Nichtanrechnung von Urlaub bei behördlich angeordneter Quarantäne

Schuldet der Arbeitgeber die Nachgewährung von Urlaub und trägt er das Risiko des Urlaubserfolgs?

Die COVID-19-Pandemie scheint zunächst abzuklingen. Abzuwarten bleibt wieder die Entwicklung der Zahlen zum Winter hin. Auch wenn die öffentliche Diskussion um die Pandemie und ihre Folgen derzeit etwas abklingt, wird sie die Arbeitsgerichte wohl noch einige Zeit lang in Anspruch nehmen. Seien es rechtliche Fragestellungen um das Tragen der Maske am Arbeitsplatz, die Durchführung von Tests, die Frage nach dem Impfstatus oder – wir berichteten bereits in unserem Newsletter 1/2021 – die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer.

Die Meinungen der Arbeitsgerichte in Deutschland zu der Thematik von Urlaub, angeordneter Quarantäne und etwaiger Nachgewährung des Urlaubs sind so zwiegespalten wie die Expertenmeinungen zur Pandemie selbst.

Die Frage, ob Urlaubstage durch den Arbeitgeber nachzugewähren sind, wenn ein Arbeitnehmer während seines Erholungsurlaubs eine behördliche Isolationsanordnung erhält, beschäftigt die Gerichte deutschlandweit und führte bislang zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Rechtliche Grundlage zur Erkrankung im Urlaub

Der Problematik, um die sich im Prinzip alles dreht, liegt § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) zugrunde. Diese Norm regelt, wie mit dem Urlaub des Arbeitnehmers umzugehen ist, wenn dieser während seines Erholungsurlaubs erkrankt. Gem. § 9 BUrlG werden die Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet, wenn ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs erkrankt und die Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Zeugnis nachweist. Der Arbeitnehmer hat also einen Anspruch auf Nachgewährung der von seiner Arbeitsunfähigkeit betroffenen Urlaubstage.

Erst einmal ändert die Pandemie nichts an dieser bestehenden Gesetzeslage. Erkrankt ein Arbeitnehmer während seines Erholungsurlaubs an Corona und kann er dies durch ein ärztliches Attest nachweisen, so werden die Tage der Erkrankung nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet. Die entscheidende Frage – die derzeit neben dem Bundesarbeitsgericht auch den Europäischen Gerichtshof beschäftigt – ist die, ob die durch eine zuständige Behörde angeordnete häusliche Quarantäne während des Erholungsurlaubs ohne krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers dazu führt, dass dem Arbeitnehmer der Erholungsurlaub wie im Falle einer Krankheit ohne Anordnung einer Quarantäne ebenfalls nachzugewähren ist.

Diversität bisheriger gerichtlicher Entscheidungen

Dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt liegt eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vor, nach der die in die Zeit der Quarantäne fallenden Urlaubstage auf den Urlaub anzurechnen und die in der Folge entfallenen Urlaubstage vom Arbeitgeber nachzugewähren sind. Einem Arbeitnehmer wurde in der Zeit vom 12. Oktober 2020 bis zum 21. Oktober 2020 ein Erholungsurlaub im Umfang von acht Tagen gewährt. Am 14. Oktober 2020 erließ die zuständige Behörde gegen ihn eine Ordnungsverfügung, nach der er sich für die Zeit vom 9. Oktober 2020 bis zum 21. Oktober 2020 in häusliche Isolation begeben musste. Der Arbeitnehmer forderte seinen Arbeitgeber nach überstandener Infektion dazu auf, seinem Urlaubskonto acht Tage gutzuschreiben. Die Anordnung der häuslichen Quarantäne habe dem Erholungszweck entgegengestanden. Sein Urlaubsanspruch diene seiner Erholung. Eine solche ist weder im Falle einer Erkrankung noch im Falle einer Quarantäneanordnung gegeben.

Das erstinstanzlich angerufene Arbeitsgericht hatte den Anspruch des Arbeitnehmers auf Nachgewährung zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung aufgehoben und dem Arbeitnehmer den Anspruch auf Nachgewährung der in der häuslichen Isolation verbrachten Urlaubstage zugesprochen. In seiner Begründung führte es aus, dass im Falle einer angeordneten Quarantäne eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers gegeben ist. Der Jahresurlaub soll dem Arbeitnehmer ermöglichen, diesen zu seiner Erholung zu nutzen und über eben diesen Zeitraum für Entspannung und Freizeit selbstbestimmt verfügen zu können.

