Flexibilität im Arbeitsrecht – Vertrauensurlaub oder: Kontrolle ist besser?

Aktuelle Entwicklungen beim Wunsch nach Flexibilisierung - Das Verlangen der Arbeitnehmer*innen nach einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitslebens ist auch im Bereich der Urlaubsgestaltung aus der Unternehmenspraxis nicht mehr wegzudenken. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Wettbewerbs der Arbeitgeber um Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt kommt den Wünschen der Arbeitnehmer* innen, aber insbesondere auch denen der Führungskräfte besondere Bedeutung zu. Zu dem vom Arbeitgeber zu schnürenden attraktiven Paket gehören daher neben sonstigen Incentives wie Jobräder, Zugang zu Fitnessclubs oder Remote Work, um nur einige herauszugreifen, auch Wünsche nach einem flexibilisierten Urlaub.

Um das unternehmerische Interesse des Arbeitgebers mit den Wünschen der Arbeitnehmer*innen in Einklang zu bringen, bleiben verschiedene grundsätzliche Erwägungen gegeneinander abzuwägen, die sich einerseits aus den gesetzlichen Grundlagen des Bundesurlaubsgesetzes und andererseits aus den zulässigen vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten ergeben.

Wichtig für diese Abwägung ist es freilich auch, Details aus anderen Rechtssystemen zu kennen, die in ihrer Flexibilität der Arbeitszeit- und Urlaubsgestaltung weitaus fortschrittlicher sind und deren Arbeitnehmer*innen diese auch in Deutschland einbringen.

Blick über den Tellerrand: Was gilt in anderen Ländern und bei weltbekannten Konzernen?

Der Ursprung des im Zuge der New-Work-Bewegung entstandenen Modells des Vertrauensurlaubs liegt wie so oft in den USA. Gerade in der Start-up-Szene gewinnt das Einführen von Vertrauensurlaub aber auch in Europa und Deutschland immer mehr an Zuspruch. Große Unternehmen haben sich der Bewegung angeschlossen und das Konzept des Vertrauensurlaubs in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Der Grundgedanke des Vertrauensurlaubs lässt sich wie folgt skizzieren: Arbeitnehmer*innen sind grundsätzlich berechtigt, ihre jährlichen Urlaubstage eigenverantwortlich und selbstständig bestimmen zu können. Diese stehen regelmäßig unter dem Vorbehalt des Erreichens der Unternehmensziele. Gerade in den USA hat das Modell des Vertrauensurlaubs besonderes Potenzial. Denn neben den zehn Feiertagen steht den Arbeitnehmer*innen kein gesetzlicher Mindesturlaub zu. Anders ist dies in der EU, wo ein Mindestanspruch auf eine gewisse Anzahl an Urlaubstagen meist gesetzlich geregelt ist. So haben Arbeitnehmer*innen in der EU im Durchschnitt Anspruch auf ca. 20 Urlaubstage zuzüglich zu den individuellen Feiertagen.

Die typischen Sachverhalte

Das bedeutet gleichzeitig, dass sich das Modell des Vertrauensurlaubs nicht unmittelbar auf den deutschen (europäischen) Arbeitsmarkt übertragen lässt.

Entsprechend dem deutschen Arbeitsrecht (vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG) wird man dem Vertrauensurlaub rechtlich zunächst den gesetzlichen Mindesturlaub voranstellen müssen. Unter dem Vertrauensurlaub aus deutscher arbeitsrechtlicher Sicht wird man daher den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden (unbegrenzten) Mehrurlaub verstehen.

Der Verzicht auf eine starre Höchstgrenze an Urlaubstagen erscheint im Hinblick auf die Individualität von Stressempfinden, Regenerationszeit und Erholungsbedarf der Arbeitnehmer*innen auch als Instrument der Wertschätzung ihrer Arbeitskraft durchaus sinnvoll. Dennoch darf der Vertrauensurlaub natürlich nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer*innen unverhältnismäßig lange unbegrenzten Urlaubsanspruch ansammeln und damit die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens gefährden.

Ob das Modell daher tatsächlich für Arbeitgeber, deren Tätigkeitsbereich sowieso schon an Personalmangel leidet, in Betracht kommt, darf stark bezweifelt werden. Start-ups werben daher sicherlich auch aus Gründen des Recruitings von Nachwuchskräften mit dem Modell des Vertrauensurlaubs.

Die konkrete arbeitsvertragliche Ausgestaltung des Vertrauensurlaubs erfordert juristisches und organisatorisches Fingerspitzengefühl. Schließlich kann eine längerfristige Abwesenheit eines*einer oder sogar mehrerer Arbeitnehmer*innen aufgrund fehlenden Personals schwerer auffangbar sein. Daher erscheint das Modell des Vertrauensurlaub vor allem für solche Branchen geeignet, deren Dienstleistungen nicht an bestimmte Fristen geknüpft sind.

Um einen Missbrauch des gewährten Vertrauens der Arbeitgeber an dessen Arbeitnehmer*innen zu vermeiden, sind Vertrauensurlaubsmodelle zudem arbeitsvertraglich genau zu regeln.

Konsequenzen für die Praxis: Neue Gedanken und Formulierungen sind gefragt

Entscheidet sich ein Unternehmen für die Einführung eines Vertrauensurlaubs ist arbeitsvertraglich klar zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und dem dispositiven Mehrurlaub zu unterscheiden. Genommener Urlaub wird in der Regel zunächst auf den gesetzlichen Urlaub und erst nach dessen Erfüllung auf den Mehrurlaub angerechnet werden.

