Urteil zum Selbsthilferecht von Gesellschaftern: Vorsicht bei der Einberufung von Gesellschafterversammlungen
Die klagende GmbH hatte mehrere Gesellschafter und zwei Fremdgeschäftsführer. Der Mehrheitsgesellschafter war mit der Geschäftsführung unzufrieden und betrieb deren Abberufung. Die Minderheitsgesellschafter waren damit nicht einverstanden.
Am 12. Januar 2021 forderte der Mehrheitsgesellschafter der GmbH die Einberufung einer Gesellschafterversammlung mit dem Antrag, die Abberufung des Beklagten als Geschäftsführer zu beschließen. Keiner der beiden Geschäftsführer berief jedoch die Gesellschafterversammlung ein.
Am 12. Februar 2021 berief der Mehrheitsgesellschafter dann selbst eine außerordentliche Gesellschafterversammlung für den 26. Februar 2021 ein. Er stützte sich dabei auf sein Selbsthilferecht aus § 50 Absatz 3 Satz 1 GmbHG, da die Geschäftsführer seinem Verlangen, eine Versammlung einzuberufen, nicht entsprochen hatten. Nach § 50 Absatz 1 GmbHG kann jeder Gesellschafter und jede Gesellschaftergruppe, der oder die wenigstens zehn Prozent des Stammkapitals halten, die Einberufung einer Gesellschafterversammlung verlangen. Nach § 50 Absatz 3 Satz 1 GmbHG können diese Gesellschafter selbst eine Gesellschafterversammlung einberufen, wenn die Geschäftsführer nicht tätig werden oder wenn keine Geschäftsführung vorhanden ist.
In der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 26. Februar 2021 beschloss der Mehrheitsgesellschafter mit der absoluten Mehrheit der Stimmen die Abberufung der beiden Geschäftsführer und bestellte einen neuen Geschäftsführer. Dieser neue Geschäftsführer beantragte daraufhin für die GmbH den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die beiden abberufenen Geschäftsführer, um beiden zu untersagen, die GmbH zu vertreten. Das Landgericht und in zweiter Instanz das Kammergericht wiesen den Antrag ab, weil die Ladung zur außerordentlichen Gesellschafterversammlung durch den Mehrheitsgesellschafter unter formalen Mängeln litt. Die in der Versammlung gefassten Beschlüsse waren daher nichtig.
Daraufhin leitete der Mehrheitsgesellschafter am 19. April 2021 eine schriftliche Beschlussfassung der Gesellschafter mit dem Ziel ein, den Abberufungsbeschluss sowie die Bestellung des neuen Geschäftsführers vom 26. Februar 2021 zu wiederholen. Er stellte am 27. Mai 2021, als Ergebnis der schriftlichen Beschlussfassung, die Abberufung beider Geschäftsführer und die Bestellung des neuen Geschäftsführers fest.
Der neue Geschäftsführer beantragte daraufhin erneut eine einstweilige Verfügung, dem Beklagten zu untersagen, die Geschäfte der GmbH zu führen und diese zu vertreten. Das Landgericht gab dem Antrag statt und erließ die einstweilige Verfügung. Der beklagte Geschäftsführer legte Berufung zum Kammergericht ein. Er war der Ansicht, dass der schriftlich festgestellte Abberufungsbeschluss vom 27. Mai 2021 nichtig sei, da der Mehrheitsgesellschafter nicht mehr berechtigt gewesen sei, selbst eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Sein Selbsthilferecht zur Ladung sei durch die Ladung zur Versammlung im Februar verbraucht gewesen.
Das Kammergericht hob die einstweilige Verfügung auf und gab dem beklagten Geschäftsführer recht. Im Verfahren war insbesondere streitig, ob das Selbsthilferecht zur Ladung bereits dann erlischt, wenn der Gesellschafter erfolgreich unter Berufung auf das Selbsthilferecht selbst eine Gesellschafterversammlung einberufen hat und in dieser Versammlung über die Themen, die der Gesellschafter als Tagesordnungspunkte verhandeln möchte, Beschluss gefasst wurde. Einige Oberlandesgerichte und Stimmen in der juristischen Literatur meinen, dass für den Verbrauch des Selbsthilferechts zusätzlich erforderlich ist, dass die Beschlüsse, die in der durch den Gesellschafter einberufenen Versammlung gefasst werden, auch wirksam sind. Nach dieser Meinung wird das Selbsthilferecht nicht verbraucht, wenn der Gesellschafter erfolgreich selbst eine Versammlung mit seiner Tagesordnung einberuft und die Versammlung dann nichtige oder anfechtbare Beschlüsse fasst.
Nach dieser Meinung wäre im Streitfall die einstweilige Verfügung zu Recht ergangen, denn die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom Februar waren nichtig. Das Kammergericht entschied sich für die Gegenmeinung. Danach erlischt das Selbsthilferecht bereits dann, wenn der Gesellschafter erfolgreich eine Gesellschafterversammlung einberuft und diese Versammlung über die von dem Gesellschafter vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte abstimmt.
Im Streitfall muss der Gesellschafter, der eine Beschlussfassung herbeiführen will, also die Rechtslage sehr genau dahingehend prüfen, ob ihm das Selbsthilferecht zur Einberufung (noch) zusteht oder nicht. Andernfalls droht wie im hier betrachteten Fall unnötiger Zeit- und Kostenaufwand für mehrere erfolglose Verfahren. Im Zweifel wäre hier statt der Beschlussfassung im Umlaufverfahren ein erneutes Einberufungsverlangen gegenüber den ursprünglichen Geschäftsführern angezeigt gewesen, um dann erneut das Selbsthilferecht geltend machen zu können.