Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit

Kann eine einseitige Anordnung von Präsenztagen im Büro ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat erfolgen? – In der Ausgabe 1/2023 unseres Newsletters „Menschen im Unternehmen“ haben wir bereits einen Überblick über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit gegeben. Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München (LAG München, Beschluss vom 10. August 2023, Az. 8 TaBVGa 6/23) in einem einstweiligen Verfügungsverfahren möchten wir zum Anlass nehmen, diese praxisrelevante Thematik erneut aufzugreifen. Eine einseitige Anordnung von Präsenztagen im Büro ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat ist nach diesem Beschluss nicht möglich.

So habe der Betriebsrat bei Verstößen gegen sein Mitbestimmungsrecht einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber, auch wenn dieser Anspruch nicht ausdrücklich in § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt sei. Unterlassungsansprüche könnten als selbstständige, einklagbare Nebenleistungsansprüche auch ohne gesetzliche Normierung bestehen; das durch die Bildung eines Betriebsrats kraft Gesetzes entstehende „Betriebsverhältnis“ sei einem gesetzlichen Dauerschuldverhältnis ähnlich.

Es werde durch die in den einzelnen Mitbestimmungstatbeständen normierten Rechte und Pflichten sowie durch die sich aus § 2 BetrVG ergebenden gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten bestimmt.

§ 2 BetrVG enthalte eine dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vergleichbare Konkretisierung des Gebots der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Zwar ließen sich nach Auffassung des Gerichts aus der Vorschrift keine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte ableiten, die das Gesetz nicht vorsehe. § 2 BetrVG sei aber bei der Auslegung der einzelnen Tatbestände des Betriebsverfassungsgesetzes zu berücksichtigen.

Bei der Wertung der gesetzlich vorgesehenen Rechte könne daher aus dem allgemeinen Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit als Nebenpflicht grundsätzlich auch das Gebot abgeleitet werden, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechts entgegensteht.

Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass jede Verletzung von Rechten des Betriebsrats ohne Weiteres einen Unterlassungsanspruch auslöse.

Vielmehr kommt es nach der Entscheidung auf die einzelnen Mitbestimmungstatbestände, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung und die Art der Rechtsverletzung an. Bei Verstößen gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 BetrVG müsse dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zur Verfügung stehen. Die Norm regelt die erzwingbare Mitbestimmung. Maßnahmen in diesem Bereich solle der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen können. Würde er dagegen verstoßen, entstünde eine betriebsverfassungswidrige Lage.

Bestimme der Arbeitgeber die Ausgestaltung mobiler Arbeit (das „Wie“), müsse er die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 14 BetrVG beachten.

Damit unterliege nicht das „Ob“ mobiler Arbeit, sondern nur das „Wie“ der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG. Dies ergebe sich daraus, dass § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG nur von der „Ausgestaltung“ spreche. Zum „Ob“ gehöre auch die grundsätzliche Bemessung des Kontingents an mobiler Arbeit.

Ein mitbestimmungspflichtiges „Wie“ der Ausübung des Rechts auf mobiles Arbeiten liegt vor, wenn die neue Betriebsvereinbarung erstmals die Anordnung einer Anwesenheitspflicht der nicht leitenden Angestellten an vier Tagen im Monat und eine Anwesenheitspflicht der nicht leitenden Angestellten aus betrieblichen Gründen in der Betriebsstätte sowie die Abhängigkeit der Flexibilität des mobilen Arbeitens je nach persönlichem und/oder geschäftlichem Bedarf enthält (vgl. LAG München, Beschluss vom 10. August 2023 – 8 TaBVGa 6/23, NZA-RR 2023, 591).

Beleuchtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats vor diesem Hintergrund

Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats lassen sich grundsätzlich in Mitwirkungsrechte und Mitbestimmungsrechte unterteilen.

Bei den echten Mitbestimmungsrechten handelt es sich um Angelegenheiten, die ohne Beteiligung des Betriebsrats nicht durchgeführt werden können.

Von den Mitbestimmungsrechten zu unterscheiden sind daher die sogenannten Mitwirkungsrechte des Betriebsrats. Diese überlassen die letzte unternehmerische Entscheidung dem Arbeitgeber.

Mitwirkungsrechte des Betriebsrats sind Informationsrechte, wie z. B. § 80 Abs. 2 BetrVG, Anhörungsrechte, z. B. im Rahmen einer Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG, Vorschlagsrechte, wie z. B. § 92 Abs. 2 BetrVG, sowie Beratungsrechte, wie z. B. § 89 Abs. 1 BetrVG.

