Wege aus der Finanzierungsfalle

In der Niedrigzinsphase haben viele Firmen ihre Verschuldung hochgefahren – durch Corona waren sie teilweise dazu gezwungen. In den vergangenen Monaten stiegen die Zinsen deutlich, die Refinanzierungskosten haben sich somit mittlerweile vervielfacht. Dadurch drohen auch vermeintlich solide Unternehmen nun unter der hohen Zinslast zusammenzubrechen. Wir erläutern, was Aufsichtsräte tun können, um ihr Organunternehmen vor dem Finanzkollaps zu bewahren.

Die Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) lassen die Finanzierungskosten nicht nur des Bundes, sondern auch privater Schuldner*innen explodieren. Im laufenden Bundeshaushalt muss zum Beispiel Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit 40 Mrd. € kalkulieren. Das ist eine Verzehnfachung im Vergleich zu 2021. Im Bereich der Gewerbeimmobilienfinanzierung hat die Ratingagentur Scope im Mai davor gewarnt, dass bei ungefähr einem Drittel des verbrieften Kreditvolumens, das in Europa in den kommenden Monaten ausläuft, erhebliche Refinanzierungsrisiken bestünden. Bei Betriebsmittelfinanzierungen wird es derzeit für kleine und mittlere Unternehmen nicht nur teurer, an neue Fremdmittel zu kommen. Die Banken stellen auch höhere Ansprüche an die Kreditgewährung, wie die staatliche Förderbank KfW herausgefunden hat. Mittelständische Unternehmen bekommen seit Jahresbeginn der KfW-ifo-Kredithürden-Umfrage zufolge zwar wieder leichter Zugang zu Bankfinanzierungen. Ein Viertel der Mittelständler, die eine Bankfinanzierung nachfragen, empfindet das Verhalten der Kreditinstitute jedoch als restriktiv.

Das Management in die Pflicht nehmen

Teuer, schwierig zu bekommen und dennoch dringend benötigt – immer mehr Betriebe drohen im aktuellen Konjunktureinbruch in eine existenzgefährdende Finanzierungsfalle zu geraten. „Die Kreditsätze sind seit vergangenem Sommer um rund 300 Basispunkte nach oben gegangen. Zusätzlich haben viele Banken ihre Risikoaufschläge erhöht“, sagt Dariush Ghassemi, Rechtsanwalt und Partner bei Forvis Mazars. Spätestens jetzt müsse jedem Aufsichtsratsmitglied klar sein, dass es unverzüglich eine vom Management sorgfältig aufbereitete Finanz-, Liquiditäts- und Refinanzierungsplanung anfordern muss, um beurteilen zu können, wo das Unternehmen steht. Wer sich nicht intensiv mit diesen Finanzierungsthemen beschäftigt, hat aus Ghassemis Sicht den ersten schweren Fehler bereits begangen. „Dazu gehört auch, Berechnungen über unterschiedliche Refinanzierungsszenarien anzufordern. Was zum Beispiel passiert auf Unternehmensebene, wenn die Zinsen noch einmal um 100 Basispunkte steigen? Füttern Sie Ihr Rechenmodell für eine Simulation mit den Finanzdaten“, gibt der Experte von Forvis Mazars  Aufsichtsrät*innen mit auf den Weg.

Das Thema Finanzen muss jetzt Top-Priorität haben

„Wie lange kann die Liquidität aufrechterhalten werden? Welche verschiedenen Fristigkeiten haben die einzelnen Finanzierungskredite? Wann laufen sie genau aus? Welchen Finanzierungsbedarf haben wir, den wir möglicherweise von woanders her decken müssen? Welche Signale sendet uns die Hausbank? Wie ist unser Kontakt dorthin? All das gehört diskutiert und auch dokumentiert“, so der Experte. Ein probates organisatorisches Mittel ist für Berater*innen, das Thema Finanzen von den regulären Aufsichtsratssitzungen abzukoppeln und gegebenenfalls in kleinem Kreis daran zu arbeiten – auf der Grundlage von vorbereiteten Materialien der Geschäftsführung. „Das ist wie bei einem Auto auf der Hebebühne: Es geht darum, die Finanzierungsstruktur des Unternehmens von unten anzusehen. Da muss unter Umständen dann auch mal das gesamte Geschäftsmodell auf den Prüfstand“, zieht Ghassemi einen bildlichen Vergleich.

Zulieferer leiden unter besonders hohem Margendruck

Als potenziell besonders gefährdet stuft Ghassemi in der aktuellen Situation Zulieferer aus produzierenden Branchen ein. Den Kostendruck durch allgemein gestiegene Preise können sie häufig nicht an ihre Kund*innen, die großen Hersteller, weiterreichen. Gleichzeitig bestehen meist sehr lange Zahlungsziele auf der Absatzseite. „Häufig muss in diesen Fällen kurzfristiger Liquiditätsbedarf über teure Kreditlinien gedeckt werden“, weiß er. „Da wird die Luft nach sechs oder acht Wochen finanziell sehr schnell dünn.“ Aber auch Unternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells in einer besseren Marktposition sind, können deswegen nicht die Hände in den Schoß legen. Es braucht eine Zeit, um bei höheren Kosten auf der Umsatzseite nachzuziehen, neue Kund*innen zu gewinnen und Preisaufschläge durchzusetzen. „Diese Phase muss in der kurz- und mittelfristigen Finanz- und Liquiditätsplanung abgebildet werden“, sagt Ghassemi. „Mitunter kommt bei dieser Gelegenheit heraus, dass diese Planung bestenfalls bis zum Ende des übernächsten Monats reichen kann – einst entstanden, weil es in der Niedrigzinsphase keinen Druck dafür gab. Spätestens jetzt ist allerdings der Moment gekommen, um ein strukturiertes Instrumentarium zu implementieren, das jederzeit einen Überblick über die Finanzierungs- und Liquiditätssituation des Unternehmens gibt.“

Aufsichtsrät*innen, die hier ihre Hausaufgaben nicht gemacht und nicht sorgfältig gearbeitet haben, sieht Ghassemi fast zwangsläufig im Haftungsrisiko, wenn sich nun die Finanzierungsprobleme häufen und es zu einem Liquiditätsengpass im Unternehmen kommt. „Dazu sind die Zeichen der Zeit aus Richtung der Kreditmärkte und Kapitalkosten schon zu lange zu deutlich“, hebt er hervor.

Der Blick muss auch nach außen gerichtet werden

Aufsichtsräte sind aber nicht nur gefordert, die Finanzierungssituation nach innen zu kontrollieren, sondern auch den Blick nach außen zu richten und zu Stake- und Shareholdern laufend Kontakt zu halten. „Dabei geht es auch darum, zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, nur mit einer Bank über Jahrzehnte in Verbindung zu stehen“, mahnt der Experte von Forvis Mazars. „Es sollte über die Möglichkeit nachgedacht werden, auch andere Finanzierer und Finanzierungsinstrumente in Betracht zu ziehen. Die schlechteste Begründung, das nicht zu tun, ist zu sagen: Wir waren schon immer bei der Bank XY – da bleiben wir auch weiter, weil die uns so gut kennen.“

 

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