird. Eine Tätigkeit von vier Jahren (!) ist hiernach immer noch vorübergehend und stellt somit noch keine Dauersituation für einen Arbeitnehmer dar. Bei einem Zeitraum von weiteren sieben Monaten soll diese Grenze nach Ansicht der Luxemburger Richter jedoch überschritten sein. Irgendeine Grenze muss natürlich auch gezogen werden, doch auch bereits bei einer Überlassungsdauer von 48 Monaten muss man sich fragen, ob es sich hierbei noch um eine vorübergehende Überlassung handeln kann. Wenn der Gesetzgeber wollte, dann könnte er auch hinsichtlich der tarifvertraglichen Überlassungshöchstdauer eine zeitliche Grenze festlegen. Dies hat er bislang allerdings nicht getan, sodass es auch diesbezüglich weiterhin Unklarheiten geben wird.
3. Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen
Nach § 10 AÜG entsteht zwischen dem Arbeitnehmer und dem ihn entleihenden Unternehmen ein Arbeitsverhältnis, wenn der zwischen ihnen bestehende Vertrag unwirksam ist (§ 9 AÜG). Dies ist unter anderem der Fall, wenn die Überlassung nicht mehr nur vorübergehend ist und ein Arbeitnehmer für mehr als 18 aufeinander folgende Monate bei demselben Entleiher eingesetzt wird.
Aufgrund der europäischen Vorgaben und insbesondere der Richtlinie 2008/104 hat der Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht kein solches subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen.
Hinweis für die Praxis
Sowohl Verleiher als auch Entleiher von Arbeitnehmern haben die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten im Blick zu behalten. Das deutsche Recht geht insoweit über das Unionsrecht hinaus und führt bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer. Dieses Arbeitsverhältnis gilt dabei nur dann als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt.
Bei Mehrfachüberlassungen ein und desselben Leiharbeitnehmers an einen Entleiher werden die einzelnen Zeitspannen der Überlassung im Rahmen der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten berücksichtigt, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Dies könnte letztlich auch ein Einfallstor für die zeitlich versetzte Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers auf ein und demselben Arbeitsplatz sein und zu einer unzulässigen Umgehung der Überlassungshöchstdauer führen.
Die Arbeitnehmerüberlassung ist somit auch aktuell eine Thematik, die die besondere Aufmerksamkeit sämtlicher daran beteiligter Parteien erfordert und die besonders fehleranfällig ist. Bei der Erstellung eines Rahmenvertrags zur Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verleiher und Entleiher sind dabei die Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in besonderem Maße zu beachten und vor allem bei der Vereinbarung einer Überlassungshöchstdauer ist äußerste Sorgfalt geboten. Im Zweifelsfall lohnt sich daher die frühe Hinzuziehung rechtlicher Beratung, um Fehler bereits im Rahmen der Vertragsanbahnung ausschließen zu können.
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Dr. Philipp Wollert
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.