Wann und in welchem Umfang können Umkleide-, Wege-, aber auch Körperreinigungszeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen?

Die Problematik, was und in welchem Umfang neben der eigentlichen Arbeitsleistung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen ist, ist ein immer wiederkehrender Streitpunkt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Ausgangslage und Einordung

Die Arbeitsgerichte hatten sich bereits mehrfach mit der Frage der Vergütungspflicht von Vorund Nachbereitungshandlungen zu befassen. In diesen Entscheidungen knüpfen die Richter für die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 a Abs. 1 BGB an die Erbringung der versprochenen Dienste an. Zu diesen versprochenen Diensten gehört nach der Rechtsprechung nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern auch jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt.

So können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch Vor- und Nachbereitungszeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit qualifiziert werden, wenn diese Handlungen im Rahmen des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts erfolgen.

Die Arbeitszeit ist jedoch nicht immer deckungsgleich mit vergütungspflichtiger Arbeitszeit. Ob der*die Arbeitnehmer*in einen Anspruch auf Vergütung von Arbeitszeit hat, richtet sich daher nicht nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Maßgeblich sind vielmehr in erster Linie die vertraglichen Abreden, ergänzend tarifvertragliche Regelungen oder Betriebsvereinbarungen, hilfsweise gem. § 612 BGB die berechtigte Erwartung des*der Arbeitnehmers*Arbeitnehmerin bzw. die Üblichkeit. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hatte sich in einem sehr praxisrelevanten Zusammenhang mit der Frage der Vergütung von Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten zu befassen (Az. 7 Sa 275/22). Daraus ergeben sich für die Praxis weitere Problemfelder:

  • Wie ist mit etwaigen vergütungspflichtigen Arbeitszeiten für die Vergangenheit umzugehen, die nicht erfasst wurden?
  • Helfen etwaige Ausschlussfristen oder Überstundenregelungen im Arbeitsvertrag?
  • Was besagen tarifliche oder betriebsverfassungsrechtliche Regelungen?

Derzeit ist die Revision (Az. 5 AZR 212/23) beim BAG anhängig. Mit Spannung wird erwartet, ob und inwieweit sich das BAG dem Urteil des LAG Nürnberg anschließt.

Inhalt der Entscheidung

Das LAG Nürnberg gab der Klage eines Containermechanikers teilweise statt. Zu den Aufgaben des Arbeitnehmers gehörte es, Rost- und Schadstellen an Transportcontainern abzuschleifen und anschließend neu zu lackieren. Dabei trug er die vom Arbeitgeber gestellte Arbeitskleidung und zusätzlich Handschuhe, Schutzbrille und Atemmaske. Dennoch war der Arbeitnehmer nach der Verrichtung seiner Arbeitsleistung regelmäßig stark verschmutzt und duschte im Betrieb.

Bisher bezahlte der Arbeitgeber weder die Zeit für das Umkleiden, Waschen oder Duschen noch die Zeit für den Weg von der Umkleide zum Arbeitsplatz. Hierfür verlangte der Containermechaniker für die Zeit ab Januar 2017 eine Nachzahlung von über 20.000 €.

Das LAG Nürnberg gab dem Kläger nun dem Grunde nach Recht, sprach ihm aber nur knapp 2.400 € plus Zinsen für einen Zeitraum von knapp 20 Monaten zu. Ansprüche für die Zeit vor Juni 2020 seien aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist erloschen.

Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Nürnberg (Az. 9 Ca 5217/20) verlangte der Kläger eine zusätzliche Vergütung für Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten im Umfang von täglich 55 Minuten. Das Arbeitsgericht Nürnberg hat dem Kläger entsprechende Vergütungsansprüche mit der Begründung zugesprochen, dass dem Kläger für die fremdnützigen Tätigkeiten des Umkleidens zu Schichtbeginn und Schichtende sowie des Reinigens eine zusätzliche Vergütung zustehe, allerdings nur im Umfang von insgesamt 20 Minuten täglich. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Das LAG Nürnberg hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg im Wesentlichen bestätigt und einen entsprechenden Vergütungsanspruch des Klägers zumindest teilweise in Höhe von insgesamt 21 Minuten bejaht. Das LAG Nürnberg stützt den Vergütungsanspruch des Klägers auf § 611a Abs. 2 BGB, der die Vergütungspflicht des Arbeitgebers regelt. Zur vergütungspflichtigen Arbeitsleistung gehört nach Auffassung des LAG Nürnberg nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern auch jede weitere vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte Tätigkeit oder Handlung, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene.