Damit wird auch der starren Vorgabe Rechnung getragen, dass der gesetzliche Mindesturlaub auch dann unverzichtbar ist, wenn Vertrauensurlaub vereinbart ist.

Rechtspolitisch erscheint es auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um den Wirtschaftsstandort Deutschland kaum eine Aussicht zu geben, dass hier etwa der Gesetzgeber in naher Zukunft unterstützen könnte. Wenn man etwa die Diskussionen zur Einführung des Nachweisgesetzes und jetzt zur ersten Reform dazu verfolgt hat, wird klar, dass für eine Reform des Urlaubsrechts in Deutschland ein noch höherer Wettbewerbsdruck notwendig wäre, um Gewerkschaften und Unternehmerverbände, aber auch sonstige in Gesetzgebungsverfahren inkludierte Interessengruppen zu einer Überarbeitung des Urlaubsgesetzes zu bewegen.

In der Praxis und der arbeitsrechtlichen Literatur werden derweil verschiedene Vorschläge zur Umsetzung des Vertrauensurlaubsgedankens diskutiert. Dabei steht meist der Wunsch des Arbeitsgebers im Vordergrund, trotz der gewünschten Flexibilität das Heft in der Hand zu behalten. So wird vorgeschlagen, um den Arbeitgeber vor ausufernden Urlaubs-Abgeltungsansprüchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu schützen, arbeitsvertraglich zu vereinbaren, dass der Mehrurlaub am Jahresende verfällt. Denn ansonsten stünde dem*der Arbeitnehmer*in die Möglichkeit frei, sich auf mehrjährigen, nicht genommen Vertrauensurlaub zu stützen. Freilich wird das gerade die Personengruppe, die Vertrauensurlaub als besonders wichtig ansieht, kaum hinnehmen wollen, denn ein Jahr ist schnell vergangen; und starre Fristen und Termine dort einzupflegen, wo gerade der Wunsch nach Flexibilität stark ist, sind eben Gegensätze.

Hier wird man etwa nach alternativen Arbeitszeitkontenmodellen streben wollen, wo auch sehr genaue Regelungen gefragt sind, aber weg von weiteren Formalien. Selbstverständlich darf man dabei die insoweit durchaus strenge Rechtsprechung des EuGH nicht vernachlässigen.

Des Weiteren wird der Arbeitgeber natürlich seinen Betrieb nicht durch unkalkulierbare Urlaubsgestaltung brach liegen lassen können. Eine Öffnungsklausel zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs wäre hier klassisch das Richtige. Damit würde etwa die Nutzung des Vertrauensurlaubs unter gewisse Voraussetzungen gestellt. Regeln kann man sicher, dass es hier zwingend der Abstimmung der Urlaubszeit mit der*dem Vorgesetzten bedarf. Auch eine Vereinbarung der Begrenzung des monatlich gewährten Urlaubsumfangs wäre denkbar und sicherlich empfehlenswert. Dies umzusetzen erfordert wiederum ein erhebliches Maß an Fingerspitzengefühl und die notwendige Rechtskunde, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich um die besten Talente werben zu können.

Ein weiterer althergebrachter Schutzmechanismus für den Arbeitgeber vor einem Missbrauch des Vertrauensurlaubs könnte außerdem das Vereinbaren eines Widerrufsvorbehalts der Gestattung des Vertrauensurlaubs unter bestimmten Bedingungen darstellen. Das scheint aber schon im Ansatz nicht unproblematisch. Denn wenn man ein Widerrufsrecht etwa an die Nichterfüllung der arbeitsvertraglicher Leistungspflichten der Arbeitnehmer*innen koppeln wollte, käme man zum Beispiel im Anwendungsbereich des deutschen Kündigungsschutzgesetzes zum „low performance“-Problem, was eben zumindest kein einfaches Sanktionsmittel, geschweige denn einen tauglichen Kündigungsgrund darstellt, von bestimmten Einzelfällen abgesehen.

Losgelöst davon scheint es daher sinnvoll, besondere zugespitzte Regelungen auf der Grundlage individueller betrieblicher Belange zu entwickeln, um die in Deutschland zwingenden Vorgaben mit dem Flexibilität- und Freiheitsgedanken der meist hochqualifizierten Betroffenen in Einklang zu bringen. Mazars ist auch dabei wie immer gerne behilflich.

Fazit

So verlockend das Konzept des Vertrauensurlaubs auf den ersten Blick klingen mag, haben sowohl in Deutschland als auch in den USA einige Unternehmen von dem Gebrauch des Vertrauensurlaubs wieder Abstand genommen und stattdessen eine (großzügige) Mindestgrenze an zu nehmenden Urlaubstagen eingeführt. Denn neben dem vorhandenen Missbrauchspotenzial führte das Fehlen einer Mindesturlaubsgrenze oft dazu, dass die Arbeitnehmer*innen aus Konkurrenzdruck nur ihren gesetzlichen Mindesturlaub wahrnahmen und die Idee des Vertrauensurlaubs damit in ihr Gegenteil gekehrt wurde.

Aufseiten des Arbeitgebers ist bei der Ausgestaltung des Vertrauensurlaubs große Sorgfalt bei der Formulierung in arbeitsrechtlichen Vereinbarungen geboten. An sich einfache Vorgänge sind stringent zu strukturieren, um später ein böses Erwachen und Rechtsnachteile für den Arbeitgeber zu vermeiden. Mazars als erfahrener Partner unterstützt dabei.

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Autor

Andreas Thomas
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 1-2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.

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