Erstinstanzliche Entscheidungen wie die dem Urteil des LAG Hamm zugrunde liegende und weitere sahen häufig keinen Anspruch auf Nachgewährung des Urlaubs gegeben. § 9 des Bundesurlaubsgesetzes sei schon nicht anwendbar, weder direkt noch analog, d. h. in entsprechender Weise. Die Anordnung einer häuslichen Isolation und die Erkrankung des Arbeitnehmers seien schon nicht vergleichbar. Selbst wenn der Arbeitnehmer während seiner Isolation an dem Coronavirus erkrankt ist, jedoch kein ärztliches Attest vorlegt, könne § 9 Bundesurlaubsgesetz keine Anwendung finden. In einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn – in der ebenfalls ein Anspruch auf Gewährung verneint wurde – hatte das Gericht argumentiert, der Arbeitnehmer hätte von der Möglichkeit der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach telefonischer Anamnese bis zu einer Dauer von maximal 14 Tagen Gebrauch machen können, was er nicht getan hat. Urlaubsstörende Ereignisse fallen grundsätzlich als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts als Weichenstellung für die Verteilung des Urlaubsrisikos

Die Frage, die man sich also zu Recht stellen muss, ist, wer das Urlaubsrisiko in einem solchen Fall zu tragen hat. Ist es der Arbeitnehmer mit der Maßgabe, dass die Erkrankung als allgemeines Lebensrisiko in seinen Verantwortungsbereich fällt, solange er kein ärztliches Attest vorlegt, oder soll der Arbeitgeber das Risiko des Urlaubserfolgs tragen?

Für Letzteres spricht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm sowie die weiterer zweitinstanzlicher Urteile. Das Landesarbeitsgericht misst der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers über seine Freizeit und seinen Erholungsurlaub eine große Bedeutung bei.

Das mit dieser Problematik inzwischen befasste Bundesarbeitsgericht hat das ihm vorliegende Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens angerufen. Das Bundesarbeitsgericht steht einer erweiterten Anwendung des § 9 Bundesurlaubsgesetz ebenfalls ablehnend gegenüber. Auch andere zweitinstanzliche Gerichte sind der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt und haben ebenfalls einen Anspruch auf Nachgewährung abgelehnt. Es bleibt somit abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheiden und ob er das Risiko des Urlaubserfolgs dem Arbeitgeber auferlegen wird.

Der Europäische Gerichtshof – aktuell mit dieser Fragestellung befasst – wird sich hierfür mit Artikel 7 der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG sowie Artikel 31 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta befassen. Nach Artikel 7 haben die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Artikel 31 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta bestimmt, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub hat.

Ein Hinweis darauf, dass sich das Bundesarbeitsgericht – wie bereits einige erst- und zweitinstanzliche Urteile – gegen die analoge Anwendung des § 9 Bundesurlaubsgesetz und damit gegen eine Nachgewährung des Urlaubs aussprechen wird, stellt die Tatsache dar, dass es den Europäischen Gerichtshof um Überprüfung dieser Frage nach dem europäischen Recht aufgesucht hat, was es lediglich dann tun wird, wenn es eine entsprechende Nachgewährung nach deutschem Recht ablehnt.

Blick nach Frankreich – keine Nachgewährung des Urlaubs

In Frankreich können Arbeitnehmer eine Entschädigung ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit und längstens bis Ende des Jahres 2022 erhalten. Die französische Rechtsprechung gewährt französischen Arbeitnehmern – entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – keine Nachgewährung der Urlaubstage, in denen eine Quarantäne für die Arbeitnehmer angeordnet wurde. Eine Nachgewährung wird nach den französischen Arbeitsgerichten nur dann anerkannt, wenn die Erkrankung vor Beginn des Erholungsurlaubs eintritt. Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber mit der Gewährung des Erholungsurlaubs seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis jedenfalls erfüllt hat.

Wie also umgehen mit entsprechenden Anträgen von Arbeitnehmer*innen auf Gutschrift des Urlaubs?

Aufgrund der Divergenzen in der derzeitigen Rechtsprechung raten wir dazu, Arbeitnehmer*innen bei entsprechender Geltendmachung einer Nachgewährung des Urlaubs auf die diesbezüglichen aktuell bestehenden Unklarheiten in der Rechtsprechung hinzuweisen und ihr Begehren bis zur abschließenden Klärung der Frage durch das Bundesarbeitsgericht zurückzuweisen.

Anders verhält es sich natürlich, wenn die Arbeitnehmer* innen ein ärztliches Attest vorlegen, das eine Erkrankung in der Quarantäne während des Urlaubs nachweist. Hier greift dann § 9 Bundesurlaubsgesetz unmittelbar ein mit der Folge, dass die Tage der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub anzurechnen und nachzugewähren sind. Dass einer ordnungsgemäß aufgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung prinzipiell ein hoher Beweiswert zukommt, ist unbestritten. Hier genügt nicht der einfache Vortrag des Arbeitgebers, sondern er muss Umstände vortragen, die ernste Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen und sie im Bestreitensfall beweisen (siehe auch den Artikel von Andreas Thomas zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21).

Bei Zweifel in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit können und sollten Arbeitgeber zudem verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt (§ 275 Abs. 1a S. 3 SGV V).

Wir empfehlen, die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur angeordneten Isolation während des Erholungsurlaubs zu verfolgen und ggf. erforderliche Maßnahmen gegenüber den Beschäftigten zu treffen.

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Autor

Dr. Philipp Wollert
Tel: +49 221 28 20 2531

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

Want to know more?