Vor diesem Hintergrund seien die Umkleidezeiten zu vergüten, da der Kläger vor Arbeitsbeginn den Umkleideraum aufsuchen müsse, um die Schutzkleidung anzuziehen, und am Ende des Arbeitstages den Umkleideraum wieder aufsuchen müsse, um die Schutzkleidung zur Reinigung abzugeben. Gleiches gelte für die innerbetrieblichen Wegezeiten, da diese dadurch verursacht würden, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht unmittelbar am Arbeitsplatz ermögliche, sondern zu diesem Zweck einen vom Arbeitsplatz getrennten Umkleideraum eingerichtet habe, den der Arbeitnehmer zwingend aufsuchen müsse.

Schließlich gehörten auch die Zeiten der Körperreinigung, also das Duschen oder Waschen nach getaner Arbeit, zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit. Das LAG Nürnberg begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger auf Anweisung der Beklagten Arbeiten verrichte, die mit einer erheblichen Verschmutzung seines Körpers verbunden seien, die weit über das im Privatleben übliche Maß hinausgehe. Es sei dem Kläger nicht zumutbar, bei einem derartigen Verschmutzungsgrad seine Privatkleidung zu tragen. Die Körperreinigung sei daher notwendiger Bestandteil der vom Kläger geschuldeten Arbeit und damit fremdnützig. Das LAG Nürnberg stellte weiter fest, dass die anfallenden Umkleide- und Duschzeiten sowie die Wege vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz des Klägers und zurück Arbeitszeit darstellen und als solche dem Kläger künftig von der Beklagten zu vergüten sind.

Bisherige Rechtsprechung und Ausblick

Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BAG (so zuletzt das Urteil vom 11. Oktober 2000, Az. 5 AZR 122/99) wurden Umkleide und Wegezeiten (auch als „Rüstzeit“ bezeichnet) nach § 611 a BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag grundsätzlich nicht vergütet, sofern keine Regelungen bezüglich dieser Tätigkeiten getroffen wurden. Die Rüstzeiten galten als reine Vor- und Nachbereitungsmaßnahmen. Es erfolgte eine strikte Trennung zwischen dem Begriff der arbeitsschutzrechtlichen und vergütungspflichtigen Arbeitszeit.

Diese Betrachtung hat sich nach der „IKEA-Entscheidung“ des BAG (Beschluss vom 10. November 2009, Az. 1 ABR 54/08) maßgeblich verändert. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers beschränkt sich nicht auf die eigentliche Haupttätigkeit, sondern erstreckt sich auch auf jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die in einem Zusammenhang mit der eigentlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängt. Darunter fallen solche oben genannten Vor- und Nachbereitungsmaßnahmen wie Umkleidezeiten, aber auch Wegezeiten unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen.

Demnach kann unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des BAG angenommen werden, dass das Urteil des LAG Nürnbergs bestätigt wird.

Handhabung in der Praxis und Fazit

Unabhängig von der Entscheidung des BAG zeigt sich jedoch einmal mehr, dass Arbeitgeber gut beraten sind, die von ihren Arbeitnehmer*innen neben der eigentlichen Tätigkeit ausgeübten Tätigkeiten genau daraufhin zu überprüfen, ob sie im eigenen oder fremden Interesse erfolgen, und die sich bietenden Gestaltungsspielräume zu nutzen.

Um mögliche immense Nachzahlungen und/oder die Gewährung von Freizeitausgleich als Abgeltung zu vermeiden, sind wirksam vereinbarte Ausschlussfristen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und Überstundenregelungen von zentraler Bedeutung. Auch der gesetzliche Mindestlohn (derzeit 12,41 €) sollte im Auge behalten werden. Wird der Mindestlohn durch die vereinbarte Arbeitszeitverlängerung unterschritten, drohen dem Arbeitgeber empfindliche Bußgelder.

Auch für die Handhabung in der Zukunft sollte eine genaue und den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten angepasste Regelung entwickelt werden. Eine pauschale Lösung erscheint nahezu unmöglich.  

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Autor

Kevin Dolinski
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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