Zu den Mitbestimmungsrechten kann die Zustimmungsverweigerung gezählt werden, wie z. B. in § 99 BetrVG.

Im Rahmen der Mitbestimmung im engeren Sinne ist der Arbeitgeber nicht allein entscheidungsbefugt, sondern benötigt das Einverständnis des Betriebsrats. Kommt keine Einigung zustande, ist die Einigungsstelle anzurufen. Wichtig ist, dass der Umfang der Mitbestimmungsrechte nach dem jeweiligen Zweck des Mitbestimmungstatbestandes zu bestimmen ist. Dazu gehört das echte Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG. Weitere Mitbestimmungsrechte finden sich in den §§ 94 f. BetrVG (Personalfragebogen, Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze, Auswahlrichtlinien), §§ 97 ff. BetrVG (Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung), § 103 BetrVG (Zustimmung bei außerordentlicher Kündigung und Versetzung sowie in besonderen Fällen) sowie § 112 BetrVG (Interessenausgleich über die Betriebsänderung, Sozialplan).

Aufgrund des Initiativrechts des Betriebsrats in echten Mitbestimmungsangelegenheiten kann dieser eine Entscheidung des Arbeitgebers über seine Vorschläge verlangen. Im Weigerungsfall hat der Betriebsrat das Recht, die Einigungsstelle zur Entscheidung anzurufen (vgl. Biester, in Grobys/ Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Mitbestimmung (Betriebsrat), 4. Aufl., Edition 5, 2024, Rn. 1 ff.).

Das echte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten ist grundlegend in § 87 BetrVG geregelt. Danach hat er, soweit nicht durch das Gesetz oder Tarifvertrag etwas anderes bestimmt ist, „in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

  1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
  2. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage;
  3. vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit;
  4. Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte;
  5. Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird;
  6. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen;
  7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
  8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
  9. Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen;
  10. Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung;
  11. Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren;
  12. Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen;
  13. Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit; Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt;
  14. Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.“

Der Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG, in dem ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, ist abschließend (vgl. Kania, in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BetrVG, § 87, Rn. 1 ff.).

Soweit eine regelungsbedürftige Angelegenheit nicht unter den Katalog des Abs. 1 fällt, kommt der Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG in Betracht (vgl. Werner, in BeckOK Arbeitsrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/ Udsching (Hrsg.), BetrVG, § 87, Rn. 1 ff.).

Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nicht zustande, entscheidet auf Antrag einer Seite die Einigungsstelle im verbindlichen Einigungsverfahren (vgl. Richardi/ Maschmann, in Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG, § 87, Rn. 990 ff.).

Bei Verstößen des Arbeitgebers gegen das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten stehen dem Betriebsrat der spezielle Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG und der allgemeine Unterlassungsanspruch zur Verfügung. Nach der Theorie der materiellen Wirksamkeitsvoraussetzung des BAG ist eine benachteiligende Maßnahme, die unter Verstoß gegen das zwingende Mitbestimmungsrecht ergangen ist, individualrechtlich unwirksam (vgl. Biester, in Grobys/Panzer- Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Mitbestimmung (Betriebsrat), 4. Aufl., Edition 5, 2024, Rn. 1 ff.).

Neben der Beteiligung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG gibt es die Beteiligung in personellen Angelegenheiten nach §§ 92–95 BetrVG; außerdem die Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (vgl. Biester, in Grobys/ Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Mitbestimmung (Betriebsrat), 4. Aufl., Edition 5, 2024, Rn. 1 ff.).

Dies hat zur Folge, dass in allen Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, dieser über das BetrVG ein umfassendes Mitsprachrecht in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten hat. In sozialen Angelegenheiten nach §§ 87 ff. BetrVG handelt es sich um ein echtes Mitbestimmungsrecht (vgl. Christian Kallos, in Weber kompakt, Rechtswörterbuch, Mitbestimmung, 9. Edition 2023).

Hinweis für die Praxis

Arbeitgeber sollten daher bei Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung mobiler Arbeit, also dem mitbestimmungspflichtigen „Wie“, rechtzeitig daran denken, den Betriebsrat entsprechend zu beteiligen. Dazu gehören gemäß der Gesetzesbegründung z. B. Regelungen über den zeitlichen Umfang mobiler Arbeit, über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in Bezug auf mobile Arbeit oder über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann und darf. So können Regelungen zu Anwesenheitspflichten in der Betriebsstätte des Arbeitgebers, zur Erreichbarkeit, zum Umgang mit Arbeitsmitteln der mobilen Arbeit und über einzuhaltende Sicherheitsaspekte getroffen werden.

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Autorin

Eva-Kathrin Dittrich
Tel: +49 69 967 65 1277

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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